Anders wirtschaften: Renaissance der Genossenschaften
Die globale Krise des Finanzkapitalismus schärft den Blick für Alternativen. Dass eine andere, menschenfreundliche Wirtschaft möglich ist, dokumentieren zwei aktuelle Buch-Neuerscheinungen. Sie berichten von der real existierenden Vielfalt von Genossenschaften, Kooperativen und alternativen Wirtschaftsbetrieben. Und einer der Herausgeber ist seemoz-Autor Pit Wuhrer – ein Grund mehr, dieses lesenswerte Buch zu erwähnen
Seit zwei Jahrzehnten predigt der Neoliberalismus, dass die auf Gewinn, Konkurrenz und Effizienz beruhende Marktwirtschaft die beste aller Wirtschaftsformen sei. Dabei geht vergessen, dass es immer auch Gegenprojekte zur blinden Gewinnmaximierung gab. Und zwar dauerhafte und sehr erfolgreiche. Am bekanntesten sind die gemeinnützigen Genossenschaften. Sie stellen das Gemeinwohl anstelle des Profits des Einzelnen ins Zentrum. Obwohl ein altes helvetisches Kulturgut – schon der Name «Eidgenossenschaft» zeigt es an -, galten sie lange Zeit als antiquiert und überholt. Jetzt erleben sie eine Renaissance.
Die Uno hat das Jahr 2012 zum Jahr der Genossenschaften gekürt. Also ein geeigneter Rahmen für die Herausgabe des Bandes «Genossenschaften: gemeinsam erfolgreich» von Martin Arnold, Urs Fitze und Daniel O. Maerki. Die beiden Ostschweizer Journalisten haben es sich zusammen mit dem Geschäftsführer der Sektion Zürich des Verbandes Wohnbaugenossenschaften Schweiz zur Aufgabe gemacht, anhand von Porträts und Interviews die Aktualität der Genossenschaften und gleichzeitig ihre Formenvielfalt vor Augen zu führen. Marktorientierte Großgenossenschaften wie Coop, Migros oder Raiffeisen gehören zu unserem Alltag. Aber auch Unternehmen wie die Schweizer Reisekasse (Reka), die Gläubigergenossenschaft Creditreform oder die Autoteilgenossenschaft Mobility bedienen ein breites Publikum. Und alle operieren erfolgreich am Markt. Auch wenn bei einigen von den ursprünglichen Prinzipien Solidarität und Selbstihilfe nicht mehr viel übrig geblieben ist.
Genossenschaften sind dort gefragt, wo das Gemeinschaftselement im Vordergrund steht. Aber ein Allheilmittel sind sie nicht. Laut dem Forscher Robert Purtschert haben Genossenschaften die größten Potenziale in der Landwirtschaft und im Gewerbe. Wohltuend am vorliegenden Buch ist, dass die Modernität der Genossenschaften herausgestrichen wird, sie aber auch nicht glorifiziert werden. Der Band ist zweifellos ein wichtiger und lesenswerter Beitrag zur Aufklärung über eine zu Unrecht diskreditierte Wirtschaftsform, die für die Zukunft einiges verspricht.
Konkrete Alternativen zum Kapitalismus
Dass Menschen überall auf der Welt konkrete Alternativen zum Kapitalismus leben, dokumentiert der von Bettina Dyttrich und Pit Wuhrer herausgegebene Band «Wirtschaft zum Glück». Unter dem Titel «Solidarisch arbeiten heute, weltweit» versammelt er zahlreiche Berichte und Reportagen über Selbstverwaltungs- und Genossenschaftsprojekte in allen Wirtschaftszweigen. Ein Teil der Features ist in der «WochenZeitung» erschienen, die selbst ein seit bald 30 Jahren funktionierendes Kollektiv ist.
Man lernt den baskischen Kooperativenverbund Mondragón kennen, die britischen Credit Unions und ein deutsches EW, das Ökostrom anbietet, aber auch philippinische Bioreisproduzenten oder eine unkonventionelle Schuhwerkstatt im östereichischen Waldviertel – wenig bekannte und teils «unmögliche» Projekte jenseits von Profit und Umweltzerstörung.
Auch hier ist Staunen über die alternativökonomische Diversität angesagt. Über die Jahrzehnte hat sich weitgehend unbemerkt eine Graswurzelrevolution abgespielt. Allein schon die Existenz dieser Szene straft die neoliberale Legende von der kapitalistischen Exklusivität Lügen. Dieses Buch hat wenig Chancen, in der Rubrik «Ökonomische Literatur» der NZZ besprochen zu werden, liegt es doch quer zu zentralen Ideologien des Zeitgeistes. Umso wertvoller ist es aber für die Frage einer nachkapitalistischen Zukunft, die sich immer mehr aufdrängt. Indem das Buch aufzeigt, dass viele Projekte unvollendet, widersprüchlich und konfliktvoll sind, widersteht es der Versuchung, eine heile Welt zu zeichnen und billige Rezepturen für die Pathologien der Moderne anzubieten.
Doch der Grundton ist optimistisch. «Wir werden immer mehr», schreibt Pit Wuhrer im Vorwort. Er diagnostiziert, dass die Voraussetzungen für eine solidarische und dezentrale Ökonomie nicht zuletzt dank neuen technologischen Möglichkeiten heute so gut seien wie nie. Hoffentlich trifft diese Analyse zu.
Die Bücher:
Martin Arnold, Urs Fitze, Dr. Daniel O. Maerki: Genossenschaften: gemeinsam erfolgreich. Eigenverlag Pressebüro Seegrund, 2012, 144 Seiten, Fr. 35.–
Bettina Dyttrich, Pit Wuhrer: Wirtschaft zum Glück. Solidarisch arbeiten heute, weltweit. Rotpunktverlag 2012, 270 Seiten, Fr. 28., € 22.
Autor: Ralph Hug/WOZ