Polizei verbietet Gedenkkerzen
Zu der Konstanzer Gedenkveranstaltung der Stolperstein-Initiative für die 112 im Jahr 1940 aus Konstanz ins Lager Gurs Verschleppten kam heute Abend auch ein Streifenwagen der Polizei. Die beiden Polizisten erkundigten sich – eine Kopie der Genehmigung in der Hand – nach den Verantwortlichen. Kurz nach Ende der Veranstaltung kam erneut ein polizeiliches Zweierteam: Es müsse ständig jemand anwesend sein, um die noch brennenden Gedenkkerzen zu überwachen. Dies wurde zugesichert. Etwa eine halbe Stunde später kamen die beiden erneut: Da die Veranstaltung nur bis 18 Uhr genehmigt sei, müssten die Kerzen gelöscht und alles abgeräumt werden. Bei Zuwider(nicht-)Handlung wurden, in freundlichem Ton und mit gewissem Bedauern, polizeiliche Zwangsmassnahmen angedroht. 18:10 wurden alle Kerzen gelöscht und zusammengetragen.
Konsequenterweise müsste der komplette Hemdklonker-Umzug verboten werden.
Offenbar war den Beamten ja selbst unwohl dabei, das geltende Recht durchzusetzen. Da treffen Juristerei und Verstand aufeinander, prallt Pflicht auf Emotion.
Zweifelsohne ist man in Konstanz mit mancher Bürokratie noch weiter als anderswo: Man erinnere sich an das brachiale Einsammeln von Geld und das Vertreiben eines Künstlers auf der Marktstätte, das für stadtweites Entsetzen gesorgt hatte.
Insgesamt muss man die Verhältnismäßigkeit in Frage stellen: Protestieren andernorts Rechtsextreme, ist man mit Kontrolle auffallend zurückhaltend. Sind es dann aber die Projekte, die Frieden stiften sollen und von denen wohl schon aus der Sache keine Gefahr und viel Umsichtigkeit zu erwarten ist, wird manch einer zum Erbsenzähler.
Es steht und fällt mit dem, der eine Regelung zu überwachen hat – mit den Polizisten, die mehr oder weiger Spielraum in der Ausübung der Dienstanweisung sehen. Und letztlich ist es auch immer wieder ein Stück weit die persönliche Einstellung, die zum Schikanieren oder Tolerieren ermutigt.
Im hiesigen Fall kämpfte der Beamte wohl selbst mit sich und mit dem, was ihm der Stadt vorgibt. Ein Zeichen dafür, wie viele Gesetze und Verfügungen von der Praxis entfernt sind…
Formal mag das Vorgehen der Polizei ja sogar rechtmäßig gewesen sein, die Frage ist jedoch, welchem Amts- äh träger so wichtig war, die Lichter möglichst rasch gelöscht zu wissen und dazu dreimal einen Streifenwagen in Bewegung setzen konnte. Waren da wieder unsere heldenhaften Verfassungsschützer am Werk? Oder irgendein rechtslastiger Polizeihäuptling?
Auf polizeiliche Anordnung mussten 112 Gedenkkerzen gelöscht werden. Entzündet für Opfer, die im Jahr 1940 aus Konstanz nach Gurs verschleppt wurden. Wie müssen sich bei diesem Vor-gehen Angehörige der Opfer fühlen? Wie junge Menschen, die sich bei der Gedenkfeier engagiert haben? Und Bürger, stell-vertretend für uns Konstanzer? Das Vorgehen hat Symbolcharak-ter. Wer eine für einen Verstorbenen entzündete Kerze eigen-händig löscht, löscht nach urchristlichem Verständnis und in allen Religionen, das Leben des Menschen erneut. Das kann ich als Christ nicht hin nehmen und ist für mich untragbar. Auch in Zukunft müssen wir uns unserer Vergangenheit erinnern. Sonst haben wir keine Zukunft! Im Öffentlichen Raum, ehrenvoll, eindrucksvoll und nachhaltig. Sechs Millionen Opfer mahnen uns!
Hans Günter Heider
Dies ist ein für mich nicht nachvollziehbares Vorgehen gegen eine eindrucksvolle Form des Gedenkens durch eine ausserordentlich engagierte Initiative von Konstanzer Bürgern. Welche Gefahr hätte von den brennenden Lichtern in einer Umgebung aus Stein und Beton ausgehen können? Es gibt in der jüdischen Tradition verschiedene Tage und Anlässe, so u.a. an der Jahrzeit von Verstorbenen, am Jom Kippur und an bestimmten anderen Feiertagen sowie am Jom haSchoah (Holocaust-Gedenktag) für die Ermordeten, ein Ner Neschama, ein Seelenlicht, zu zünden. Diese Lichter müssen sogar 26 Stunden brennen und werden keinesfalls eigenhändig gelöscht. Was ist das für ein Signal der “Staatsgewalt” vor allem an junge Menschen, von denen in den Gedenkreden der Politiker zu Recht gefordert wird, sich an das, was in Deutschland passiert ist, zu erinnern?
Thomas Uhrmann
Ehrenamtlicher Leiter der Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek der Israelitischen Kultusgemeinde Konstanz