Wie Wilhelm von Scholz wirklich war

Seemoz-Wilhelm von ScholzWilhelm von Scholz ist wieder in aller Munde. Vor wenigen Tagen ist ein kleines, feines Buch über den Konstanzer Dichter erschienen. Und zum Ende der Spielzeit im Juni wird das Stadttheater sein bedeutendstes Stück „Der Jude von Konstanz“ aufführen. Vor allem jedoch Hendrik Riemers Buch „Der Konstanzer Dichter Wilhelm von Scholz – eine biographische Annäherung“ schafft viel Klarheit in einer zuletzt häufig verschrobenen Diskussion um literarische Bedeutung und politische Bewertung des Dichters

So viel vorab: Wer zukünftig über von Scholz schreiben oder arbeiten will, wird an diesem Buch nicht vorbei kommen. Was Hendrik Riemer in seiner „biographischen Annäherung“ zusammen getragen, ausfindig gemacht und kritisch bewertet hat, ist bislang einmalig. Und straft alle Lügen, die allzu flott ihr Urteil über den knochigen, den konservativen „Dichter im Seeheim“ formulierten.

Viele bis jetzt kaum beachtete Quellen nutzt Riemer, um ein schonungsloses Bild eines zutiefst nationalkonservativen Chauvinisten zu zeichnen, der in Leben und Dichtung immer der Adelige sein wollte. Der alles Demokratische, alles Emanzipatorische verachtete, der bis zum letzten Atemzug alles Völkische verehrte. Der darum geradezu unweigerlich den Nationalsozialismus hofierte und ihm bis zuletzt Lobeshymnen schrieb. Und der nie von dieser Linie abwich: „Sein Verhalten zwischen 1933 und 1945 begriff er nicht als Verhalten, für das er sich zu rechtfertigen und entschuldigen habe. Er blieb uneinsichtig, fühlte sich von der Öffentlichkeit ungerecht behandelt“, so Riemer in seiner Schlussbewertung.

Distanz der Südkurier-Gründer

Zugegeben, die literarische Vita des Wilhelm von Scholz hat fast etwas Tragisches. Der hoch gelobte – und auch finanziell erfolgreiche – Dichter aus der Kaiserzeit, der Weimarer Republik und dem Dritten Reich versank nach 1945 in Bedeutungslosigkeit. Bis zu seinem Tod 1969 wurden seine Bücher nicht mehr verlegt, seine Stücke kaum mehr aufgeführt. Und von den Verantwortlichen in Verlagen und Theatern wurde das auch ausdrücklich mit des Dichters Nähe zum Nationalsozialismus begründet.

Aufschlussreich die Passage im 282-Seiten-Buch, in der Riemer von der Distanz der Südkurier-Gründer von Scholz gegenüber berichtet – erst die nächste Generation von Kultur-Redakteuren machte ihren Frieden mit dem Blut-und-Boden-Dichter, ohne jedoch in solche Kniefall-Anerkennung zu verfallen, wie sie Kulturredakteur Siegmund Kopitzki heutzutage an den Tag legt. Erinnert sei nur an die wortreiche, gleichwohl sinnleere Verteidigung des Seeheim-Dichters während der jüngsten Debatte um das Scholz-Grab vor wenigen Jahren.

Hendrik Riemer (62), der in Allensbach lebt, stellt sein Buch am Montag, 11. März, um 19.30 Uhr im Konstanzer Kulturzentrum (Astoriasaal) vor. Und am Freitag, 7.6., feiert „Der Jude von Konstanz“ im Stadttheater seine Premiere unter der Regie von Stefan Otteni.

Es ist zudem Riemers Verdienst, in seinem Buch nicht nur den Dichter und den Literatur-Theoretiker von Scholz darzustellen – gerade der Mensch Wilhelm von Scholz gewinnt (nicht gerade angenehme) Konturen, wenn Riemer zum Beispiel faktenreich den „Familienmenschen“ und „Frauenversteher“ von Scholz porträtiert. Der zeitlebens den Kontakt zu seinen Kindern mied, dessen Scheidung von jahrelangem Prozess-Streitigkeiten umrankt war, bevor er endlich in seiner zweiten Frau Gertrud den Typ von Frau fand, der ihm zusagte. Riemer: „Sie gab ihre Karriere als Pianistin für ihn auf, unterstützte ihn vorbehaltlos in seiner Lebensauffassung und seinen Zielen“.

Mehr als nur Sympathisant

Im Mittelpunkt des Buches aber steht von Scholz als Nationalsozialist. Deutlich wird das in Riemers Einschätzung des Konstanzer Dichters. „…die Rolle, die Wilhelm von Scholz in der Zeit des Nationalsozialismus eingenommen hat, reduziert sich nicht nur auf die eines Sympathisanten. Durch sein exponiertes Verhalten hat er sich intellektuell zum Dritten Reich bekannt und sich diesem mit seinem Namen und seinen schriftstellerischen Möglichkeiten zur Verfügung gestellt“.

Und Riemer zeichnet unzweideutig den Lebensweg eines erzkonservativen, dabei eitlen und dünnhäutigen Opportunisten nach. Der priviligiert in adeliger Umgebung aufwuchs (sein Vater war letzter Finanzminister unter Bismarck und kam erst spät zu Adelsehren und fürstlichem Einkommen), der zeitlebens die Demokratie ablehnte und die Monarchie für die ideale Staatsform hielt, dem alles Militärische heilig und alles Soziale verdächtig war. Er und seine Ständegesellschaft schufen den miefigen Nährboden, auf dem der kleinbürgerliche Nationalsozialismus wuchs.

Geschichte wichtiger als Gegenwart

Folgerichtig war auch seine Dichtung rückwärts gewandt. „Zeitbezogene Stücke, die sich mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzten oder die Lage der Bevölkerung problematisierten, lehnte von Scholz als ‚Tendenztheater‘ ab“. Das gilt selbst für seine Arbeit als Regisseur und Intendant: Zeitgenössisches kam ihm nicht auf die Bühne. Seine erfolgreichsten Werke – das Drama „Der Jude von Konstanz“ und der Roman „Der Weg nach Ilok“ – sind dann auch Mittelalter-Stücke. Auch in seinen Novellen und Gedichten, in Erzählungen oder sogar literatur-theoretischen Abhandlungen war ihm Geschichte stets wichtiger als Gegenwart. Höchstens in seinen Stellungnahmen zum „Führer“ und zum Krieg mischte er sich in Zeitgenössisches ein. Und das aber wollte er später nicht mehr wahr haben.

Er wollte nicht Ehrenbürger sein

Hendrik Riemer

Hendrik Riemer ist ein kleines, aber feines Buch gelungen, das nicht abrechnet oder nur aufrechnet, sondern ohne Polemik schlicht, aber dann auch schonungslos schildert, wie ein nationalreaktionärer Dichter – und genau das war von Scholz – bis zum Ende seiner Tage unbelehrbar schrieb und dachte, nie Reue zeigte oder von Bedauern sprach. Oder insgeheim doch? Immerhin lehnte er die ihm angetragene Ehrenbürgerschaft der Stadt Konstanz ab, „da“ – so Riemer – „zu befürchten war, dass die Öffentlichkeit seine belastenden Gedichte und Texte zum Anlass nehmen könnte, diese Ehrung zu verhindern“.

Autor: hpk

 

Das Buch; Hendrik Riemer „Der Konstanzer Dichter Wilhelm von Scholz, 1874–1969, Eine biographische Annäherung“, Hartung-Gorre Verlag, Konstanz, 2013, 282 Seiten, EUR 19,80. ISBN 978-3-86628-449-4

P.S. Dass Hendrik Riemer das Thema schon lange umtreibt, und dass er nicht immer derart altersweise mit dem Dichter Wilhelm von Scholz umging, belegt unser zweiter, heutiger Beitrag: Ein Abbdruck aus dem „Nebelhorn“ Nr. 64 vom September 1986: „Konstanz‘ größter Dichter?“