Echt konstanzerisch

Der Konstanzer Gemeinderat hatte sich am Donnerstag viel vorgenommen und hat in der Tat auch in einer rund acht Stunden währenden Marathonsitzung einige wegweisende Beschlüsse getroffen und der Verwaltung hier und da ein wenig Dampf gemacht. Vielleicht ein wenig überraschend fiel die Wahl des neuen Behindertenbeauftragten aus, denn mit Stephan Grumbt gewann ein behindertenpolitischer Neuling gegen zwei gestandene, engagierte Fachmenschen.

Auch der Gemeinderat, der vor der öffentlichen Sitzung bereits von 14 bis 17 Uhr nichtöffentlich den neuen Stadtwerke-Geschäftsführer gewählt hatte, kennt seine Finessen: Nachdem der Oberbürgermeister Uli Burchardt die öffentliche Sitzung für eröffnet erklärt und die Verwaltung durch Öffnen der Fenster Luft in den nach der langen nichtöffentlichen Sitzung stickigen Sitzungssaal ließ, gab es vor dem Eintritt in die geplante Debatte wie immer einige Anträge zur Geschäftsordnung. So erklärte Anselm Venedey (FWK), wie so oft das Gewissen des Gemeinderates, er werde an der für diesen Tag geplanten erneuten Abstimmung über die Umbenennung der von-Emmich-Straße nicht teilnehmen, da darüber bereits zwei Mal – und beim zweiten Mal nach einer Bürgerbeteiligung – abgestimmt worden sei; er könne nicht einsehen, so lange abzustimmen, bis endlich ein wem auch immer genehmes Ergebnis zustandekomme (beistimmendes Gemurmel von Teilen des Gemeinderates). Werner Allweiss (FGL) unterbreitete dann zu diesem Thema einen denkbar naheliegenden Antrag, der am Ende eine Mehrheit fand: Es sei schon lange die Rede davon, die Straßenumbenennungskommission des Gemeinderates solle grundsätzliche Kriterien für die Neubenennung von Straßen finden, und eine erneute Behandlung der (von Bürgern heftig bekämpften) Umbenennung der von-Emmich-Straße möge man doch erst angehen, wenn es diese Normen gebe.

Damit wird diese Straße vorläufig wohl trotz der zweimaligen Zustimmung des Gemeinderates nicht umbenannt, und man hat das Hauen und Stechen um die Straßenumbenennungen in die entsprechende Kommission zurückverwiesen. Dass es dort hoch hergehen wird, ist klar. Denn auf der einen Seite proben ansonsten friedliche Bürger den Aufstand, wenn man ihre nach einem Massenmörder, Kriegstreiber, Vergewaltiger oder sonstigem Musterdeutschen benannte Straße einem anderen Patron widmen will, weil sie sich dann neue Visitenkarten drucken lassen müssen. Auf der anderen Seite hängen natürlich einige traditionsbewusste Mitglieder der bürgerlichen Fraktionen des Gemeinderates doch insgeheim an manchen dieser Säulenheiligen, weil sich an denen ihr innerer patriotischer Schweinehund gelegentlich seine borstige Schwarte ein wenig wetzen kann, ohne dass es jemand merkt.

Echt konstanzerisch

Gleich drei Bewerberinnen und Bewerber traten um den Posten des Behindertenbeauftragten der Stadt Konstanz an, und man muss vorwegschicken: Hierbei geht es nicht um eine einkömmliche Pfründe, sondern – wie bei den Gemeinderätinnen und -räten selbst übrigens auch – um ganz viel ehrenamtliche nebenberufliche Arbeit für ganz wenig Geld (es ist nicht mal ein 400-Euro-Job).

Das Profil dieser Drei lässt sich klar umreißen, denn hier hatte man es für einmal nicht mit drei Bewerberinnen und Bewerbern zu tun, die für einen Job allen alles versprechen, sondern mit drei wirklich unterscheidbaren Persönlichkeiten. In alphabetischer Reihenfolge:

1. Andrea Bartel, ist in Konstanz verheiratet, arbeitet als Beamtin in München und ist in Bayern als professionelle Behindertenbeauftragte mit der Um- (oder wahrscheinlich eher Durch-)setzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf überkommunaler Ebene tätig, weshalb sie die Probleme in mehr als einer Kommune kennt. Ihr Ziel ist es, dass Menschen mit Behinderung nicht nur als gleichberechtigt, sondern endlich auch als selbstständig wahrgenommen werden. Als ein Beispiel nannte sie die Verkehrsproblematik am Konstanzer Bahnhof: Aus Sicht von Behinderten brauche es dort einfach weniger Verkehr. Alexander Fecker von der CDU, seinerseits außer durch seine Parteizugehörigkeit nicht einmal durch die Schwerkraft logischen Denkens behindert, bohrte nach: Frau Bartel möge doch bitte beschreiben, wie und wo man denn etwa die Gleise die Konstanzer Bahnhofs zwischen den Bahnsteigen überqueren könne und wie sie zur Begegnungszone stehe, ob da nicht vielleicht … Holger Reile (LLK) erklärte Frau Bartel deutlich sein Misstrauen: Mit einem Job in München sei sie nicht schnell genug erreichbar und auch nicht in der Lage, wichtige Termine etwa in Ausschüssen wahrzunehmen. Andrea Bartel erläuterte, dass sie nur etwa 20 Wochenstunden in München anwesend sein müsse und ansonsten Home-Office in Konstanz habe und sich damit keinen größeren Problemen gegenübersehe als eine Konstanzer Ganztagsbeamtin auch, die schließlich nicht nach Belieben ihren Arbeitsplatz verlassen könne. Außerdem setze sie darauf, dass der Gemeinderat in der Lage sei, Termine rechtzeitig anzukündigen, und dann werde sie da sein. Gut gegeben, Frau Bartel.

Profil: Sehr kompetent und mit viel Erfahrung, auch darin, wie man Verwaltungen behandelt. Juristisch vermutlich ziemlich sattelfest.

2. Stephan Grumbt ist in Konstanz kein Unbekannter, aber ein durchaus nicht unsympathischer Neuling im politischen Geschäft. Der langhaarige Ex-Rugbyspieler mit Potential zum Sunnyboy strahlt auch heute, Jahre nachdem die Multiple Sklerose ihn in den Rollstuhl zwang, einen unverwüstlichen Optimismus aus. Er kennt Konstanz aus alten Tagen sowohl auf zwei Beinen als auch aus neueren Zeiten auf vier Rädern. Ihm geht es weniger um Inhalte als vielmehr um die richtige Methode: Als Logistiker im Speditionswesen betonte er, in Konstanz geboren, in Konstanz zur Schule gegangen usw. zu sein, die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen schwebt für ihn zu sehr in der Luft. Er will auf gut konstanzerisch die Eigeninitiative von Menschen mit Behinderung und vor allem den Behinderten-Beirat stärken. Er ist ein bodenständiger Mensch, Mitglied vieler Vereine, und er bevorzugt einfache Lösungen. Dabei soll ihm vor allem sein Freund und Stellvertreter Thorsten Stöckle behilflich sein.

Profil: Ist echter Konstanzer und setzt darauf, dass alles schon wird, wenn man nicht zu sehr hirnt und jeden kennt.

3. Conrad Schechter ist seit 2006 in Konstanz Behindertenbeauftragter und hielt – dies vorweg – die beste Rede, die man seit langem überhaupt gehört hat, vielleicht ob ihrer Abschweifungen nicht immer taktisch klug, aber außerordentlich luzide. Abgesehen davon, dass er überhaupt einer der besten und reflektiertesten Redner ist, die es in diesen Gefilden gibt, hat er sich in seiner bisherigen Amtszeit durch sein Engagement und seine überragende Intelligenz erhebliche Lorbeeren erworben. „Behinderung ist“, so Schechter, „wie ein Spiegel der Verletzlichkeit des Menschen, seiner körperlichen, seiner sozialen und seiner emotionalen Verletzlichkeit. Ein Teil der conditio humana.“ Statt bei Behinderung nur an technische Lösungen zu denken, brauchen wir seiner Meinung nach auch soziale und humane Ansätze. Als einziger ging er auf konkrete Anliegen ein: Er sieht die Probleme etwa behinderter Touristen, eine Toilette zu finden, verweist darauf, dass es für geistig behinderte Menschen in Konstanz eine komplette Infrastruktur gebe, für Menschen mit anderer Behinderung aber nicht, und will enger mit dem HTWG- (FH-)Lehrstuhl für barrierefreies Bauen zusammenarbeiten, um für behinderte Menschen ebenso wie für Senioren eine Bordsteinabsenkung zu erreichen. Die Stärke seines Ansatzes sind die Einbeziehung technischer wie sozialer Hilfsmittel und der Blick auch auf die Bedürfnisse alter Menschen. Er will offenkundig nicht eine Gesellschaft für viele, sondern eine für alle. Vielleicht war er auch einfach nur zu ehrlich, als er den Behindertenbeauftragen als „ein schönes, aber kleines Amt“ beschrieb.

Profil: Der Intellektuelle mit Herz, ein umwerfender Redner mit viel Erfahrung als Behindertenbeauftragter und langjährigem erfolgreichem Einsatz in Konstanz.

Der Gemeinderat stimmte geheim ab, so dass man über seine Entscheidung nur spekulieren kann: Stephan Grumbt, der Kandidat ohne Inhalte, aber mit einer unverwaschen Konstanzer Seele, gewann. Er versprach in seiner Dankesrede, es auf seine „Konstanzer Art“ zu machen, „schnell, einfach, pragmatisch“. Hic Rhodus, hic salta!

O. Pugliese