Kampf gegen den Koran
In Thurgauer Volksschulen soll nur noch mit Lehrbüchern unterrichtet werden dürfen, die „weder frauenfeindlich, rassistisch noch mörderisch“ sind. Weshalb nur soll der Grosse Rat (Kantonsparlament) dieses hehre Ansinnen für ungültig erklären und dem Volk gar nicht erst zur Abstimmung vorlegen?
Den Antrag, erstmals im Thurgau eine Volksinitiative für ungültig zu erklären, unterbreitet die vorberatende Kommission dem Parlament. Die Kommission wiederum ist dabei mit der Kantonsregierung einig, die findet, dem Begehren mangele es „inhaltlich an Klarheit und Eindeutigkeit“ – Initiativtext und Initiativbegründung widersprächen sich. Die Initianten provozierten mit der Begründung eine Diskussion, die rassistische Töne annehmen und den Religionsfrieden gefährden könnte.
Koranlektüre in Volksschulen soll verhindert werden
Wer nur den Initiativtext liest, fragt sich, wie man denn bloß zu solchen Aussagen kommen kann. Da steht nämlich nur, das kantonale Volksschulgesetz solle durch den Satz ergänzt werden, „Lehrbücher, auch im religiösen Bereich, dürfen weder frauenfeindlich, rassistisch, noch mörderisch sein“. Wer die gerne und häufig in Internetforen oder Leserbriefspalten geführten Diskussionen sowie das Schweizer Minarett-Bauverbot im Hinterkopf hat, dem dämmert’s vermutlich, sobald er den Einschub „auch im religiösen Bereich“ liest. Es geht den Initianten nämlich nicht darum, Schulkinder vor Beschreibungen von Gräueln vom 30-jährigen Krieg bis zur Shoa zu verschonen oder Mädchen generell nicht mit Texten zu konfrontieren, die ihnen weniger Rechte zusprechen als Knaben. Es geht ausschließlich darum, die Koranlektüre in den Volksschulen zu verhindern.
Das aber wird nicht im Initiativtext klar, sondern nur in der Initiativbegründung. Dort heißt es: „Die Initiative will verhindern, dass Koran, Hadith’s und Teilauszüge davon den Kindern gelehrt werden, da sie unserer Verfassung grundsätzlich widersprechen“ (Grammatikfehler sind Bestandteil des Originalzitats). Jene rund 4 500 Personen, die das Begehren unterschrieben haben, taten das, um ein Koranverbot in der Volksschule zu erreichen.
Wie können Bücher mörderisch sein?
Das wiederum ist einer der berühmten Schüsse in den Ofen, denn Religionsunterricht ist im Thurgau nicht Sache der Schule sondern der Kirchen. In der Volksschule – das heißt vom Kindergarten bis zur 9. Klasse – wird an den Schulen kein Religionsunterricht erteilt. Wer seine Kinder einen solchen besuchen lassen will, schickt sie in einen von der jeweiligen Kirche angebotenen Unterricht. Der würde aber von der Initiative nicht berührt, weil 1. das Koranverbot nicht Gegenstand der Initiative ist und 2. die Initiative sich auf die Volksschule beschränkt.
Islamischen Religionsunterricht gibt es seit etwa zwei Jahren in Kreuzlingen – die Schulgemeinde (als Schulträgerin) stellt dafür lediglich Räume zur Verfügung. Sogar wenn die Initiative also eindeutig formuliert wäre, hätte sie keinen Einfluss auf diesen Unterricht. Ganz zu schweigen vom christlichen Religionsunterricht. Denn auch in der Bibel gibt es bekanntlich nicht gerade frauenfreundliche Sprüche, Drohungen und Grausamkeiten. Hätte die Initiative also Auswirkungen auf den Religionsunterricht, müsste sie alle Religionen bzw. deren „heilige Bücher“ gleich treffen.
Da sie sich aber auf die Volksschule konzentriert, würde sie den Religionsunterricht gar nicht berühren – aber womöglich Geschichtsbücher oder literarische Werke. Beispielsweise könnte es schwierig werden, die Geschichte Europas oder Südamerikas nachzuvollziehen, wenn keine „mörderischen Bücher“ mehr eingesetzt werden dürften. Dabei kann man auch gerne außer acht lassen, dass Bücher eigentlich nicht mörderisch sind – so lange sie nicht gerade aus fünf Metern Höhe jemandem auf den Kopf fallen und ihn erschlagen.
Eine undankbare Aufgabe für das Kantonsparlament
Jetzt wird nächstens das Kantonsparlament die undankbare Aufgabe haben, darüber zu entscheiden, ob die Initiative dem Volk zur Entscheidung unterbreitet werden soll oder nicht. Erklärt man sie für ungültig, setzt man sich dem Vorwurf aus, undemokratisch zu sein. Lässt man sie zu, läuft man – im Falle der Zustimmung – Gefahr, eine Gesetzesvorschrift zu bekommen, deren Umsetzung unsinnige Folgen haben könnte. Auf eine Ablehnung könnte man zwar hoffen – aber sicher ist sie nicht, wie das Minarettverbot zeigt.
Die Initianten wehren sich bereits jetzt gegen eine Ungültigerklärung, wobei sie in ihren Mitteilungen kritisieren, die Medien bezeichneten „das Volksbegehren falsch als Anti-Koran-Initiative“. Dabei halte die Initiative die Religionsfreiheit doch hoch und „definiere klar“, dass sie nur den Koran-Unterricht an den Volksschulen verhindern wolle.
Nähme man diese Behauptungen ernst, müsste man dem Komitee rund um den ehemaligen Thurgauer Präsidenten der (rechten) Schweizer Demokraten empfehlen, das Begehren zurück zu ziehen, denn dieser Wunsch ist ja bereits erfüllt. Damit ist aber nicht zu rechnen. Das “überparteiliche und interkonfessionelle“ Komitee behauptet lieber, die Diskussion solle „mit Blick auf den vielbemühten Rassismus abgewürgt werden“.
Autorin: Lieselotte Schiesser