Gehn wir am Wochenende mal wieder ins Theater
Wie wär’s mal wieder mit Theater? Am kommenden Wochenende gibt es vom heutigen Freitag bis Sonntag mindestens drei verschiedene Möglichkeiten, in die Bühnenwelt einzutauchen. Und das gilt, auch wenn das große Haus des Konstanzer Stadttheaters noch bis Mitte November umgebaut wird; und das gilt auch, wenn die viel gerühmten „Gegen die Wand“-Aufführungen an diesem Wochenende wegen einer Erkrankung der Hauptdarstellerin ausfallen müssen. Es gibt Alternativen:
Denn die Aufführungen des Wochenendes finden an ganz ungewöhnlichen Orten statt: Am Samstag im großen Sitzungssaal des Landratsamtes beispielsweise. Oder im Ballsaal des „Seerhein“-Restaurants, wo am Freitag und Samstag das skandalumwehte „Lametta“ auf die Bühne kommt.
„Lametta“ in 2. Fassung
„O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit“. Babs, Werners neue Lebensabschnittsgefährtin, träumt vom gemütlichen Heiligen Abend nur zu zweit. Sie hat den Christbaum geschmückt, besinnliche Musik aufgelegt und das romantische Weihnachtsmenü aus der »Brigitte« gekocht. Doch Werner hat Verpflichtungen. Er muss seinen Sohn Sebastian aus erster Ehe einladen. Und ein Weihnachten ohne die eigene Mutter ist auch undenkbar. Die kommt aber nur, wenn Werner seine Ex-Frau Rosy dazu lädt. So kommt eines zum andern, und einer zum andern. Als wäre das nicht schon genug für Babs Nervenkostüm, kreuzen auch noch ihr betrunkener Ex-Mann Lutz und ihre gemeinsame Tochter Nora. Schöne Bescherung. Und dass das Lametta am Tannenbaum fehlt, ist nur das kleinste Problem an diesem Abend.
In „Lametta“ (s. Foto) wendet sich Fitzgerald Kusz wieder seinem Lieblingsthema, der deutschen Familie, zu, diesmal in der zeitgemäßen Form der Patchwork-Familie. Eine bitterböse Farce, die alle Register der Situationskomik zieht und das „Fest der Familie“ auf aberwitzige Weise ad absurdum führt. Und man erinnert sich: Das nun in zweiter Fassung auf die Bühne kommt (seemoz berichtete), nachdem die erste Version samt Regisseur Lugerth in Ungnade gefallen war.
Vorstellungen: Fr., 2.11. und Sa. 3.11., 20:00 UHR, Restaurant Seerhein Ballsaal
Wenn Bürger Bürger spielen
Die beiden Konstanzer Theatermacherinnen Heinke Hartmann und Hilde Schneider haben sechs Monate lang mit 20 Bürgerinnen und Bürgern von 7 bis 70 Jahren einen ganz persönlichen Blick auf den Kern unserer Demokratie geworfen und diese Schauspiel-Show entworfen: Kurze Sketche jeweils, in denen die Darsteller – Junge wie Alte, Frauen wie Männer, Deutsche wie Migranten, Menschen mit wie ohne Behinderung, „Un-Beteiligte“ ebenso wie bürgerschaftlich Engagierte, vornehmlich Konstanzer Bürgerinnen und Bürger – über Lust und Frust am bürgerschaftlichen Engagement referieren und räsonieren. Herausgekommen ist „Bürgerbeteiligung – ein Lustspiel“, das bei der ausverkauften Premiere am vergangenen Wochenende viel Zuspruch fand.
Vorstellung: Sa, 3. November, 20 Uhr, Landratsamt Gr. Sitzungssaal (Karten auch an der Theaterkasse)
Ein Roadmovie ohne Road und Auto
Der 14jährige Maik Klingenberg lebt mit seinen Eltern in einer pompösen Villa. Doch nur nach außen hin scheint alles perfekt. Die Mutter muss zum jährlichen Entzug auf die »Beautyfarm«, der Vater mit seiner Geliebten auf »Geschäftsreise« und Maik bleibt allein zu Hause. Mit zweihundert Euro Taschengeld ausgestattet, sieht er einsamen Sommerferien entgegen, denn Freunde hat Maik keine. Als Langweiler der Klasse hat er nicht einmal einen Spitznamen und zu der großen Geburtstagsfeier der Klassenschönheit Tatjana ist er auch nicht eingeladen. Da steht auf einmal Tschick, eigentlich Andrej Tschichatschow, vor Maiks Haustür, mit einem geklauten Lada. Tschick ist gerade erst neu in die Klasse gekommen, ein gebürtiger Russe aus der Hochhaussiedlung und ein »Assi«. Maik kann ihn nicht leiden, steigt aber trotzdem in den Wagen ein. In die Walachei soll es gehen, zu Tschicks Familie, doch schon bald fahren sie einfach drauf los, querfeldein, der Sonne und den Bergen entgegen, die Fenster heruntergekurbelt und die Freiheit genießend.
Wolfgang Herrndorfs Roman »Tschick« ist die Geschichte zweier Jungs auf einer Reise quer durch Deutschland, die nach Freiheit und Abenteuer schmeckt und doch nicht ewig dauern kann. Der Roman wurde mit dem Jugendliteraturpreis 2011 ausgezeichnet und von Robert Koall für die Bühne bearbeitet.
Vorstellungen: Fr. 2.11. und Sa. 3.11., jeweils 20 Uhr, sowie So. 4.11., 18 Uhr, Spiegelhalle
Autor: PM/hpk
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Wirklich „Tschick“?
Was ist an dem Oeuvre denn tatsächlich so toll?
Macht die Aneinanderreihung von Klischee an Klischee, „gewürzt“ mit starkem umgangssprachlichem Tobak schon einen gelungenen Jugendroman?
Der Entwurf der Figuren grenzt an Plattheit, alles entspricht der gängigen Vorstellung.
So sind die Dinge halt nun mal:
der konturlose „Psycho“ hat Schwierigkeiten mit den Mädchen, der Russe säuft, ist ansonsten aber gar nicht so doof, die sogenannte heile Welt ist auch nicht mehr das, was sie schien, Polizisten gucken selbstredend doof……so what?
Seite um Seite wartet man vergeblich auf die Vertiefung der Charaktere.
Genauso umsonst wartet man auf einen Sprung über die engen Leitplanken des Vorhersehbaren — auf irgendwas, was einen überrascht.
Alles verläuft/verhält sich genau so, wie man sich`s von vornherein vorstellen kann,
irgendwiegestaltete „Zumutungen“ an den Leser finden nicht statt.
Der Fortsetzungsroman in der „Brigitte“ ist ähnlich aufregend und „gewinnbringend“.
Ich fürchte, genau deswegen kommt das Buch so gut an;
alle können sich darin wiederfinden:
Wohlstandskids, die sich in der Attitüde des Rebellischen üben.
Genervtes Erziehungspersonal, das seinen Alltag reproduziert sieht.
„Kritische“ Eltern, die all das verstehen (wollen).
Und ein Feuilleton, das sich vor Lobhudelei überschlägt (Wenn ich`s recht erinnere, meint die FAZ, dass wir das in 50 Jahren noch werden lesen wollen….)
Damit ist die Sache genauso generationsübergreifend „gabentischtauglich“ wie eine Kirchentagsrede von Frau Käßmann oder eine Eintrittskarte für Peter Maffays „Tabaluga“.
Und genau deswegen kann es kein gelungener Roman über „Coming of age“ sein.
Älterwerden, Selbstwerden bedeutet Abgrenzung, Wut und Ausbruch.
Daran können nicht alle daran Beteiligten gleichzeitig Freude haben.
Auch entschärfen sich Generationenkonflikte nie konsensuell.
So etwas löst sich erfahrungsgemäss definitiv erst dann, wenn die ältere, „erziehende“ Generation zurück- oder abtritt:
die Welt der Literatur und des Films lebt (zu recht) von solchen „Vergebungs- /Erlösungsszenen“.
Wenn sich hingegen vorher schon alle weitgehend einig sind, dann handelt es sich vielleicht um ein schönes Märchen oder eine Beschreibung,in der sich alle irgendwo wiederfinden und die allen bestätigt, dass die Dinge nun mal so sind.
Und auch nicht zu ändern sind.
Zumindest wird die Frage nach der Veränderbarkeit erst gar nicht gestellt.
Für mich ist das das Schlimme an dem Buch:
Zum Schluss veranstaltet das Wohlstandkid (huch, wie rebellisch) zuhause eine kleine „destroy-party“, während der Russe (wieder) ins Heim muss.
Ist aber nicht schlimm, man darf ihn (nach angemessener Quarantänezeit) ja besuchen.
So wie der zu wilde Bello, für „draussen“ zu bissig, auch ins Heim muss.
Wo wir ihn selbstredend besuchen dürfen.
Kunst reflektiert immer auch die Befindlichkeit ihrer Zeit:
3 Mal kam mir in den letzten Wochen das Bild vom „Heim“ als Verwahranstalt von gesellschaftlich Unliebsamem unter:
— „Picknick am Valentinstag“: das Waisenkind soll zum Schluss wieder dahin zurück.
Das Mädchen entzieht sich diesem Diktat allerdings durch den Sprung vom Dach der viktorianischen Internatsschule — immerhin ein wenn auch tragischer Akt der Rebellion und individuellen Verweigerung.
— „This ain`t California“: da zündet der skatende Protagonst das Heim, das der kollektiven Zurichtung dient, schlicht an.
— Und „Tschick“? Eben.
Da wird die Frage nach dem „Warum“, dem „Muss das eigentlich so sein?“ und, als Wichtigstes , dem „Muss das eigentlich immer so bleiben?“ erst gar nicht gestellt.
Und deswegen passt „Tschick“, jetzt für die Kleinstadtbühne in der Provinz präpariert, so wunderbar in unsere Stadt:
der Zuschauer („alter Finne!“) schaudert „kritisch“ mit, wie „krass“ die grosse Welt doch sein kann — und darf sie doch lassen, wie sie ist.
Seine kleine am schönen See soll ja eh so bleiben, wie sie ist……
Tip als Alternative:
„Als wir träumten“ von Clemens Meyer.
Ein wirklich empatisches und wirklich wütendes Buch über wirkliche jugendliche Revolte in ostdeutschen Betonsilos.
Garantiert nicht generationenübergreifend gabentischtauglich.