Hü und Hott an Kreuzlingens „Boulevard“

Im Mai 2011 bekam Kreuzlingen das, was Konstanz ein Jahr später vor dem Bahnhof eröffnete: eine Begegnungszone. Grenzüberschreitend übt man sich in Sprachverwirrung und verkauft das Projekt auch gerne als „Boulevard“. Beide Straßen waren vor der Umgestaltung etwa gleich stark befahren. Die neuen Zonen haben in beiden Städten noch etwas gemeinsam – sie funktionieren nicht wie erhofft, was zumindest in Kreuzlingen beim Stadtrat wilde Aktionitis auslöst.

Kreuzlingen hat 20 000 Einwohner – ein Viertel der Konstanzer Einwohnerzahl. Die allerdings sind offenbar vor allem mit dem Auto unterwegs. Glaubt man den Angaben des städtischen Tiefbauchefs gegenüber der „Thurgauer Zeitung“ vom April 2012, so fuhren vor der Umgestaltung von 500 Metern Hauptstraße zum „Boulevard“ täglich 13 000 Autos über dieses Straßenstück. Die Verkehrsstatistik des Kantons Thurgau kam 2010 auf knapp 11 000. Auf dem Konstanzer Bahnhofsplatz zählten die Verkehrsplaner damals täglich durchschnittlich gut 12 000 Fahrzeuge.

Beide Städte nahmen sich vor, die Verkehrslawine mit einer Begegnungszone zu bändigen, in der Motor-, Langsam- und Fussgängerverkehr bei einem Höchsttempo von 20 km/h gleichberechtigt unterwegs sein sollten. Die Konstanzer hoffen, dadurch langfristig eine Reduzierung des Motorverkehrs auf 7500 Fahrzeuge zu erreichen. Und während die dortigen „imove“-Planer befanden, dieses Ziel sei kurzfristig eher illusorisch „und stellt sich allenfalls …im Nachgang der Umgestaltung ein“, träumen die Kreuzlinger Verantwortlichen weiterhin von einer Reduktion auf 4000 Autos.

Noch im November 2012 fuhren nach städtischen Angaben täglich aber 9000 Autos durch die Kreuzlinger „Prachtstraße“. Die Mehrheit der Fahrerinnen und Fahrer will nicht einmal anhalten, sondern nur zügig wieder aus der Straße raus. Das wiederum gefällt der städtischen Exekutive – dem Stadtrat – nicht, weshalb er sich Maßnahmen einfallen ließ, um den Durchgangsverkehr zu vergraulen.

Ab Ende Januar 2013 sollten die Autos zwar noch von beiden Seiten her auf den „Boulevard“ einfahren, ihn aber nicht mehr bis zum jeweils gegenüberliegenden Ende durchfahren können. Den „Boulevard“ kann man dann aus beiden Richtungen nur noch über die westlich anschließenden Seitenstraßen verlassen.

Das Wohngebiet im Osten – das Bodanquartier – wollte man für den Durchgangsverkehr vollständig sperren. Und die Straße zwischen dem Verkehrskreisel am Südende des „Boulevards“ und dem etwa 150 Meter weiter südlich liegenden Kreisel am Bärenplatz sollte auch nur noch von Norden nach Süden, also stadtauswärts befahrbar sein.
Diese Neuerungen hatte der Stadtrat pikanterweise beschlossen, ohne die eigens für die „Boulevard“-Planung geschaffene Kommission zu befragen. In dieser sind auch die Einzelhändler vertreten, die auf die Stadtrats-Ideen ungnädig reagierten: Sie seien am „Boulevard“ auch auf Zufallskunden angewiesen, meinten sie. Vergraule man den Durchgangsverkehr, blieben diese Kunden aus. Wenig Begeisterung schlug dem Stadtrat auch aus dem Bodan-Quartier entgegen. Die Aussicht, beim Weg von und zur Arbeit Umwege fahren zu sollen, war nicht verlockend. Kommt hinzu, dass in diesem Quartier das „Brockenhaus“ des Blauen Kreuzes steht. Die Zu- und Wegfahrt zu diesem „Secondhand-Kaufhaus“ hätte kaum gesperrt werden können. Jeder Durchfahrende hätte also einfach behaupten können, er wolle zum oder komme gerade vom Brockenhaus….

Die Einzelhändler starteten kurz nach Bekanntgabe der stadträtlichen Pläne eine Petition, die sich vor allem gegen das Einbahnregime zwischen den beiden Verkehrskreiseln richtete. Zudem grummelte es weiter im Bodanquartier und die Anwohner der westlichen Seitenstraßen waren auch mäßig begeistert. Und so machte der Stadtrat eine Notbremsung: „Es wird eine neue Lösung geben“, kündigte inzwischen Stadtammann (OB) Andreas Netzle an.

Darin werde die Einbahnregelung zwischen den beiden Kreisverkehren nicht mehr enthalten sein, so Netzle. Auch werde nicht das ganze Bodanquartier mit einem Fahrverbot belegt. Wie die neue Lösung genau aussehen wird, ist erneut völlig offen. Klar ist aber, dass die Pläne vor der Umsetzung öffentlich aufgelegt werden müssen.

Klar ist aber auch: Der Stadtammann hält nichts davon, aus den 500 Metern „Boulevard“ eine Fußgängerzone zu machen, wie das immer mehr Leserbriefschreiber in den Lokalblättern wünschen. Die Stimmberechtigten hätten 2009 dem „Boulevard“ als verkehrsberuhigte Zone zugestimmt, schrieb er in seiner Kolumne in der „Kreuzlinger Zeitung“ und daran müsse sich der Stadtrat halten. Zudem weiß dieser natürlich, was die Einzelhändler wünschen, die einen ausgestorbenen Boulevard befürchten, wenn dort keine Autos mehr fahren dürften.

AutorIn: lis