Helm auf zum Gebet

Geht es den Kriegspfarrern an den Kragen? Am 22. September soll in Halle an der Saale eine „Ökumenische Initiative zur Abschaffung der Militärseelsorge“ gegründet werden. Mit im Boot: Unter anderem der Dietrich-Bonhoeffer-Verein, der Internationale Versöhnungsbund (Deutscher Zweig) und auch Rainer Schmid, evangelischer Pfarrer aus Friedrichshafen und bekannter Friedensaktivist. Dieser Vorstoss, so Schmid, sei schon lange fällig. Hier sein Diskussionspapier zum brisanten Thema:

Laut der Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr (Martin Bock, Religion als Lebensbewältigungsstrategie von Soldaten, 2002), finden es zwar 95,7 % der Soldaten „gut, dass ein Pfarrer im Lager ist“ (Seite 52), aber das direkte Gespräch mit dem Pfarrer ist den Soldaten nicht wichtig. Auf die Frage: „Mit wem sprechen Sie über ihre persönlichen Ängste und Gefühle?“ antworten 54,8 % „mit den Kameraden“ 46,4 % „mit der Partner/in“, 6,7 % „mit dem Vorgesetzten“, 22,6 % „mit niemandem“ und nur 1,3 % „mit dem Militärpfarrer“ (Seite 68-70). Mehrfachnennungen waren möglich. Spätere Untersuchungen werden von der Bundeswehr geheim gehalten.

Wenn Hauptfunktion der Militärpfarrer in der Praxis also nicht die Seelsorge ist, welches ist dann die Hauptfunktion der Militärpfarrer? Wir vermuten: Die Begleitung durch die Militärpfarrer dient den Soldaten zur moralischen Legitimation: „Wenn sogar der Pfarrer mitmacht, dann kann das, was wir hier tun, nicht sehr verwerflich sein.“ Oder umgekehrt gesagt: „Wenn es sehr verwerflich wäre, was wir hier treiben, würde der Pfarrer uns nicht begleiten.“

Der Militärpfarrer hat eine unterstützende Funktion innerhalb des Militärs

Der Militärpfarrer hat die Aufgabe, die Soldaten nach „belastenden Ereignissen“ falls möglich wieder zu stabilisieren, damit sie wieder einsatzfähig sind. Auf diese Weise erfüllt der Militärpfarrer eine unterstützende Funktion innerhalb des Militärs. Die Militärseelsorge ist, so wie auch der Sanitätsdienst, die Feldpost, die Feldküche u.s.w. vergleichbar mit einem Zahnrad in einer Maschine.

Es gibt sicher unter den Soldat/innen aufrechte Christ/innen. Die Gründungsmitglieder der „Ökumenischen Initiative zur Abschaffung der Militärseelsorge“ haben nichts gegen die Mitchristen, die sich zum Dienst mit der Waffe entscheiden haben. Niemand soll auf Menschen, die sich für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden haben, mit dem Finger zeigen. Keine Kirchengemeinde darf diese Menschen – auf welche Weise auch immer – ausgrenzen!

Der Militärpfarrer ist ein Bundesbeamter auf Zeit

Die Kirche soll speziell für die Soldat/innen das Angebot der Seelsorge bereitstellen. Wichtig ist nur, dass dies in gemeindeeigenen Räumen geschieht. Und auch per Telefon und über die neuen Medien. Möglich wären zum Beispiel, in der Nähe der größeren Bundeswehrstandorte Kontaktcafés zu betreiben, oder Beratungsstellen für Aussteiger.

Der Militärpfarrer ist zwar offiziell nicht eingebunden in die militärische Hierarchie, wird aber von den normalen Soldaten entsprechend seiner Bezahlung wie ein Offizier wahrgenommen, und auch so behandelt. Der Militärpfarrer bleibt zwar offiziell dem Bekenntnis seiner Kirche verpflichtet. Aber es gibt eine Volksweisheit, die sagt „wes Brot ich ess´, des Lied ich sing´.“ An dieser Volksweisheit ist etwas dran. Der Militärpfarrer ist ein Bundesbeamter auf Zeit. Er wird vom Staat bezahlt.

Der Gefängnispfarrer begleitet seine „Klienten“ in der Regel nicht auf Diebestouren, nicht auf Raubzüge, nicht bei sexuellen Übergriffen. Aber der Militärpfarrer begleitet seine „Klienten“ bei gewalttätigen Touren ins Ausland, und bei der Vorbereitung auf diese Touren.

Der Militärpfarrer steigt leichter nach A14 auf, manchmal sogar nach A15 und A16. Der normale Gemeindepfarrer verdient A13. Auf größeren Stellen (z.B. die alte, große Kirche mitten in einer Stadt) verdient ein Pfarrer A14. Der Militärpfarrer bekommt, im Unterschied zum normalen Gemeindepfarrer, von seinem Arbeitgeber einen Dienstwagen gestellt. Der Militärpfarrer bekommt, im Unterschied zum normalen Gemeindepfarrer, einen Pfarrhelfer (mit 100% Dienstauftrag) an die Seite gestellt. Der Militärpfarrer bekommt ein eigenes Büro in der Kaserne. Der Militärpfarrer trägt im Dienst meistens die Uniform oder den Feldanzug der Soldaten.

30 Millionen Euro jährlich für die Militärseelsorge

Auf die Militärseelsorge-Pfarrstellen bewerben sich eher Pfarrer mit einer Affinität zu hierarchischen Strukturen, zu Befehl und Gehorsam. Dies ist nicht bewiesen, aber langjährige Erfahrung. Der Staat gibt circa 28-30 Millionen Euro jährlich für die Militärseelsorge aus. Was wünscht sich der Staat dafür – ausgesprochen oder unausgesprochen – als Gegenleistung?

Wenn ein Pfarrer öfter eine Kaserne betritt oder Soldaten begleitet, färbt dies unwillkürlich ab. Der Pfarrer übernimmt mit der Zeit die Verhaltensweisen, die Gewohnheiten, die Sprache, die Abkürzungen, das hierarchische Denken und die Gedanken des Militärs. Theoretisch ist es zwar denkbar, dass ein evangelischer Militärpfarrer zu Soldaten im Auslandseinsatz sagt: „Dieser Krieg, den wir hier führen, ist nach den Kriterien der Friedensdenkschrift (EKD, 2007, § 102) Unrecht. Er muss abgebrochen werden. Ihr dürft euch ab sofort nicht mehr an diesem Krieg beteiligen.“ Theoretisch ist dies möglich. Aber in der Praxis hat sich der Militärpfarrer so sehr an die militärische Denkweise und Verhaltensweise gewöhnt, und an den Wohlstand und das Ansehen, das ihm seine Stellung verschafft, dass er in der Praxis nicht widersprechen wird.

Das Wächteramt der Kirche kommt in der Praxis der Militärseelsorge zu kurz. Das prophetische Amt wird so gut wie nie ausgeübt. Der notwendige Mindestabstand zwischen weltlicher und geistlicher Macht wird nicht eingehalten. Den Nachweis führt Sylvie Thonak (Zeitschrift „Evangelische Theologie 3/2012 „Evangelische Militärseelsorge und Friedensethik“, S. 221-223). Sie hat das Fortbildungsangebot aller 102 evangelischen Militärpfarrer gesichtet. Ergebnis: Die Auseinandersetzung mit der Friedensdenkschrift, mit der Gewaltfreiheit Jesu Christi und mit gewaltfreien Methoden der Konfliktlösung spielt so gut wie keine Rolle.

Militärpfarrer geben in Trauerfeiern nach dem Tod von Soldaten (Kameraden) diesem Tod oft einen Sinn: „Diese Soldaten sind für die Sicherheit der afghanischen Zivilbevölkerung gefallen. Der Sinn ihres Sterbens ist, dass die afghanische Zivilbevölkerung in einem relativen Frieden leben kann. Ihr, die überlebenden Soldaten, habt nun die Pflicht, diesen Auftrag weiterzuführen.“

Zu einer modernen Kirche passt die Militärseelsorge nicht mehr

Es wird in Militärgottesdiensten selten oder nie für die Feinde gebetet. Es wird in diesen Gottesdiensten selten oder nie an die Gefallenen der Gegenseite gedacht. In der Zivilgesellschaft gilt das Tötungstabu. Im Militär gilt das Tötungstabu nicht. Die Grenze von der einen zur anderen Welt ist deutlich markiert: durch das Gelöbnis, durch Uniform, durch die militärische Fachsprache, durch die militärische Rangordnung, durch das militärische Grüßen. Es ist nicht gut, wenn ein Pfarrer diese Grenze überschreitet und sich der „anderen Welt“ in der Praxis doch sehr anpasst.

Die Milliarden, die für das Militär ausgegeben werden, sollten für Maßnahmen der frühzeitigen Konflikterkennung (Friedensforschungsinstitute) und frühzeitigen, gründlichen Konfliktbearbeitung (Streitschlichtung) ausgegeben werden.

Meine persönliche Überzeugung: Wenn Jesus gewusst hätte, dass es eines Tages Militärpfarrer gibt, und dass diese sogar mit in den Krieg ziehen, hätte er sich im Grabe umgedreht (wenn er da noch gelegen hätte).

Es handelt sich bei der Militärseelsorge um ein Überbleibsel aus der Zeit, in der Thron und Altar gemeinsame Sache gemacht haben. Zu einer modernen Kirche, die versucht sich wieder an dem gewaltlosen Jesus Christus zu orientieren, passt die Militärseelsorge nicht mehr.

Autor: Rainer Schmid