Der Synagoge einen Schritt näher
Nur einmal kam an diesem sonnigen Frühlingsnachmittag im Konstanzer Gemeinderat richtig Stimmung auf: Als sich Rami Suliman von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden gegen den Vorwurf verteidigte, Frauen würde in der neuen Konstanzer Synagoge durch die Abtrennung von den Männern als Menschen zweiter Klasse behandelt. Außerdem wurde ein Geheimnis gelüftet: Wer hat Oberbürgermeister Uli Burchardt denn nun wirklich gewählt, wo doch Sie und ich es wahrscheinlich nicht waren – oder doch?
Es ist mal wieder so weit, der Synagogenneubau in der Sigismundstraße 8 geht in die nächste und – wie die Gemeinderätinnen und -räte inbrünstig hoffen – auch letzte Runde. Nachdem auch infolge der zeitweisen Spaltung der Konstanzer Jüdischen Gemeinde in einen liberalen und einen orthodoxen Flügel der Neubau, zu dem die Stadt das Grundstück geben will, jahrelang nicht zustande kam, gibt es jetzt dem Vernehmen nach ein Bau- und Finanzierungskonzept. Im Gemeinderat ging es jetzt darum, das Grundstück erneut ganz formell der Jüdischen Gemeinde zu übereignen, damit bald gebaut werden kann.
Synagoge könnte 2015 eingeweiht werden
Vorgesehen ist, dass die Israelitische Religionsgemeinschaft (IRG) Baden als Bauherr 3,45 Millionen Euro gibt und die Konstanzer Gemeinde sich mit 550.000 Euro an dem Neubau beteiligt. Anwalt Steffen Barth, der die IRG Baden vertritt, erläuterte den weiteren Zeitplan: Neuere Untersuchungen haben danach ergeben, dass es sich um einen schwierigen Baugrund handelt, weshalb jetzt doch Pfahlgründungen notwendig werden, was die Archäologen auf den Plan ruft. Die künftige Baustelle gehört nun für voraussichtlich sechs bis sieben Monate den Wissenschaftlern, die gleich zu graben anfangen wollen. Danach kann, wenn alles gut geht, noch im Herbst 2013 eine Betonplatte gegossen und mit dem Rohbau begonnen werden, so dass bis zur Winterpause bereits einiges steht und je nach Wetter eventuell schon mit ersten Innenarbeiten begonnen werden kann. Etwa im Sommer oder Herbst 2015 könnte die Synagoge dann fertig sein, sofern es nicht zu unvorhergesehenen Schwierigkeiten beim Bau kommt.
Ganz schienen einige Räte nach den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit dem Frieden aber doch nicht zu trauen. Alexander Stiegeler (FWK) jedenfalls fragte die Verwaltung sicherheitshalber schon mal, ob es denn einen Plan B gebe, wenn die Synagoge nicht gebaut werde oder gar an einem anderen Standort errichtet werden müsse. Die Verwaltung erklärte, dass in diesem Fall das Grundstück erneut an die Stadt Konstanz zurückgehen wird, an alles andere mag man lieber nicht denken.
Frauen hinter den Vorhang?
Gemeinderat Holger Reile (Linke Liste) erinnerte nochmals kurz an die rund zehnjährige Hängepartie und wies darauf hin, dass die Konstanzer Jüdische Gemeinde weiterhin gespalten sei, die Liberalen inzwischen aber aus der Gemeinde weg seien und ihre Organisation sich aufgelöst habe. Er wollte wissen, ob es jetzt dabei bleibe, dass die Frauen in der Synagoge getrennt von den Männern auf der Empore oder hinter einen Vorhang sitzen müssten. Rami Suliman, den Vorsitzenden des Oberrates der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden und an diesem Tag Gast des Gemeinderates, brachte er damit in Rage. Er sieht nur eine Einheitsgemeinde und keine Liberalen, und wenn eine Frau nicht auf die Empore wolle, müsse man eben eine Möglichkeit finden, wie sie trotzdem beten könne. Was wohl heißen will, dass in der Konstanzer Synagoge die Frauen tatsächlich von den Männern getrennt werden sollen, was die liberale Gruppierung immer konsequent ablehnte. Die Konstanzer Gemeinde jedenfalls sei nicht gespalten und eine Einheitsgemeinde, irgendwelche Liberalen gebe es gar nicht.
In der Abstimmung enthielt sich Reile, während alle anderen Räte und Rätinnen der Grundstücksübertragung zustimmten. In einer Erklärung zur Abstimmung gab er zu Protokoll, er habe nicht zugestimmt, weil für ihn „Frauen nicht Menschen zweiter Klasse sind, die man irgendwo deponiert“. Suliman warf ihm daraufhin Unkenntnis des jüdischen Glaubens vor und erklärte, in seiner Religion seien Frauen keine Menschen zweiter Klasse. Der Ton zwischen den beiden jedenfalls ließ unschwer erkennen: Freunde werden Suliman und Reile in diesem Leben wohl nicht mehr werden.
In Wollmatingen gärt es
Die Anwohnerinnen und Anwohner der Wollmatinger Benedikt-Bauer- und anliegender Straßen ächzen unter dem ihrer Meinung nach hohen Verkehrsaufkommen in ihrer Gegend, in der auch Kinder und Senioren wohnen und die Straßen überqueren wollen. In der Bürgerfragestunde äußerte Daniel Trüb Kritik an den Verkehrsmessungen, die die Stadt bisher vorgenommen habe: Diese seien nicht zur Hauptverkehrszeit und außerdem während der Schulferien geschehen und somit ganz und gar nicht repräsentativ. Er übergab Oberbürgermeister Uli Burchardt Listen mit Unterschriften betroffener Bürger. OB Burchardt seinerseits wies darauf hin, dass die Messergebnisse sehr moderat gewesen seien, erklärte sich aber bereit, der Angelegenheit nachzugehen und gegebenenfalls auch erneut messen zu lassen.
Ein Kessel Buntes
Die Gemeinderätinnen und -räte hatten ein ganzes Füllhorn von Fragen an die Verwaltung. Vera Hemm (Linke Liste) wies darauf hin, dass man schon lange nichts mehr von der ins Trudeln geratenen Volkshochschule (vhs) gehört habe und wollte wissen, wie es dort denn nach den finanziellen und personellen Turbulenzen weitergehen solle. Der OB kündigte an, dass sich der Vorstand der vhs demnächst dem Ausschuss für Schulen, Bildung, Wissenschaft und Sport stellen werde.
Holger Reile (Linke Liste) fragte nach der beschlossenen Umbenennung der von-Emmich-Straße und erfuhr, dass dies Thema der nächsten Gemeinderatssitzung werden soll. Sein Hinweis auf den vom Winter arg strapazierten Belag der Fahrradbrücke über den Rhein stieß bei Baubürgermeister Kurt Werner auf offene Ohren: Das Tiefbauamt kümmere sich darum, und das, was dem Laien als platzende Rostflecken erscheine, sei kein so schlimmer Schaden, sondern gehe auf eine Grundierung zurück. Auf Reiles abschließende Frage, ob die Stadt Konstanz mit den Kreuzlingern in Kontakt wegen einer möglichen Neuauflage des Zeltfestivals im nächsten Jahre stehe, konnte Uli Burchardt noch keine Auskunft geben.
Den Konstanzern aufs Maul geschaut
Die mit großer Spannung erwartete fünfte Konstanzer Bürgerbefragung durch den Arbeitsbereich Empirische Sozialforschung der Universität Konstanz hatte heuer neben den üblichen Fragen den Schwerpunkt „Zusammenleben der Generationen und Lebenszufriedenheit“. Professor Thomas Hinz und seine Mitarbeiterin Sandra Walzenbach stellten die Ergebnisse vor und warfen dazu oft unleserlich klein beschriftete oder für den Laien eh weitgehend unverständliche Graphiken an die Wand, wie man das von empirisch arbeitenden Wissenschaftlern schließlich auch erwarten darf, wenn man seine Freizeit schon für einen Besuch im Gemeinderat opfert. Aber einige der Ergebnisse dieser Studie haben es durchaus in sich und weisen der Konstanzer Politik für die nächsten Jahre ganz klare Aufgaben zu.
Zentrales Anliegen der Konstanzerinnen und Konstanzer ist – und jetzt haben wir es wieder einmal schwarz auf weiß – die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum. Während insbesondere aus liberal gesonnenen Kreisen immer wieder verlautet, es gebe zwei Möglichkeiten, eine Stadt schnell zu zerstören, nämlich eine Atombombe oder niedrige Mieten, macht sich eine breite Mehrheit der Bevölkerung vor allem Sorgen, wie sie das Wohnen noch bezahlen kann und wie die nächste Generation hier am See unterkommen soll.
Die ältere Generation hat darüber hinaus natürlich auch einige Anliegen in Sachen Gesundheit: Kaum jemand will ins Pflegeheim, die Menschen möchten, so lange es irgend geht, daheim versorgt werden. Als zweite Wahl geben die Befragten mit deutlichem Abstand das betreute Wohnen an. Und, so die Studie, „klassische Pflegeheime werden als Wohnform (selbst bei Pflegebedürftigkeit) nicht gewünscht.“ Das heißt für die Politik nach Ansicht der Meinungsforscher, dass der Ausbau der mobilen Pflege den Vorrang vor dem Bau von Pflegeheimen erhalten muss. Dass es aber nicht ganz so einfach ist, betonte Ewald Weisschedel (FWK) in der anschließenden Debatte. Niemand wolle ins Pflegeheim, aber man brauche doch Pflegeheimplätze. Eine Zuhörerin ergänzte: Ins Krankenhaus wolle auch niemand, und trotzdem brauche man Krankenhäuser. Weisschedel, als Arzt mit den Problemen bestens vertraut, denkt weiter: Er erinnerte daran, dass man dann auch bezahlbaren Wohnraum für Pflegekräfte brauche und beschwor die Zeiten des mittlerweile mehr oder weniger eingeschlafenen sozialen Wohnungsbaus wieder herauf.
Die Hilfe zwischen den Generationen kann die Probleme übrigens kaum abfangen, denn sie ist nach dieser Studie eine Einbahnstraße. Eltern unterstützen ihre Kinder finanziell, Großeltern hüten die Enkel, mehr ist nicht zu erwarten, die jeweils jüngste Generation hilft den Eltern und Großeltern nur sehr selten in existentiellen Notlagen. Dass drei Generationen unter einem Dach füreinander da sind, ist die absolute Ausnahme, und die Pflege hilfsbedürftiger Angehöriger im eigenen Haushalt ist unüblich und wird von den Hilfsbedürftigen auch nicht gefordert oder erhofft.
Das komplette Ergebnis der Befragung kann übrigens hier kostenlos heruntergeladen werden: http://www.konstanz.de/ris/www/getfile.php?at_id=1007850
Wer hat eigentlich Uli Burchardt gewählt?
Neben der persönlichen Zufriedenheit und dem Verhältnis der Generationen beantwortet die Studie auch noch einige andere Fragen. Etwa die, wer den neuen Oberbürgermeister denn wohl gewählt hat. „Der Wahlsieger Uli Burchardt konnte besonders hohe Zustimmung bei den Wählerinnen und Wählern der mittleren Altersgruppe (31-59 Jahre) erzielen. Außerdem erreichte er seine vergleichsweise höchsten Stimmanteile bei Befragten mittlerer bzw. unterer Bildung. Sabine Reiser ist hingegen vor allem von älteren Wähler/innen gewählt worden (60 Jahre und älter). Ebenso wie Uli Burchardt hat sie auch bei der mittleren bzw. unteren Bildungsgruppe besonders gut abgeschnitten. Dr. Sabine Seeliger hat ihre besten Ergebnisse bei jüngeren Wählern und Befragten mit (Fach-) Abitur. Durchaus beachtlich ist, dass sich für beide Wahlgänge etwa 13 Prozent der Befragten nicht mehr erinnern, wen sie gewählt haben.“ Dies der Originaltext.
Wie bitte? Jeder Achte weiß schon nicht mehr, wen er gerade erst gewählt hat? Diese galoppierende Demenz verleiht dem Pflegenotstand eine neue Dimension.
Autor: O. Pugliese
Eine neue Synagoge bleibt für Konstanz eine Notwendigkeit.
Angesichts des antisemitischen, faschistischen Synagogenbrandes von 1938, der erbarmungslosen Erpressung der Juden bis zu hin zur Vernichtung und der geradezu fassungslosen Schändung von Leben, Werten, Hab und Gut der jüdischen Gemeinden kann daraus nur eine historische Sühne im Sinne einer unbedingten Freundschaft folgen.
Am 2. September 2012 öffnete die Israelitische Kultusgemeinde anlässlich des Europäischen Tages der jüdischen Kultur die jetzige Synagoge in der Sigismund Straße und zeigte in großer Gastfreundschaft allen interessierten BürgerInnen den Gebetsraum, die Mikwah, die Bibliothek und teilte koscheres Brot und Wein nach jüdischem Brauch.
Junge und alte Menschen konnten die lebendige jüdische Kultur kennenlernen. Und Abends zu Ende des Konzerts des „Ensemble Shoshana“ aus Dessau im Wolkensteinsaal, gab es einen Witz zur jüdischen Art des Abschiednehmens: Englische Musiker gehen ohne sich lange zu verabschieden, jüdische Musiker verabschieden sich ohne zu gehen – sie spielen weiter.
Freies Denken im Streitgespräch, Toleranz und kommunistische Experimente wie ein Leben im Kibbuz sind ebenfalls Traditionen und Errungenschaften des alten und modernen Israel.
Freies Denken und die Idee, dass Eigentum zu sozialer Verantwortung verpflichtet – alle Menschen sind gleich, basieren sowohl auf religiöser Erkenntnis wie auch humanistischer Revolution.
Vorbehalte, Vorwürfe – Vorhänge?, Vertuschungen – Verfremdungen, Verdrängungen und Vertröstungen sind nicht zielführend: hoffentlich beleuchten viele gute Sterne den Weg des baldigen Synagogenbaus – für eine Zukunft gegenseitiger Anerkennung.
Rami Suliman hat recht! Die angebliche Diskrimierung der Frauen dient nur als Vorwand, die Juden zu diskriminieren. Die Geschlechter beten getrennt, damit es keine Ablenkung in der Hingebung zu Gott gibt. Eine religiöse Praxis von aussen zu beurteilen, zu messen und von dort aus mit Absicht und unter Vorwand die freie Religionsausübung zu behindern, wiederspricht unserer verfassten liberalen und pluralen Demokratie. Sowohl die Vereinigung der Geschlechter als auch ihre Gleichberechtigung ist Inhalt und Praxis jüdischer Religion seit 3.000 Jahren, weil ALLE Menschen nach dem Ebenbild Gottes erschaffen sind, und deshalb FREI und frei von Sünde sind. Jüdische Frauen können seit Jahrtausenden die Ehe beenden und frei über ihr Leben entscheiden, sonst hätte die Religion der Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit ja keinen Sinn und wäre nicht verfolgt worden, unter anderem von den Kommunisten und braunen Faschisten. Und Personen, die eine substanzlose pseudo-wissenschaftliche, sekular-religiöse Religion ohne praktische Menschenrechte predigen, wie Kommunismus und den „Neuen Menschen“ (100.000.000 Tote durch den Kommunismus doch sind genug, oder?) sollten sich schämen und erst einmal bei den Opfern von Sozialismus, Mauer und National-Sozialismus entschuldigen. Und Pluralität praktizieren lernen.
@S.B.
Es geht doch hier nicht um eine einzelne Person in der Amtsführung. Viel interessanter ist, wie die Sachbearbeiterriegen in den Ämtern besetzt sind. So ist das Jugendamt überwiegend in Frauenhand. Warum eigentlich? Verstehen Männer weniger von Familie? Ich finde, eine klare Männerdiskriminierung.
Warum die jüdische Gemeinde wegen Diskriminierung von Frauen an den Pranger stellen, wo das doch so hervorragend gerade zu Konstanz passt??
Wie wenig sich diese Stadt bisher aus dem Mief der Adenauerzeit befreit hat, war doch unschwer an der Wahl des Nachfolgers von Claus Boldt zu erkennen:
Wenn Frauen trotz hervorragender Qualifikation keine Chance haben, im Rathaus echte Führungspositionen zu erreichen, wenn nicht Qualifikation, Führungs- und Kommunalerfahrung bei der Wahl ausschlaggebend sind – sondern lediglich die Zugehörigkeit zur um ihre Pfründe bangenden Männerriege, dann, mein lieber Herr Reile, sitzt in Konstanz die Hälfte der Bevölkerung „hinter dem Vorhang“.
Sabine Bade