Wochenend-Rebellion der jungen Spießer

Letzten Freitag fand das Konzert der umstrittenen Südtiroler Rechtsrockkombo Frei.Wild in der Kreuzlinger Bodensee-Arena statt. Dagegen hatte es im Vorfeld Proteste gegeben. Sogar ein Auftrittsverbot wurde vielfach gefordert. Doch der Veranstalter sah keinen Anlass und auch keine rechtliche Handhabe, das Konzert der „Reichskapelle“, so der „Spiegel“ , abzusagen. Also pilgerten Fans aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an den Bodensee. seemoz mischte sich unter die Besucher

Es regnet in Strömen und das Gelände Klein Venedig, auf dessen Kreuzlinger Seite sich die Bodensee-Arena befindet, ist übersät mit braunen Pfützen. Kurz vor 19 Uhr erreiche ich den Halleneingang. Security-Personal überall und auch vereinzelte Staatsschützer aus Konstanz schleichen durch die Gegend. An einem Frei.Wild-Fanshop werden Aufkleber angeboten: Der größte mit der Aufschrift „Leckt mich am Arsch“ kostet 20 Franken, die kleinere Fassung ist für die Hälfte zu haben. Das Verkaufspersonal, meist bis unters Kinn tätowiert, gibt sich locker und betont lässig. Bierbecher kreisen, ankommende Fans üben sich in fantasievollen Chorälen: „Wir sind Freiwild, der Mittelfinger der Nation“. Auf den ersten Blick eine Stimmung, wie man sie von vielen Rockkonzerten kennt.

Am Einlass die übliche Personenkontrolle. Gegen 19 Uhr sind etwa 2000 Fans in der Halle, bei Konzertbeginn eine Stunde später werden es knapp 3000 sein. Am Eingang haben sich zwei Mitarbeiter des Internetportals seechat postiert und fotografieren die Ankommenden. Wer in die Kamera lächelt, bekommt eine Visitenkarte, verbunden mit dem Hinweis: „Morgen seid Ihr vielleicht online“. So kann man seine Clickzahlen auch nach oben treiben.

Reichlich Bier und zotige Sprüche

Die meisten Konzertbesucher tragen die schwarzen Frei.Wild-Klamotten, zwischendrin tauchen aber auch einige Onkelz-, Rammstein- oder Kärbholz-Shirts auf. Letztere eine Band, die sich ähnlich wie Frei.Wild mit national-völkischem Prollrock einen Namen in der Szene gemacht hat. Etwa zwei Drittel der Besucher sind junge Männer zwischen 18 und 25. Sie stehen meist in Gruppen zusammen, sprechen ausgiebig dem Bier zu und glühen sich schon mal kräftig vor. Mein erster Gesprächsversuch ist nicht sonderlich ergiebig. Ein junger Mann dreht mir auf meine Frage, was ihm an Frei.Wild gefällt, demonstrativ den Rücken zu. Auf seinem Shirt darf ich lesen: „Erst ficken, dann saufen“. Aha. Meine Empfehlung, zwischendrin auch etwas Essbares zu sich zu nehmen, stösst auf Unverständnis. Ich trolle mich, „Pressewichser“ zischt es mir hinterher. Das kommt davon, wenn einem beim Einlass verordnet wird, das Presseschild deutlich lesbar (warum eigentlich?) auf der Brust zu tragen.

Am Absperrgitter vor der Bühne treffe ich auf ein nettes Pärchen aus Ravensburg. Wir kommen ins Plaudern. Jan und Petra kennen sich aus in der Hardrock-Szene und sind gröberen Klängen durchaus zugeneigt. Sie seien gratis an Karten für den heutigen Abend gekommen und hätten daraufhin beschlossen, sich Frei.Wild mal live reinzuziehen. „Nicht unbedingt unser Ding, bezahlen würden wir dafür sicher nicht“. Vor allem die Texte“, sagt Jan, „ sind eine ziemlich primitive Mischung aus kitschigem Heimatscheiß und tumben Patriotismus, das kann ganz schnell in die rechte Ecke kippen“. Bestätigt fühlt er sich mit seiner Einschätzung, als er kurz darauf einige Besucher erspäht, die seines Wissens nach in Friedrichshafener und Ravensburger Nazikreisen fest verankert sind.

Jungspunde und Stammtisch-Gerede

Langsam füllt sich die Halle, es geht auf 20 Uhr zu. Südkurier-Fotograf Oli Hanser läuft mir über den Weg. Wohl fühle er sich hier nicht gerade, erklärt er leise, aber sein junger Kollege von der schreibenden Abteilung brauche eben Bilder. Am Getränkestand bilden sich lange Schlangen und durstige Kehlen verlangen nach flüssiger Nahrung. Neben mir steht eine kleine Gruppe jüngerer Burschen aus Freudenstadt, wie sie mir auf Nachfrage verraten. Ob ich auch so ein „Zeitungsfuzzi“ wäre, der Frei.Wild in den Dreck schreibe und ihre Fans als Nazis verunglimpfe? Ein etwas eckiger Einstieg, dennoch entsteht eine Unterhaltung, die aber beide Seiten nicht wesentlich weiter bringt.

Was hätte ich denn dagegen einzuwenden, wenn man stolz auf seine Herkunft und seine Heimat sei? Und ist es nicht so, dass Ausländer auf unsere Kosten sich ein schönes Leben machten auf deutscher Scholle? Das werde man doch wohl noch sagen dürfen, oder? Alle Versuche, argumentativ dagegen zu halten, prallen ab von der Freudenstädter Clique. Nein, diese Jungspunde aus dem Schwarzwald sind keine überzeugten und organisierten Neonazis. Ähnliches hört man auch an konservativen Stammtischen, wo Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und nationalistische Töne noch nie von der Tagesordnung genommen wurden und der Abstand zu rechtsradikalen Zirkeln kaum mehr wahrnehmbar ist. Besser macht das die Sache allerdings nicht.

In diesem Brackwasser dümpelt die Mehrheit der Frei.Wild- Heimattümler, auch wenn sie massiv bestreiten, mit den „alten Spießern“ etwas gemein zu haben. Vielmehr fühlen sie sich als „Rebellen“, vereint in einem diffusen Wir-Gefühl. Lehnen sich auf gegen „die da oben“, ohne genau benennen zu können, wen oder was sie damit konkret meinen. Die meisten dieser jungen Spießer sind bildungsfern und dankbar, wenn ihnen diese komplizierte Welt mit einfachen Worten erklärt wird. Das Gefühl, Teil einer Community von Outlaws zu sein, hebt sie zumindest für einen Abend aus der Masse heraus. Gäbe es Gruppen wie Frei.Wild nicht, müsste man sie für ihre mittlerweile immer zahlreicher werdenden Anhänger erfinden. Das Gros der Konzertbesucher ist gekommen, um „heute einfach eine geile Party“ zu feiern, bei der man weitgehend unter sich ist und das vermeintliche Zusammengehörigkeitsgefühl genießt. Doch was machen die vielen Randständigen unter ihnen morgen?

Schrammel- und Rumpelrock

Gegen 20.30 Uhr betritt eine Vorband aus Neuseeland die Bühne und liefert eine ordentliche Vorstellung ab. Punkig, laut und vibrierend bis in die tiefste Magengrube hinein, wie es sich für ein Hardrock-Konzert eben gehört. Albern nur, dass die Herren aus Übersee in Matrosenanzügen auftreten. Dann eine kurze Umbaupause, bis kurz nach 21 Uhr Frei.Wild auftaucht und vieltausendfach frenetisch begrüßt wird. Die Halle brodelt von Anfang an, die Fans kennen die Texte in- und auswendig und singen lauthals jede Zeile mit. Eine krude Mischung: Volksmusiker der etwas anderen Art mit E-Gitarren bewaffnet, aggressiver Heimatschmonz nebst Alpenglühen a la Heidi und Luis Trenker, eingebettet in national-völkische Mystik. Dazu angereichert mit der sich ständig wiederholenden Botschaft, einer Gesinnungsgruppe anzugehören, die den Kampf für wahre Werte, Kultur und Nation mannhaft aufgenommen hat und einer multikulturellen Gesellschaft mutig die Stirn bietet. Das schweißt die Wochenend-Rebellen eisern zusammen.

Rein musikalisch sind Frei.Wild eine einzige Enttäuschung. Schrammel- und Rumpelrock, schlampige Übergänge, dazu alles tontechnisch schlecht abgemischt. Ein Stück klingt wie das andere und die Mannen um Bandleader Philipp Burger wären gut beraten, sich umgehend bei einer Musikschule anzumelden. Doch musikalische Qualität ist hier nicht gefragt. Nach der sechsten Nummer nimmt meine Langeweile überhand und ich verlasse den Ort der wummernden Ödnis.

Draußen schüttet es immer noch wie aus Kübeln und die braunen Regenpfützen rund um die Bodensee-Arena sind deutlich größer geworden. Anderntags berichtet die Thurgauer Zeitung, dass das Konzert absolut „friedfertig“ und „reibungslos“ verlaufen sei. Das war auch nicht anders zu erwarten. Der von aufgeregten Berichterstattern erwartete Krieg findet in den Köpfen statt. Und wie er schlußendlich ausgeht, lässt sich nur erahnen.

Autor: H.Reile

Weitere Links:

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