„Wir sollten Feigenblatt-Funktion haben“

Nachdem einige Mitglieder des Gemeinderats vor ein paar Tagen sichtlich angeschickert einen Kapitän der Fähre zu Segelmanövern veranlasst hatten, die manche Fahrgäste an den Untergang der Titanic erinnerten (die lokalen Medien berichteten in dringend gebotener Ausführlichkeit), ging der komplette Gemeinderat am gestrigen Donnerstag wieder ganz nüchtern seiner Arbeit nach. Und die hatte es in sich und könnte durchaus noch internationale Bedeutung gewinnen

Fluglärm stinkt (den Anwohnern)

Der Kampf um einen Staatsvertrag mit der Schweiz um die An- und Abflüge am Flughafen Zürich hat mittlerweile Dimensionen gewonnen, die weit über die vom Fluglärm betroffenen südbadischen Landkreise Konstanz, Waldshut und Schwarzwald-Baar hinausreichen. Die Badener fühlen sich nicht nur von der schweizerischen Regierung, sondern auch von der eigenen Regierung in Berlin betrogen, und selten zuvor sprachen selbst altgediente CDU-Stadträte wie Wolfgang Müller-Fehrenbach und Alexander Fecker unter Szenenapplaus ihren in Berlin regierenden Parteigenossen, insbesondere dem CSU-Verkehrsminister Peter Ramsauer, derart entschlossen ihr geballtes Misstrauen aus („ich trau niemand mehr!“, „ich fordere politische Fairness auch von Ramsauer“).

Für höchstmögliche Aufklärung in dieser durchaus komplexen Angelegenheit sorgte Landrat Frank Hämmerle, der einen durch diverse Diagramme unterstützten, äußerst sachkundigen Vortrag hielt, der von Vertretern einer überaus engagierten Bürgerinitiative mit weiteren Fakten unterfüttert wurde. Zur Information: Zürich hatte im letzten Geschäftsjahr 2011 etwa 25 Millionen Passagiere, Frankfurt rund 56 Millionen Passagiere. Zürich ist also wahrlich kein Provinzflughafen. Laut „Blick“ sind 14% der Zürcher Passagiere Deutsche, 30% kommen aus der sonstigen EU, 31% sind Schweizer, 10% kommen aus Canada und den USA und der Rest sonst woher. Viele Passagiere steigen in Zürich nicht aus, sondern um, denn Zürich dient auch als wichtiger Hub-, sprich Umsteigeflughafen.

Eine Grafik aller An- und Abflüge von Zürich vom 15.10. zeigte beispielhaft, wie sehr vor allem Konstanz, der schweizerische Seerücken und der Hegau vom Flugverkehr betroffen sind, am allerschlimmsten aber erwischt es den Landkreis Waldshut – in der gesamten Gegend bündeln sich die derzeit jährlich 80.000 An- und Abflüge wie Adern in einem Kabel, während noch darüber auf 30.000 Fuß [ca. 10 km] eine Luftverkehrskreuzung liegt, in der aber so hoch geflogen wird, dass man sie am Boden kaum wahrnehmen kann.

Der Flughafen Zürich wickelt rund 90% seiner An- und Abflüge über südbadischem Gebiet ab, und dazu zählen auch solche Flüge, die nach Süden, etwa nach Rom, gehen oder von dort kommen. Kein einziger der an diesem 15.10. auf der Karte dargestellten Flüge allerdings ging vom Flughafen Zürich aus nach Süden über die Zürcher Goldküste, was seltsamerweise selbst bei den politischen Handlangern der Reichen und Schönheitsoperierten (FDP, CDU) im Konstanzer Gemeinderat für erhebliches Murren sorgte.
Es gibt verschiedene Faktoren, die die Menge des am Boden zu hörenden Lärms beeinflussen, und dazu zählen neben wechselnden meteorologischen Bedingungen vor allem die Flughöhe und die Zahl der An- und Abflüge. Waldshut etwa ist keine Parkzone für kreisende Jets wie andere Regionen, sondern dort beginnen die Flieger bereits ihren Landeanflug oder sind, falls sie in Zürich starten, noch im Steigflug und röhren dementsprechend tief und damit laut daher. Dort sollen beispielsweise startende Flugzeuge eine Mindestflughöhe einhalten, die aber nur wenige Jets erreichen. Über Konstanz hingegen war eine Flughöhe geplant, bei der wenig Lärm am Boden angekommen wäre.

Landrat Hämmerle, der ebenso wie seine Landratskollegen aus Waldshut und Villingen-Schwenningen nach seiner eigenen Darstellung von den VerkehrsministerInnen Doris Leuthard (CVP) auf schweizerischer und Peter Ramsauer (CSU) auf deutscher Seite nur gnadenhalber zu den Verhandlungen über den Staatsvertrag hinzugezogen wurde und dort nix zu sagen hatte, machte deutlich, dass es hier um einen Vertrag geht, der zwischen Staaten geschlossen wird, dem Völkerrecht unterliegt und auf die Interessen von Landkreisen oder gar die Anliegen von Landräten oder Oberbürgermeistern wenig bis keine Rücksicht nimmt: Regionale und lokale Interessen sind im Völkerrecht einfach irrelevant. Hämmerle selbst durfte nach seinen Angaben während der Verhandlungen kein Wort sagen, sondern bestenfalls mit der Schulter zucken oder sich sonstwie nonverbal äußern, damit sich das deutsche Team eine Auszeit in der Kabine nahm, wo es sich unbelauscht wähnte. Hämmerle formulierte diesen Punkt so, als wolle er nicht ausschließen, dass die Schweizer das deutsche Team dort abgehört hätten. Aber auch innerhalb des deutschen Teams gab es Interessenkonflikte: „Wir Landräte [von KN, WT und VS] sollten eine Feigenblattfunktion für regionale Beteiligung haben, haben uns aber als Feigenblatt nicht geeignet.“

Man merkt schon: Das Misstrauen sitzt tief. Südbaden misstraut Bonn, äh Berlin, (übrigens ein beliebter Versprecher in dieser Sitzung) und Bern gleichermaßen. CDUler verdächtigen ihre Parteigenossen in Bonn des Verrates der regionalen Interessen, und jeder will gern von Züri aus fliegen, aber verhindern, dass sein geliebter Kirchturm unter den Schallwellen der Jets erzittert und damit gar noch die Touris wegbleiben und die Wiederverkaufswerte der Grundstücke sinken.

Das Verhandlungsergebnis für den Staatsvertrag sieht – verkürzt gesagt – so aus: Man hat sich auf einen allgemeinen Vertragstext geeinigt, in dem aber, weil das Völkerrecht es angeblich oder tatsächlich nicht erlaubt, konkrete Flugrouten, Flugzahlen und Flughöhen nicht festgelegt werden dürfen (!) Das klingt absurd: Wenn sich zwei souveräne Staaten nach dem Völkerrecht nicht mal auf konkrete Anflughöhen und -zeiten für Jets einigen dürfen, kann man mit allem Verlaub die Souveränität dieser beiden Staaten bezweifeln, wie Hämmerle kritisch anmerkte.

Das heißt, dass Deutsche und Schweizer einen gemeinsamen Vertragstext haben, aber die Details für die reale Flugbelastung, wie sie jedes Land selbst in einem Anhang regelt, komplett verschieden verstehen.
Die badische Seite sieht laut Hämmerle folgendes Szenario:

2009: Die Deutschen fordern in der Stuttgarter Erklärung eine Begrenzung auf jährlich 80.000 Flüge über Südbaden.

  • Februar 2011: Der deutsche Verkehrsminister Ramsauer kündigt an, man werde sich einvernehmlich einigen.
  • Im Januar 2012 verspricht eine gemeinsame Davoser Erklärung einen Staatsvertrag bis Mitte 2012.
  • Von März bis Juli 2012 gibt es fünf Verhandlungsrunden zwischen der Schweiz und Deutschland, wobei natürlich, da rechtlich geboten, nicht die Landkreise, sondern der Bund die Verhandlungen führen. Man einigt sich auf einen Staatsvertrag, der am 4.9. paraphiert wurde und noch vor Weihnachten 2012 unterschrieben werden sollte.

Doch dann machen nach Hämmerles Angaben die Schweizer einen überraschenden Rückzieher: Sie wollen plötzlich in einer Nachverhandlung die Sperrzeiten verkürzen, das heißt vor allem: morgens bereits früher fliegen dürfen. Außerdem tauchen im Internet Skizzen der schweizerischen Seite, unter anderem des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL), auf, die deutlich machen, dass die schweizerische und die deutsche Interpretation dessen, wie sich der Staatsvertrag auf den Flugverkehr auswirken wird, sehr erheblich unterscheiden. Die deutsche Seite erwartet in den betroffenen Landkreisen weniger Lärm, weil Anflüge die Agglomeration Konstanz-Kreuzlingen umgehen und stattdessen aus großer Höhe über Friedrichshafen herein rauschen sollen. Die schweizerische Seite deutet in ihren Landkarten den Vertrag hingegen so, dass sie statt 80.000 künftig 110.000 Flugzeuge über Südbaden schicken und Flughöhen vermindern darf, was deutlich mehr Lärm mit sich bringen, den Flugverkehr aber auch profitabler gestalten würde.

Keine Angst, wir haben es mit Juristen zu tun, und damit wird es noch komplizierter: Karten mit konkreten An- und Abflughöhen und -routen können laut Landrat Hämmerle wegen des Völkerrechts nicht Inhalte eines Staatsvertrages selbst werden, sondern nur Bestandteile der anhängenden Dokumente sein. Mit anderen Worten: Im Moment gibt es einen einzigen gemeinsamen Staatsvertragstext, aber zwei total gegensätzliche Auslegungen. Die Schweizer wollen mehr Krach über deutschem Gebiet zulassen, die Deutschen haben gedacht, man habe sich auf weniger Krach geeinigt. So lange dieser Staatsvertrag von den Parlamenten beider Staaten nicht verabschiedet ist, kann Deutschland allerdings seinen Luftraum für Anflüge auf Zürich zu beliebigen Zeiten per einer Durchführungsverordnung sperren und hat damit ein Druckmittel in der Hand. Andererseits weiß man auch in Deutschland die Vorteile dieses nahe gelegenen Flughafens zu schätzen, zumal Stuttgart und München weit entfernt sind. Und die Politiker in Berlin lassen sich von Befindlichkeiten in Deutschlands Südwestzipfel scheint’s wenig beeindrucken, sondern setzen eher auf einen profitablen Abschluss mit der Schweiz.

Sowohl Landrat Hämmerle als auch der Konstanzer Gemeinderat fühlen sich sowohl von Doris Leuthard (CVP) auf schweizerischer als auch von Peter Ramsauer (CSU) auf deutscher Seite belogen und betrogen (diese Worte fielen tatsächlich). Sie setzen darauf, dass der deutsche Bundestag ebenso wie anschließend eventuell der deutsche Bundesrat diesem Staatsvertrag in der aktuellen Form nicht zustimmen und wollen gehörig Druck machen. Die CDU- und FDP-Landesgruppen in Berlin wollen diesen Vertrag bereits kippen.

Oberbürgermeister Uli Burchardt verlas denn auch eine gerade eingelaufene schwesterliche SMS der FDP-Abgeordneten Birgit Homburger aus Berlin, dass sich die FDP-Landesgruppe [ebenso wie die CDU-Landesgruppe] dem Staatsvertrag verweigern werde. Das Ziel der Konstanzer sind neue Verhandlungsrunden und ein neuer Staatsvertrag, um den Fluglärm von deutschem Gebiet fernzuhalten. Denn eines wurde ganz deutlich: Man schätzt auch in Konstanz den Flughafen Zürich als Standortvorteil ganz außerordentlich, wachsenden Fluglärm aber fürchtet man als Standortnachteil. Also heißt es aus südbadischer Sicht, den Staatsvertrag in seiner jetzigen Form zu kippen, auch gegen den Widerstand der derzeitigen Bundesregierung, und mit sämtlichen Verhandlungen komplett von vorn zu beginnen, um zu einem anderen Staatsvertrag zu kommen. Die Gemeinderätinnen und -räte unterschrieben denn auch geschlossen eine derartige Resolution.

Livestream

Man erinnert sich vielleicht noch: Der Gemeinderat wollte per Internetübertragung der Sitzungen mehr Öffentlichkeit herstellen, und der Südkurier wollte testhalber fünf Sitzungen (so genannte Livestreams) im Internet übertragen. Es war anfänglich ein richtig großes Geschiss mit Datenschutzbeauftragten, Umsetzen der Verwaltung auf die Zuschauerbänke und ähnlichem Blödsinn. Der Südkurier hat zwei Liveübertragungen veranstaltet und sich danach kommentarlos zurückgezogen, er hat keine Gründe angegeben und blieb auch dem Gemeinderat jeden Kommentar schuldig.

Vera Hemm von der Linken Liste geißelte dies mit allem Recht als Missstand: „Da sich die Stadt aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht dazu imstande sah, hat der Südkurier die Übertragung übernommen und die Übertragungen auch groß angekündigt. Von mehr Bürgernähe und verbesserter Transparenz war dabei die Rede. Mindestens fünf Übertragungen waren geplant, aber nach der zweiten kam nichts mehr. Von Anfang an war klar, dass uns [dem Gemeinderat] bereits nach den ersten Übertragungen konkrete Daten mitgeteilt werden, um herauszufinden, ob das Livestream-Angebot überhaupt angenommen wird. Wir von der LLK fragten beim Südkurier nach und bekamen die Antwort, dass der Verlag interne Daten nicht veröffentliche. Transparenz ist aber keine Einbahnstraße und wir bitten Sie hiermit, Herr Oberbürgermeister, den Südkurier aufzufordern, uns die Daten umgehend zur Verfügung zu stellen.“ Oberbürgermeister Uli Burchardt sicherte ihr zu, die Daten zu beschaffen, nachdem der Südkurier der LLK die Auskunft verweigert hat.

Hart vor dem Wind

Die Bürger wollten es dieses Mal echt wissen. Immerhin drei von ihnen traten in die Bütt und geißelten etwa Missstände wie die Begegnungszone, dies aber so heftig, dass sich Baubürgermeister Kurt Werner in seinem Sessel sichtlich wand. Aber vor allem die abschließenden Anträge der Verwaltung hatten es in sich, sprich Anliegen des Oberbürgermeisters an den Gemeinderat, die man durchaus auch als Mitteilungen des OBs ans Volk verstehen kann.

So wollte der OB wissen, wie sich der Gemeinderat denn die Klärung der Finanzen der Philharmonie vorstelle. Während der eigentlich der Wahrung des Privateigentums verpflichtete und sonst gänzlich besonnene Michael Fendrich (FDP) dafür plädierte, dem Noch-Intendanten Florian Riem das Gehalt vorzuenthalten, bis der endlich die wirkliche finanzielle Lage der Philharmonie preisgebe, war etwa Altmeister Jürgen Leipold (SPD) skeptischer. Er schlug vor, zuerst das lokale RPA (Rechnungsprüfungsamt) und danach das unabhängige GPA (Gemeindeprüfungsamt) über die Bücher zu lassen. Das GPA kostet etwa 10 .000 Euro und kann einen Bericht bis Mitte November vorlegen, das lokale RPA kostet nix, kann aber erst zu einem unbestimmten Termin liefern. Es klang an, dass Oberbürgermeister Uli Burchardt die teurere Variante mit dem GPA wählen wird, weil er auf ein vor allem schnelles & brauchbares Ergebnis setzt. Es gibt gute Argumente dafür.

Autor: O. Pugliese