Harte Zeiten für Abzocker
Ausgerechnet in der als stock-kapitalistisch geltenden Schweiz brechen für Manager harte Zeiten an. Die Schweizer Stimmberechtigten haben am Sonntag der Volksinitiative „gegen die Abzockerei“ mit einer Mehrheit von 67,9 Prozent (bei einer Stimmbeteiligung von 46 Prozent) deutlich zugestimmt. Damit sollen künftig Millionengehälter, -Boni und -Abfindungen verhindert werden. Aber auch andere Volksinitiativen ließen am Wochenende aufhorchen
Die „Abzockerinitiative“ betrifft ausschließlich Kapitalgesellschaften. Die neuen Vorschriften legen fest, dass die Aktionäre künftig die Bezüge der Geschäftsleitung festlegen und nicht mehr – wie bisher – die Verwaltungsräte (Aufsichtsräte). Antritts- und Abgangsboni sowie Prämien bei Firmenkäufen oder Fusionen sind verboten. Bei Verstößen gegen diese Vorschriften drohen Geldbussen und Gefängnisstrafen.
Den Abstimmungserfolg kann sich vor allem Thomas Minder auf die Fahne schreiben. Der Zahnpasta- und Kosmetikhersteller aus Neuhausen am Rheinfall hatte die Volksinitiative alleine lanciert und vor fünf Jahren eingereicht. Unterstützung erhielt er in der Folge weder von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), mit deren Hauptexponenten Christoph Blocher sich Minder anfänglich noch gut verstanden hatte, noch von den Gewerkschaften.
Sein größter – unfreiwilliger – Helfer im Abstimmungskampf der vergangenen Wochen war Novartis-Manager Daniel Vasella. Von dem bekannt wurde, dass er 72 Millionen Franken dafür erhalten sollte, dass er nach seinem Rücktritt von der Konzernspitze sechs Jahre lang nicht bei der Konkurrenz anheuern darf. Auch nachdem Vasella unter dem Druck der öffentlichen Meinung auf diesen Bonus verzichtete, konnte das den Initiativerfolg nicht mehr verhindern, obwohl der Wirtschaftsverband economiesuisse Millionen für die Gegenkampagne ausgab.
20 Prozent des Mehrwerts abliefern
Ebenfalls mit 62,9 Prozent komfortabel angenommen wurde die Revision des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes. Es soll der weiteren Zersiedelung der Landschaft entgegenwirken. Kernpunkt ist dabei eine Beschränkung der Baulandreserven der Städte und Gemeinden. Diese dürfen nur noch so groß ein, dass sie den Bedarf für die jeweils nächsten 15 Jahre abdecken. Baulandflächen, die diesen Bedarf überschreiten, müssen zu „Bauerwartungsland“ oder in die Landwirtschaftszone zurückgezont werden. Allerdings sollen die Eigentümer von der öffentlichen Hand für den dadurch entstehenden Wertverlust entschädigt werden.
Das Geld dafür soll aus Töpfen kommen, die mit Abgaben gefüllt werden, die bei einer Einzonung von Grundstücken in Bauzonen fällig werden. Vom dadurch entstehenden Mehrwert sollen Gemeinden und Kantone mindestens 20 Prozent bekommen. Im benachbarten Thurgau waren diese neuen Vorschriften nicht umstritten. Die Stimmberechtigten hatten bereits 2012 entsprechenden Regelungen im kantonalen Gesetz zugestimmt.
Für Nicht-Schweizer schwer nachzuvollziehen ist die Tatsache, dass der sogenannte Familienartikel als dritte sonntägliche Abstimmungsvorlage nicht umgesetzt werden wird, obwohl 54,3 Prozent der Abstimmenden sich dafür aussprachen. Das Vorhaben, die Förderung von Maßnahmen für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Verfassung festschreiben zu lassen, scheiterte am Ständemehr. Dies bedeutet, dass die Befürworterinnen und Befürworter vor allem aus den bevölkerungsreichen, großen Kantonen kamen. Damit aber Volksinitiativen angenommen sind, müssen sie auch von der Mehrheit der Kantone angenommen werden. Also von mindestens 12 der 23 Kantone. Dieses Ziel hat der Familienartikel, der vor allem für mehr Kita-Plätze warb, nicht erreicht. Vor allem die ländlichen Kantone der Deutschschweiz lehnten das Begehren ab.
Kantone: Olympiatraum gestorben
Gestorben ist am Sonntag auch die Hoffnung der Wintersportorte St.Moritz, Davos und benachbarter Gemeinden auf Olympische Winterspiele 2022. Die Stimmberechtigten des Kantons Graubünden lehnten eine Bewerbung des Kantons um diese Winterspiele mit 54 Prozent Nein-Stimmen ab. Die Gegner des Projektes hatten mit der Umweltbelastung und hohen Kosten argumentiert. Kantonal ging es dabei am Sonntag um 300 Mio. Franken. St. Moritz und Davos wollten dafür zwar gerne weitere 22 Mio. Franken locker machen, aber nach dem kantonalen Nein ist ihr Olympiatraum geplatzt.
Autorin: Lieselotte Schiesser
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Wollen wir aber tatsächlich eine verbindliche Veränderung, auf die die Bürger auch trauen können, kann der Schritt, den die Schweiz gegangen ist, nur eine Zwischenlösung sein. Der Ansatz ist richtig und er ermutigt, zumal er von den Eidgenossen kommt, die nicht gerade für ihre fiskalische Freizügigkeit bekannt sind. Und ja, auch die Initiative ist überaus begrüßenswert, sie hat den Anstoß für mehr gegeben. Auch ich trete darüber hinaus in Sachen direkter Demokratie für „mehr Schweiz“ bei uns ein.
Aber: Einerseits darf die Übertragung der Verantwortung auf die Aktionäre nicht das letzte Wort sein. Denn auch Aktionäre bleiben im Zweifel unberechenbar. Gewähren sie ihren Managern höhere Gehälter, lassen sie auch mehr Risiko zu – was ihnen im Glücksfall selbst höhere Dividenden einbringt. Die Verlockung kann hoch sein, die Zügel nicht so anzuziehen, wie es sich auch in der Schweiz mancher Bürger erhofft hat. Daher ist solch ein Entscheid sicher nur eine Zwischenetappe, die am Ende eine gesetzliche Deckelung braucht.
Andererseits darf aber auch das Modell direkter Demokratie aus der Schweiz nicht abgekupfert werden: Denn bei aller Anerkennung ist tatsächlich eine „vorsichtige“ Annäherung nötig. Wie auch eine Soziale Marktwirtschaft seine Grenzen braucht, braucht auch die Direkte Demokratie ihre Spielregeln. Gerade die oftmals niedrigen Wahlbeteiligungen, die sich in der Schweiz noch verständlicherweise viel deutlicher bemerkbar machen als bei uns, bringen die Gefahr mit sich, dass Populismus siegen kann. Das war bei der Minarett-Initiative ebenso sichtbar wie bei dem glücklicherweise zurückgezogenen Versuch, über ein Referendum die Todesstrafe wieder einzuführen.
Direkte Demokratie muss eingebettet sein in klare völkerrechtliche Begrenzungen und braucht ein System, das gewährleistet, tatsächliche Mehrheitsverhältnisse abbilden zu können. Es ist die Motivation des Wahlvolkes, die eine funktionierende Basisdemokratie für ein breites Stimmungsabbild ermöglicht; sicher ist es wenig ergiebig, Menschen alle paar Wochen an die Wahlurnen zu rufen. Hier hat man auch in der Schweiz erkannt, möglichst viele kommunale, kantonale un eidgenössische Abstimmungen auf einen Termin zu legen – die gleichzeitig in ihrer Vielfältigkeit nicht die Meinungsbildung behindern darf. Dann fühlen die Bürger, dass ihre Stimme wertig ist. Und darüber hinaus, das hat das aktuelle Beispiel gezeigt, müssen Themen so formuliert sein, dass die Emotionalität, die direkte Betroffenheit der Menschen, angesprochen wird.
Mehr Schweiz wagen!
Nach der Annahme der „Abzocker“-Initiative durch die Bürgerinnen und Bürger der Schweiz setzt sich auch in Berlin langsam die Erkenntnis durch, dass Gehaltsexzesse gestoppt werden müssen. Doch der entscheidende Schluss wird nicht gezogen: Wir brauchen mehr direkte Demokratie in Deutschland.
In der Schweiz haben sich die BürgerInnen und Bürger nicht nur gegen eine acht Millionen Franken teure Kampagne der Abzocker durchgesetzt, sondern auch gegen einen verwässerten Vorschlag des Parlaments zur Managergehälterregulierung. So sollte Demokratie funktionieren und so kann Demokratie auch in Deutschland funktionieren, wenn die Parteien bereit sind, einen Teil ihrer Macht an den eigentlichen Souverän, das Volk, zurückzugeben.
Wir müssen in Deutschland endlich „mehr Schweiz wagen“ und regelmäßige bundesweite Volksentscheide einführen. Demokratie kann mehr sein, als alle 4 Jahre ein Kreuzchen zu machen und zu hoffen, dass die Parteien das umsetzten, was sie im Wahlkampf versprochen haben. Wir müssen weg von der Untertanen-Demokratie hin zur Teilhabe- und Mitmach-Demokratie. Als Linker trete ich dafür ein, dass die Bürgerinnen und Bürger an wichtigen Fragen per Volksentscheid beteiligt werden.
Marco Radojevic
Bundestagskandidat Wahlkreis Konstanz
DIE LINKE
Website: http://linke-bw.de/wk287/
Wenn es diejenige Nation schafft, die Demokratie und Freiheit in besonderer Weise betont – und darüber hinaus für wirtschaftlichen Erfolg und nicht für Unternehmensferne bekannt ist, auf einen solchen Entscheid wie aktuell derart gelassen zu reagieren, dass selbst die ärgsten Gegner sagen „wir hatten damit gerechnet“, dann kann das Signalwirkung haben. Den Zusammenbruch des Finanzplatzes Schweiz fürchtete auch vorab bei positivem Votum niemand. Fernsehdebatten zu diesem Thema fielen auffallend ruhig aus und das Verständnis für die Initianten ist allseits zu spüren gewesen. Ein Eingriff in die Wirtschaft, der national von großer Bedeutung ist, aber auch für die internationale Stellung der Eidgenossen Folgen haben könnte, wird mit der bekannten Souveränität gegangen, die die Schweiz auch in ihrer Isolation vom europäischen Staatenbund und Finanzkreislauf aufrecht erhält. In London empören sich Banker über Boni-Grenzen, in Bern kommt es nahezu einem Befreiungsschlag gleich, Konzernen die Stirn zeigen zu können.
Solche Impulse brauchen auch wir – und die Angst vor den Riesen der Wirtschaft bedarf es mit großem Selbstvertrauen zu besiegen. Veränderungen an einem System sind möglich, ohne zugleich einen Kollaps zu prophezeien. Klare Barrieren schinden Eindruck, zumal dann, wenn sie dort ansetzen, wo jeder Vernünftige die Notwendigkeit für sie entdeckt – und wenn sie von breiter Masse mit Überzeugung getragen werden, auch bei stürmischem Wind. Globalisierung hin oder her: Letztlich kann die Politik zuwarten, bis sich das Volk wie in der Schweiz nicht nur besinnt, sondern aktiv für einen Kurswechsel einsteht – und die politisch Verantwortlichen aus Furcht vor Macht- oder Imageverlust sich zu Maßnahmen gezwungen sehen. Oder sie erkennt aus eigenen Stücken, dass nur dort Gerechtigkeit herrschen kann, wo sich das Wagnis zur Wahrheit durchsetzt.