„Unsere Staatsschulden sind ihr Vermögen“
„Umfairteilen“ – unter diesem Motto sind in Konstanz und vielen anderen Städten rund 40.000 Menschen auf die Straßen gegangen, um für eine Vermögenssteuer und Schuldenabbau zu demonstrieren. Die Aktion – unter anderem von attac und den Grünen, den Linken und der Gewerkschaft ver.di getragen – litt in Konstanz unter dem miserablen Wetter. Nur 70 Zuhörer bekamen deshalb die Reden auf der Marktstätte mit. Zumindest die Rede von Marco Radojevic von der Linksjugend solid hätte mehr Zuhörer verdient:
Liebe Mitstreiter und Mitstreiterinnen,
„Was auch immer wir tun, um unserer maroden Wirtschaftsordnung Leben einzuhauchen, wir können dies nicht längerfristig erreichen, solange wir nicht eine sinnvollere, weniger ungleiche Verteilung des Nationaleinkommens erreichen. Die Entlohnung für die Arbeit muss höher sein als jetzt und der Gewinn aus Vermögen, insbesondere spekulativ angelegtem Vermögen, muss niedriger sein“
Wer jetzt glaubt, dieses Zitat stammt aus dem gewerkschaftlichen Rezeptbuch zum Aufbau einer gerechteren Welt, der irrt gewaltig. Im US-Wahlkampf 1932 hat der Bewerber Roosevelt die fundamentale Ungerechtigkeit zu Zeiten der großen Depression erkannt. Aber im Gegensatz zu den JA-Sagern der SPD um den zukünftigen Vizekanzler Steinbrück hat Präsident Roosevelt seinen Worten auch Taten folgen lassen. Er diskutierte nicht über eine Vermögensabgabe – was in Teilen der SPD schon als Tabu gilt -, sondern er zwang alle Reichen und Superreichen, ihr Gold kiloweise bei der Regierung abzugeben. Von dem damaligen Spitzensteuersatz von 79% will ich gar nicht erst anfangen.
Ich sage euch, wir befinden uns heute in einer ganz ähnlichen Situation wie die USA in den 30ern, aber uns fehlen mutige Politiker in unseren zwei großen Parteien. Politiker, die sich nicht von den Bankern und Reichen gassi führen lassen. Deshalb stehen wir heute hier und fordern eine massive Umverteilung. Und ich glaube mit der Nominierung von Steinbrück zum Kanzlerkandidaten der SPD haben wir heute einen Grund mehr, auf der Straße zu stehen und laut zu rufen „nicht mit uns!“
Wenn sie sagen, wir brauchen mehr Geld für die Banken, rufen wir „nicht mit uns“!
Wenn sie sagen, wir brauchen weniger Steuern für Reiche, rufen wir „nicht mit uns“!
Wenn sie Politik für Profite und nicht für Menschen machen, sagen wir „nicht mit uns“!
Dennoch reicht es nicht, einfach eine Vermögenssteuer und -abgabe zu fordern, sondern wir müssen auch klar machen, dass wir unsere Steuern anders eingesetzt sehen wollen. Die beste Vermögensabgabe bringt nichts, wenn damit Banken gerettet werden, ein höherer Spitzensteuersatz ist wirkungslos, wenn mit diesem Geld Krieg finanziert wird. Und auch eine Vermögenssteuer kann uns gestohlen bleiben, wenn davon nicht endlich die einfachen Bürger profitieren.
Im Bundeshaushalt stehen nur 11 Millarden für Bildung den 44 Millarden für Verteidigung gegenüber. Wer diese Priorität gesetzt hat – meine Freundinnen und Freunde – der soll am besten mit dem nächsten Eurofighter dahin fliegen, wo der Pfeffer wächst. Wahrscheinlich war derjenige aber auch Opfer unseres miserablen Bildungssytems. Man will uns weiß machen, dass überall das Geld fehlt, aber ich sage euch, das einzige, was Merkel & Co. fehlt, ist der Wille, sich das Geld da zu holen, wo es eine Menge davon gibt, nämlich bei den Krisenprofiteuren und Finanzspekulanten, und es dorthin zu geben, wo es hingehört : In Bildung und Soziales, kurz: Zu den Bürgen. Dort, wo es gebraucht wird. Unsere Staatsschulden sind ihr Vermögen.
Und das lässt sich auch ganz einfach beweisen: Die Steuerquote in den USA beträgt 24,8 %, in Dänemark dagegen 48,1 %. Jetzt ratet mal, in welchem Land die öffentlichen Finanzen besser aussehen! Entgegen des Steuersenkungsdogmas der FDP haben die USA nämlich eine Verschuldung von 106% des BIP und Dänemark nur 42,9 %. Wie also nun die Staatsverschuldung senken? Da diskutieren dann die sogenannten Fachleute, über Schuldenbremse, mehr Wachstum, oder gar die Senkung der Sozialausgaben. Aber ein ausgeglichener Haushalt ist kein Hexenwerk, dazu dazu braucht es nur eins: Kenntnis der Grundrechenarten.
Wer mehr einnimmt, muss auch weniger Schulden aufnehmen. Mehr Plus als Minus ist immer noch Plus! Aber auch da scheint unser Bildungssystem versagt zu haben. Wer dagegen im Bereich Soziales, Bildung oder den Kommunen spart, der spart vor allem bei den Schwächsten in der Gesellschaft. Aber was die patentierten Christen von der CDU & die Steinbrücks der SPD nicht verstanden haben: In diesen Bereichen zu sparen, ist weder christlich noch sozialdemokratisch.
Wir müssen unsere Sozialsysteme ausbauen und so gestalten, dass die Mehrheit der Bürger davon profitiert. Dazu gehört eine solidarische Bürgerversicherung, in die alle einzahlen und aus der sich die Reichen – anders wie im jetzigen System – ab einem bestimmten Einkommen nicht verabschieden können. Dazu gehört eine bedarfsorientierte Grundsicherung und freie Bildung für alle! Kurz: Wir brauchen eine Sozialpolitik mit Herz statt mit Hartz.
Wir brauchen eine gerechtere Gesellschaft und wenn die Politiker dies nicht schaffen, dann müssen wir die Dinge eben so wie heute selbst in die Hand nehmen. Dazu gehört nicht nur, 2013 an die Wahlurne zu gehen, sondern zusammen mit den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen für mehr Gerechtigkeit einzutreten. Die Arbeitnehmer, die den Reichtum erwirtschaften, müssen endlich am Reichtum beteiligt werden. Deshalb brauchen wir nicht nur Mitsprache in Unternehmen, sondern auch Mitentscheidungsrecht und Unternehmensbeteiligung der Arbeitnehmer.
Ich verspreche euch nicht, dass dies einfach wird und schon gar nicht bequem. Wir werden alle einen langen Atmen brauchen, um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Aber ich sage euch, es wird sich lohnen heute, morgen und übermorgen gemeinsam zu kämpfen. Lasst uns heute den Marathon zur Bundestagswahl starten und dann die Neoliberalen und Agenda-2010-Architekten in die Wüste schicken. Wir brauchen keine Merkel und keinen Steinbrück: Wir brauchen Gerechtigkeit.
Hallo zusammen und danke für den Beitrag.
Ich habe im Übrigen die Rede von Marco Radojevic auf Video mitgeschnitten –>
http://www.southvibez.de/blog/me-say-war-volker-losch-emport-euch-an-den-umfairteilen-aktionstagen-2012/
Lieber Marco,
liebe Organisatoren und Mitstreiter bei „UmFAIRTEILEN“,
für deine beeindruckende Rede zum Aktionstag „UmFAIRteilen“ in Konstanz wollte ich mich herzlich bedanken.
Aufrüttelnd und vor allem äußerst sachlich und argumentativ hast du die Forderungen begründet, die an diesem Tag im Mittelpunkt standen.
Der neueste Armutsbericht der Bundesregierung, der in der CDU und FDP am besten schon als Entwurf hätte unter die Decke gekehrt werden sollen, hat es selbst festgehalten: Wir kommen ohne ein Umverteilen nicht wieder aus der immer weiter klaffenden Schere zwischen Arm und Reich hinaus.
Während in Europa Milliarden wie Bonbons versprochen werden, müssen sich „Hartz IV“-Empfänger mit wenigen Euro mehr begnügen – und weiterhin Torturen in den Jobcentern über sich ergehen lassen. Die Millionäre und Milliardäre in unserem Land, die ihr Vermögen nie werden ausgeben können, verlieren vollkommen das Empfinden für ein Maß an Gerechtigkeit, die Gier zerstört nicht nur ein Gleichgewicht an Verteilungen, sondern vor allem das Vertrauen in ein Gesellschaftsbild, das von Einigkeit geprägt ist.
Deutschland braucht ein konsequentes Umdenken: Der Neokapitalismus ist gescheitert – er hatte nie eine Chance. Die FDP fürchtet um ihre vielen unternehmerischen Verzweigungen, die die Partei überhaupt noch über Wasser halten – und bleibt uneinsichtig und getrieben von dem Empfinden, dass nur Leistungsträger in unserer Gesellschaft Platz hätten. Rückenwind bekommen die Liberalen, vor dessen Absturz in die Bedeutungslosigkeit sich wohl niemand fürchtet, auch von Teilen derer, die meinen, soziale Politik zu betreiben.
Ein Kanzlerkandidat, der maßgeblich an den Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt beteiligt war und damit für eine massive Verschärfung des Armutspotenzials in diesem Land verantwortlich ist, will nun „Beinfreiheit“ und zeigt wenig Reue oder gar Absichten, sich von den damaligen Fehlern zu distanzieren. Die SPD hat in der Großen Koalition bewiesen, dass sie bereit ist, solidarische Grundwerte aufzugeben. Sie ist heute nicht mehr Vertreter der Arbeitnehmer und der schwächeren Gesellschaft, sondern bietet sich rechts der Mitte den Freien Demokraten an für eine mögliche Zusammenarbeit nach 2013 an.
Statt auf einen gleichberechtigten Wohlstand zu blicken, beschleunigen die meisten Parteien mittlerweile eine Klientelpolitik zugunsten derer, von denen sie die meisten Spenden erwarten dürften. Beispiele aus der aktuellen Vergangenheit zeigen Klüngel und Korruption auch bei uns – und so werden die Unter- und untere Mittelschicht mit Begnügsamkeit abgespeist, während Entlastungen vor allem denen zugutekommen, die nicht mehr wissen, wo sie ihr Geld als nächstes in zerplatzende Spekulationsblasen werfen sollen. Scheinheilig wird dann von Förderung der deutschen Wirtschaft gesprochen, wenn die „Kalte Progression“ abgemildert werden soll oder wichtige Subventionen zugunsten des Wettbewerbs fallen. Die Entfremdung eingefahrener Politik von den Realitäten im Alltag ist ein zentraler Grund für die Gefahr von ernsthaften Spaltungen in unserem Land. Aus Angst vor Abwanderung der Reichen passt man sich nahezu rühmend den globalisierten Zwängen an, ein europaweites Eintreten für Vermögensumlagen wäre allerdings wohl kaum leichter zu bekommen, als in der derzeitigen politischen Lage auf unserem Kontinent.
Die Bürgerinnen und Bürger erkennen in der Euro-Schulden-Krise, die eigentlich im Skandal um entfesselte Spekulationen und Abzocke der Staaten durch die Banken ihre Ursache findet, dass ein derartiger Schiefstand nicht mehr hinzunehmen ist. Bürgerbeteiligung bekommt immer größeren Stellenwert – und im Sinne der Solidarität ist es an der Zeit, sich unter denen zu verbünden, die für eine Umverteilung ausnahmslos eintreten. Dabei gibt es bereits gute Vernetzungen und Strukturen – und sicherlich wird man schon recht bald auf ähnliche Protestbereitschaft wie 2004 stoßen können, als Kanzler Schröder das Ende des Sozialstaates verkündet hat.
Wer es ernst meint mit der Menschenwürde, der kommt um einen Mindestlohn ebenso nicht umhin wie um eine Vermögenssteuer und einen höheren Spitzensatz für Vielverdiener. Gleichzeitig bleibt aber auch nichts Anderes übrig, als internationalen Druck aufzubauen, um Banken- und Spekulationsabgaben durchzusetzen und Steuersünder mit größtmöglicher Androhung strafrechtlicher Konsequenz auf ihre Verpflichtung für unser Land aufmerksam zu machen. Wir brauchen für Geringverdiener keine Privatvorsorge in der Rente, sondern einen Sockelbetrag, der steuerfinanziert vor Armut im Pensionsalter schützt. Tatsächlich hat Deutschland nicht nur ein Problem mit den Einnahmen, sondern auch mit den Ausgaben. Doch nicht dort, wo Union und Liberale sparen wollen, gibt es Puffer: Unsinnig hohe Haushalte für Verteidigung oder ineffektive Geheimdienste, Steuervergünstigungen für Unternehmer oder Fehlinvestitionen in der Infrastruktur, Bürokratie und Umweltpolitik sind die wirklichen Allesfresser, die in unseren Budgets Summen verschlingen, die jeder Sozialhilfeempfänger nicht einmal an den Nullen abzählen kann.
Auch in Konstanz leben wir nicht in paradiesischen Zuständen: In den letzten Wochen habe ich mich ausdrücklich stark gemacht, dass wir Abstand nehmen von dem Denken, uns gingen die Probleme der Sozialgesellschaft in einer vergleichsweise wohlhabenden Stadt nichts an. Anstatt sich um Sitzkreise im Rathaus zu bemühen, brauchen auch wir vor Ort ein konkretes Eintreten für mehr solidarisches Handeln. Auch in Konstanz stehen die Menschen vor den „Tafeln“ – Einrichtungen, für die wir dankbar sein können, aber die der Bundesrepublik eigentlich unwürdig sind. Und auch hier geht die Altersarmut nicht an vielen Senioren vorbei, sind Kinder auf eine kostengünstige warme Mahlzeit in den Schulen angewiesen, müssen Behinderte und chronisch Kranke um jede Hilfestellung kämpfen, erfahren Migranten und auch Homosexuelle immer wieder die kalte Schulter oder brauchen Alleinerziehende Unterstützung in der Erziehung und Betreuung. Konstanz ist nicht das alleinige Pflaster von wohlbetuchten Touristen und Stipendiaten an der „Elite“-Uni. Und nein, ich will auch keine Stadt, die sich abgeschottet gegenüber der Wirklichkeit mit verschlossenen Augen vor allem drückt, was unangenehm sein könnte.
„UmFAIRteilen“ hat in vielen Städten Deutschlands ein Zeichen gesetzt. Das kann nur der Anfang gewesen sein für eine Bewegung, die derzeit eine günstige mediale Lage vorfindet. Entsprechend hoffe ich, dass die Teilnehmerzahlen künftig noch steigen werden und sich die Thematik mitten in den gesellschaftlichen Diskurs einbrennt.
Herzlich und solidarisch
Dennis
Würde ich den Redner nicht besser kennen, müsste ich ihn wegen seines Verweises auf dem faschistischen New Deal Roosevelts in die Reihe dessen Zeitgenossen Hitler und Stalin stellen – ebenfalls bekennende Sozialisten, die zugunsten ihrer Gesellschaftsutopien enteigneten und ermordeten.
Was damals die Juden waren, sind jetzt die Reichen. Who is John Galt?
Dass der Wohlfahrtsstaat gescheitert ist, hat man wohl noch nicht verstanden. Verantwortlich für die großen Krisen der letzten Jahren schlittern wir durch ihn in immer größere.
Es ist vollkommen richtig, nicht haftende Banken anzuprangern und Haftung für Manager zu fordern. Statt jedoch nach fremden Geld zu gieren,täte etwas mehr Zurückhaltung gut. Der Wohlfahrtstaat Deutschlands verteilt um von unten nach oben.Nicht den Armen wird geholfen, sie werden zusätzlich belastet. Profitieren tun nur die Nettostaatsprofiteure.
Dass sich Verschuldung durch mit Enteignung finanzierte zusätzliche Verschuldung lösen lässt, ist erbärmliche Logik.
Dass lediglich ein armseliges Häuflein von 70 Demonstranten in Konstanz zusammenkommt – bundesweit etwa 0,05% der Bevölkerung – und man dies sogleich aufs Wetter schiebt, zeigt ebenfalls, dass der Unfairteilungstag offensichtlich nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Sozialistische Experimente darf sich Deutschland nicht noch einmal erlauben – und bis auf ein paar Häuflein Bürger voller guter Intentionen, aber jedweder wirtschaftlicher Ahnung, scheint dies gesellschaftlicher Konsens zu sein. Auch wenn es immer weiter in diese Richtung geht…
„Wir brauchen soziale Gerechtigkeit!“ beklagte auch Jürgen Geiger in seiner anschließenden Rede am Samstag. Und ein Waldshuter Gewerkschafter forderte klare Grenzen für das Großkapital. Umfairteilen bedeutet meines Erachtens ebenso die Einhaltung der Menschenrechte für wirtschafts-politische Flüchtinge aus Afrika und Afghanistan.