„Der Handel hat nicht immer Schuld“
Alltäglicher Verkehrsstau, Einkaufstourismus aus der Schweiz und der Strukturwandel der Konstanzer Unternehmen – der Einzelhandel in Konstanz wird für solche Probleme und manche mehr verantwortlich gemacht. Nicht nur von seinen Kritikern. seemoz sprach darüber mit Ekkehard Greis (s. Foto), dem scheidenden Vorsitzenden von „treffpunkt konstanz e.V.“, Interessengemeinschaft des Konstanzer Handels. Und der sieht alles das, wen wundert’s, natürlich ganz anders
Seit letzter Woche sind Sie nicht mehr Vorsitzender vom „treffpunkt“, Herr Greis. Zum Ende Ihrer dreijährigen Amtszeit haben Sie sich, dem Einzelhandel und allen Konstanzern ein
Abschiedsgeschenk gemacht: Nutzer des Park & Ride-Services erhalten vom Handel einen Gutschein über fünf Euro – erstmals beteiligt sich somit der Einzelhandel an den Verkehrskosten. Ein schwerer Schritt für die „treffpunkt“- Mitglieder?
Diese Idee stammt in Wirklichkeit von meinem Nachfolger Christian Ulmer. Für den „treffpunkt“ ist es einfach wichtig, den P+R-Platz am Seerhein zu etablieren; da unterstützen wir die Stadt gerne, auch im eigenen Interesse, wenn dadurch die Verkehrssituation in der Innenstadt entspannt werden kann. Dass es kein schwerer Schritt war, sieht man an der Akzeptanz von über 40 einlösenden Geschäften und Gastronomiebetrieben zum Start am Pfingstsamstag. Viele weitere werden folgen, da bin ich mir sicher.
Der Konstanzer Einzelhandel, einer der größten Arbeitgeber und Steuerzahler der Stadt, steht regelmäßig in der Kritik: Er allein sei zuständig für den Stauverkehr, so die Kritiker…
Das kann man so sehen, es ist aber nicht richtig. Die vielen Gäste kommen nach Konstanz, weil die Stadt insgesamt attraktiv ist: Die wunderschöne Altstadt, die Nähe zum See, das LAGO und die vielen Fachgeschäfte in der Innenstadt, das große kulturelle Angebot für eine Stadt dieser Größe mit eigenem Theater und Philharmonie, zahlreichen Museen und einer vielfältigen freien Kulturszene, die Therme, die sensationelle Vielfalt der Gastronomie und vieles mehr bilden insgesamt eine Anziehungskraft, die ihresgleichen sucht – weshalb soll also der Handel „schuld sein“?
Seit mehr als zwölf Jahren wird im Gemeinderat immer wieder über die Nutzung des Döbeles diskutiert, jetzt wird endlich ein Wettbewerb ausgeschrieben. Und über einen Einbahn-Ringverkehr um die Altstadt mit durchgehender Busspur darf nicht diskutiert werden, weil irgendein Gutachten dem gesunden Menschenverstand widerspricht. Es gibt wohl nicht viele Stadtzentren, die sich dafür so anbieten würden wie Konstanz. Und das ist auch die Schuld des Handels? Nein, da machen Sie es sich zu leicht, für das alltägliche Verkehrschaos sind wahrlich auch andere verantwortlich.
Weiterer Kritikpunkt: Der Einzelhandel vertrete egoistisch nur seine Interessen, wolle Konkurrenz in den Nachbarstädten verhindern und die Steuererleichterungen mit Schweizer Kunden bewahren…
Der Landesentwicklungsplan unterscheidet zwischen Ober- und Mittelzentrum. Konstanz ist Oberzentrum, hat ein eigenes Theater und eine eigene Philharmonie, was einem Oberzentrum zusteht, ebenso die entsprechenden Einkaufsflächen. Einem Mittelzentrum stehen „nur“ 5000 m² Verkaufsfläche für ein Einkaufszentrum zu. Mit welcher Begründung soll denn der Landesentwicklungsplan „aufgeweicht“ werden? Wenn Konstanz nicht aufpasst und seinen Status als Oberzentrum verliert, können plötzlich so elementare Dinge wie Landeszuschüsse für Theater und Philharmonie in Frage gestellt sein, und das ist dann kein Problem des Handels mehr.
…und die Schweizer Kunden?
Die Steuererleichterungen für Schweizer Kunden sind zunächst Bundesangelegenheit, Änderungen kann also nur der Bundestag vornehmen. Eine sogenannte Bagatellgrenze für die Rückerstattung der Mehrwertsteuer kann aber nicht bei 150 Euro oder höher liegen, wie von manchen Schweizer Politikern und Verbänden gefordert – das ist einfach überzogen. 30 oder 50 Euro sind da eher realistisch, und deshalb würden vermutlich nur wenige Schweizer Kunden wegbleiben. Aber das ist Zukunftsmusik und sicher noch in weiter Ferne.
Und es gibt ja auch den umgekehrten „Einkaufstourismus“: Konstanz hat in der Kernstadt bei rund 80 000 Einwohner drei Tankstellen; Kreuzlingen hat für 20 000 Einwohner elf, Tägerwilen mit 4000 Einwohnern vier – haben Sie darüber schon mal einen Protest gehört?
Andererseits: Keine Branche verdient so gut wie der Handel. Das gilt umso mehr, als sich die Industrie zunehmend aus Konstanz verabschiedet. Wird der Einzelhandel zum Gewinner des Strukturwandels in der Stadt?
Das kann man so noch nicht absehen. Als sicher gilt aber, dass jeder Arbeitgeber, der in Konstanz Stellen streicht, auch den Handel schwächt, vor allem, wenn es um so gut bezahlte Arbeitsplätze wie bei Takeda geht. Und wie eingangs schon gesagt: Es geht um die Vielfalt des Angebots in Konstanz, nur dann funktioniert auch der Handel gut.
Das heißt aber auch: Konstanz wird reine Touristen- und Einkaufsstadt – ein paar Beamte noch, ein paar Studenten, sonst nur Händler und Käufer. Sind das Ihre Zukunftsaussichten?
Das kann ich mir nur schlecht vorstellen und betrachte das auch nicht als unsere Zukunftsaussichten. Es ist vielmehr auch Aufgabe des „treffpunkts“, mit dafür Sorge zu tragen, dass es in Konstanz „rund läuft“, dazu gehört neben anderem eben auch der Handel. Wenn Verwaltung, Gemeinderat und alle Organisationen, jeder an seinem Platz, seine Aufgaben ordentlich erfüllt, habe ich um Konstanz keine Angst. Im Übrigen: 15 000 Studenten von Uni und HTWG sind auch nicht ein „paar“, sondern rund 18 % der Einwohner. Und mit etwa 3 700 Mitarbeitern ist die Uni der größte Arbeitgeber in der Stadt.
Als Vorsitzender sind Sie abgetreten, als Pressesprecher arbeiten Sie weiter für den „treffpunkt“. Können wir mit einer offensiveren Öffentlichkeitsarbeit der Händler rechnen?
Da dürfen Sie sicher sein.
Autor: hpk
hpk: Der Konstanzer Einzelhandel, einer der größten Arbeitgeber und Steuerzahler der Stadt, steht regelmäßig in der Kritik:
Er allein sei zuständig für den Stauverkehr, so die Kritiker…
Dem Einzelhandel und der Gastronomie hat man es vorne und hinten reingestopft. Weil sie ihren Hals nicht voll genug bekamen, wurden immer mehr Parkhäuser in die bereits enge Altstadt gepresst. Konstanz war immer schon attraktiv und die Gäste kamen auch ohne die Parkhäuser. Da hatten wir noch keinen Stau und die Gäste kamen deshalb besonders gerne nach Konstanz. Die Einkaufstouristen versauen jetzt den erholungsuchenden und den an Kultur und Altstadt interessierten Touristen die Freude an Konstanz Herr Greis!
@ Dr. Rügert
Diese Untersuchungen sind dem Bürger meist unbekannt bzw. wurden inzwischen vergessen. Zur Diskussion um einen Altstadtringverkehr müssen immer wieder die Untersuchungen veröffentlicht werden, oder Sie lassen diese Untersuchungen mal durch einen Praxistest nachweisen.
Das wurde schon mehrmals untersucht und immer kamen die Verkehrsgutachter zu dem Ergebnis, dass ein Einbahnring mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen im gesamten Altstadtbereich einher gehen würde.
Dr. Walter Rügert
Pressereferent
In einem Punkt muss man Herrn Greis ja zustimmen – es ist absolut unverständlich, warum Konstanz nicht schon lange einen Einbahnringverkehr um die Altstadt mit Busspur und einen vernünftigen Fahrradweg installiert hat. Das wäre eine moderne und innovative Lösung für Konstanz.