Schattenfrauen in der Synagoge
Seit zehn Jahren steht der Neubau einer Synagoge auf der Liste wünschenswerter Projekte in Konstanz ganz oben. Nun endlich soll das jüdische Gotteshaus in der Sigismundstraße gebaut werden. Der Gemeinderat äußerte während der letzten Sitzung mehrheitlich die Hoffnung, dass damit ein Ort für alle Menschen jüdischen Glaubens geschaffen würde. Tatsächlich für alle? Der liberale Flügel der jüdischen Gemeinde in Konstanz bezweifelt das und fühlt sich diskriminiert
Es ist müßig, erneut darauf hinzuweisen, dass die Auseinandersetzungen innerhalb der jüdischen Glaubensgemeinschaft oft das Maß des Erträglichen weit überschritten haben. Über Jahre hinweg zofften sich die diversen Gruppierungen: Beleidigungen, üble Nachrede und sonstige Attacken waren an der Tagesordnung und landeten sogar des öfteren vor Gericht. Damit soll nun Schluss sein und das ist auch gut so.
Der Gemeinderat hat das für den Synagogenbau vorgesehene städtische Grundstück in der Sigismundstraße an die Israelitische Religionsgemeinschaft (IRG) Baden übertragen. Mehrmals schon wurde der Spatenstich angekündigt und ebenso oft verschoben. Jetzt wurde erklärt, dass mit einer Fertigstellung des Gebäudes bis Herbst 2015 gerechnet werden könne. Man schätzt mit Baukosten von rund 3,5 Millionen Euro. Sollte dieser Kostenrahmen überschritten werden, will die örtliche jüdische Gemeinde für Mehrkosten bis zu 500 000 Euro aufkommen. Vorab graben allerdings die Archäologen, deren Arbeiten dürften sich über rund ein halbes Jahr hinziehen. Warum, so fragen sich viele, hat man mit diesen Grabungen nicht schon früher begonnen? Denn das Grundstück im Zentrum der Stadt liegt seit Jahren brach und entwickelte sich in dieser Zeit zu einer unansehnlichen Müllhalde.
Ob der soundsovielte Anlauf zum ersehnten Erfolg führt, bleibt abzuwarten. Was aber einigen Mitgliedern der jüdischen Glaubensgemeinde weiterhin sauer aufstößt, ist die beabsichtigte Isolierung der Frauen in der neuen Synagoge. Die Planung für das jüdische Gotteshaus orientiert sich ihrer Meinung nach an den Vorstellungen einer orthodoxen Männergilde: Die weiblichen Mitglieder sollen während des Gebets auf eine Empore verfrachtet werden. Diese alttestamentarische Geschlechtertrennung wird bereits seit einiger Zeit im Raum der jüdischen Gemeinde an der Oberen Laube praktiziert (siehe Bild). Die Frauenabteilung ist durch eine Mauer abgetrennt und mit einem dicken Vorhang versehen, hinter dem die Frauen nur noch im Schattenriss erkennbar sind. Ein Bild, das eher an stockkonservative katholische Glaubenszirkel oder sektoide Sondergemeinschaften erinnert.
Die liberalen Konstanzer Jüdinnen befürworten mit Nachdruck den Synagogenbau, möchten dort aber nicht als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Dem Oberrat der IRG ging kurz nach der Gemeinderatssitzung ein Schreiben zu, in dem die Sorge geäußert wird, dass die vor Ort „traditionell-orthodoxe Ausrichtung eine bestimmte Gruppe des Judentums definitiv aus dem Gemeindeleben ausschließt“. Und weiter: „Für viele sind die Gemeindestrukturen veraltet, manche Frauen fühlen sich diskriminiert, es wird eine Form von Religiosität gepredigt, die viele zuhause niemals praktizieren“. Dennoch wollen die säkularen Jüdinnen die Hoffnung nicht aufgeben und schlagen als Kompromiss vor, beim Bau der Synagoge zwei Gebetsräume einzuplanen: „damit ALLE wenigen jüdischen Menschen, die hier in Konstanz leben, die Gelegenheit haben, ihre religiöse Ausrichtung zu praktizieren“.
Die überwiegende Mehrheit des Konstanzer Gemeinderats hat sich bei der Diskussion über die neue Synagoge heraus gehalten. „In innerreligiöse Belange“, hieß es meist verschämt und leise, solle man sich nicht einmischen. Aber warum eigentlich nicht? Alleine die mörderische Vergangenheit unserer Vorfahren sollte nicht dazu führen, dass wir uns Denkverbote oder Schweigegelübde auferlegen. Meiner Meinung nach kann die Vorgabe nur lauten: Ein klares Ja für eine neue Synagoge, die für unterschiedliche religiöse und kulturelle Strömungen Platz bietet. Ein ebenso klares Nein aber zu einem jüdischen Gotteshaus, in dem ausnahmslos Traditionalisten den Ton angeben und der moderne und aufgeklärte Rest außen vor bleibt. So war und ist das nicht gedacht.
Autor: H.Reile
Weitere Links:
Ein kleiner, zaghafter, erster Versuch egalitäre Traditionen im Judentum zu verstehen.
Fröhlich, sorgsam, weltoffen, entschlossen – so zeigen sich viele Gemeinden im Alltag in der Freude und in der Trauer.
Soweit erhalten und erlebbar beeindrucken jüdische Friedhöfe durch ihre Schlichtheit.
Besucher legen Steine auf die Grabsteine ihrer Verwandten. Jede und jeder kann einfach damit Zeichen der Verbundenheit bekunden.
Dann die Klagemauer – in Jerusalem stecken die Gläubigen Zettel in die Ritzen der Mauer der zerstörten Tempelanlage, damit ihre Wünsche erhört werden.
Die Musik – das Spiel der Liebenden – bei mir bist du scheen. Oder Gershwins mitreißende Klavierklänge – bei geschlossenen Augen umarmende Symphonien.
Die Augen öffnen und die Schönheit der nächsten Menschen sehen.
In den Schabbat-Gebeten, die Freude mit Kindern das Adon-Olam zu singen, die Verbundenheit untereinander zu erkennen.
Sodann die jüdischen Schulen, so zum Beispiel das 2006 eröffnete Jüdische Zentrum München, das eine Grundschule mit Hort, ein Jugend- und Kulturzentrum
mit jüdischer Volkshochschule beherbergt.
Egalitär heißt Gleichberechtigung von Frauen und Männern im ganzen Leben. Eine Welt, ein Leben, eine Hoffnung, eine Zukunft, ein Gebet. Ebenso: Eine Welt, viele Leben, viele Hoffnungen, eine gemeinsame Zukunft im Gebet und in der Gemeinschaft.
Eine Mitsprache, eine gemeinsame Verantwortung für die neue Synagoge in Konstanz, eine Verbundenheit und Wahlfreiheit der Glaubensausübung innerhalb der Einheitsgemeinde.
Egalitäre Einsicht erlaubt schließlich den Menschen, mit geöffnetem, freiem Geist sich für das berichtigte Interesse einzusetzen, dass Frauen und Männer gemeinsam in der Synagoge am Gebet teilnehmen können sollten, ohne trennenden Vorhang oder abgetrennte Loge – so wie das in Konstanz schon Brauch war.
Quellen:
Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern
http://www.ikg-m.de/
Wikipedia: Liberales Judentum
http://de.wikipedia.org/wiki/Liberales_Judentum
Egalitärische Jüdische Chawurah e.V.
„Es gibt mehr als nur einen Weg, jüdisch zu sein.“
http://www.gescher-freiburg.de/ueberuns.htm
Ich finde, Herr Reile, dass die Praktiken von Religionsgemeinschaften eine innere Angelegenheit sind und soweit sie unsere Gesetze nicht tangieren, eine Kritik unangebracht ist. Wenn die Frauen sich in Religionsgemeinschaften isoliert fühlen, müssen sie das mit ihrer Religion und ihren Männern ausmachen. Ich nehme an, dass sie keiner zwingt, diese Isolierungsposition einzunehmen. Also halten wir uns daraus.
Kleiner Fehler in Absatz 4: Es muss wohl heißen „Sigismundstr.“ ansatt „Obere Laube“.
In der (nicht mehr existenten) liberalen Gemeinde in der Oberen Laube wurde diese Trennung eben gerade nicht praktiziert.
Vielleicht kann man das Problem wie beim saunieren lösen- alternierend gemischt und getrennt