„Die DDR wird als Bedrohungskulisse aufgebaut“

Unter dem Titel „Verleugnende Verdrängung – DDR-Rassismus und die Folgen“ hat seemoz am 4. Juni  Thesen des Freiburger Historikers Harry Waibel veröffentlicht. Der Beitrag rief etliche Kommentatoren auf den Plan, die sich häufig nur platt oder beleidigend mit dem Thema befassten und deshalb nicht veröffentlicht wurden. Anders ist das mit diesem Text, dessen Gedanken wir wichtig finden. Die Diskussion ist eröffnet

„Was Dr. Waibel bezüglich der konkreten rassistischen Vorfälle herausgefunden hat, kann ich nicht beurteilen. Wie er ja selbst glaubwürdig darlegt, wurde die Bevölkerung in der DDR, also auch ich, nicht darüber unterrichtet. Ich zweifle nicht daran, dass es Rassismus gegeben hat. Allerdings glaube ich besser darüber im Bilde zu sein, welche Stimmungen und Mentalitäten in der damaligen Zeit anzutreffen waren. Als Exkurs möchte ich aber zunächst einige Beobachtungen grundlegender Natur vorausschicken, ohne dass ich diese vorschnell auf den Beitrag von Dr. Waibel bezogen wissen möchte.

Das Bild, das heute von der Gesellschaft der DDR gezeichnet wird, insbesondere durch jene, die sich nun, lange nach dem Fall der Mauer, erst aufmachen müssen, um etwas in Erfahrung zu bringen, ist immer stark davon abhängig, an welche „Zeitzeugen“ oder Zeugnisse aus dem ehemaligen ostdeutschen Nachbarstaat man gerät. Und ist darüber hinaus auch davon abhängig, ob nicht schon von vornherein ein Ziel, eine bestimmte Botschaft vermittelt werden soll. Nicht zu unterschätzen ist auch die mediale Beeinflussung, die ja schon mehr als eine ganze Generation anhält, und nicht nur die Merkmale eines „Kalten Krieges“ in sich trägt, sondern auch dessen hintergründige Motivation einfach beibehalten hat.

DDR dient als Feindbild

Dazu sollte man sich etwas vergegenwärtigen: Die Menschen in unserem Land werden mehr denn je durch eine Geschichtspolitik beeinflusst, die der Legitimation der derzeitigen „neoliberalen“ Paradigmen entgegenkommen soll. Dazu gehört ua., das Bild des Sozialstaates zu demontieren und in der Bevölkerung sogar Furcht vor ihm aufzubauen. Ungeachtet dessen, dass die DDR ohnehin kein demokratisch legitimiertes Gemeinwesen war, und hier von mir bei weitem nicht als sogenannte „Alternative“ romantisiert werden soll, dient sie aber trotzdem als Feindbild, oder sagen wir, sie wird uns mittels der Medien als abschreckendes Beispiel vorgesetzt, da sie ja den Gedanken des Sozialstaates in sich trägt, vor allem den der staatlichen Verantwortung.

Will man bspw. den derzeitigen Privatisierungsprozess öffentlichen Eigentums diskreditieren, Sparmaßnahmen oder etwa eine sozialstaatlich beeinflusste Bau- und Wohnungspolitik, genauso wie eine Deregulierung des Finanz- und Bankensektors, genügt es den „Eliten“ häufig, als so genanntes Menetekel, auf die DDR zu verweisen, mit dem Motto, – „seht her, was passiert, wenn ihr den Sozialismus einfordert“. Die Bedrohungskulisse DDR wird geschickt aufgebaut und instrumentalisiert, um heute in den Köpfen neoliberale Dogmen zu etablieren, indem man auf die deutsche Teilung verweist, sowie Mauertote und Stasi. Aber eben auch indem man Erscheinungen wie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit als durch das „sozialistische System erzeugt“ vorwirft, was meiner Ansicht nach, von dem Versagen der gesamten so genannten „Bürgerlichen Gesellschaft“, angesichts von NSU-Morden, ablenken soll.

Die Instrumentalisierung der Verhältnisse in der DDR geschieht seit mehr als einer Dekade mit Wohlbedacht, wohl als Folge der Wahlsiege einer Linkspartei, aber auch angesichts der Romantisierung der DDR durch diverse Zeitgenossen. Aber anstatt sich einzugestehen, dass dieser Eskapismus in die vermeintlich „heile Welt“ der DDR etwas mit der derzeitigen verfehlten gesellschaftsfeindlichen Politik unserer sogenannten „Eliten“ zu tun hat, wird versucht, den verhassten „Sozialstaat“ mit seiner Gängelung (was man durchaus generalisierend meint) vorrangig dafür verantwortlich zu machen.

Das Wissen über die NS-Diktatur wurde tiefgründig vermittelt“

Mir geht es nun so, aber vielleicht ist das sehr subjektiv (?), dass ich seit nunmehr 23 Jahren den Eindruck gewinnen musste, dass zu allen Themen, die seit dem Fall der Mauer über die Gesellschaft der DDR „aufgerollt“ wurden, scheinbar immer sehr untypische „Informanten“ konsultiert worden waren und viele Informationen überzeichnet oder sehr stark interpretiert wurden. So geht es mir z.T. auch bei den Thesen im Beitrag des Dr. Waibel.

Dass es Rassismus gegeben hat, glaube ich dessen ungeachtet sehr wohl, wie ich bereits schrieb. Der Autor vermittelt allerdings den Eindruck, und der steht am Ende im Raum, als hätte man es bei den Ostdeutschen mit einem Volk zu tun, dass durch die vorangegangene NS-Diktatur geprägt worden sei, und ständig eine „sozialistische Maske“ vor sich her getragen hätte, um dann, etwa wenn man wegschaute, auf Ausländer einzuprügeln, „Pogrome“ zu veranstalten und sowieso dem Nationalsozialismus verfallen wäre, weil ja „niemand entnazifiziert“ wurde.

Waibel: „Die Ursachen für diese Entwicklung sind komplex und dazu gehört die mangelnde Ent-Nazifizierung und der große Frieden mit alten Nazis, die als Funktionseliten beim Aufbau und der Verwaltung des Staates und der Gesellschaft der DDR dringend gebraucht wurden.“

Dass der beschriebene Rassismus die Ursache in einer insgeheim verbreiteten nationalsozialistischen Ideologie, hervorgerufen durch fehlende Entnazifizierung und Ex-Nazis in den Funktionseliten gehabt hätte, halte ich für eine These, die jeder Grundlage entbehrt, und ich sage das, obwohl ich, wie wohl die meisten in der DDR sozialisierten Zeitgenossen, eine kritische Distanz zum damaligen System an den Tag gelegt hatte. Das heißt, auch ich habe nicht alles geglaubt, was man mir etwa als Schüler erzählte. Die Gabe zu differenzieren wird aber heute den Menschen, die im so genannten Sozialismus aufwuchsen, scheinbar nicht mehr zugestanden, denn alles, was in der Schule damals vermittelt wurde, das muss man ehrlich einräumen, war von Grund auf als antifaschistisch zu bezeichnen. Das Wissen über die NS-Diktatur ist bei weitem tiefgründiger und umfassender vermittelt worden als zu allen Zeiten in der Bundesrepublik Deutschland, – und das bis heute.

Die Berliner Republik hat selber mit der Aufklärung gebrochen“

„Rote Propaganda“ musste doch gerade bei diesem Thema kaum betrieben werden, denn die Folgen der NS-Herrschaft sprachen doch für sich. In der Schule gab es Lesestücke ua. von Tucholsky, Brecht, Mann und Heine oder die eines Konrad Wolf, und es gab bspw. Besichtigungen im KZ Buchenwald bei Weimar. „Reichskriegsflaggen“ waren eben, im Gegensatz zur „Bonner Republik“, nicht möglich, noch nicht einmal ein „Eisernes Kreuz“ am Brandenburger Tor, das aber dort nach der Wiedervereinigung eiligst reinstalliert wurde.

Es ist aberwitzig, – während ich in meiner Studienzeit hier in Konstanz so vielen Kommilitonen aus den alten Bundesländern begegnet bin, die bemerkten, dass sie in der Schule über den Nationalsozialismus nicht viel gehört hatten, oder wenn man sich der Tatsache vergegenwärtigt, das es erst in den 90ern (!) eine Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht gab, während man davon in der DDR schon als Kind wusste, und wenn man sich einmal die derzeitigen Eingeständnisse vergewissert, bezüglich hoher NS-Chargen beim Spiegel, im Auswärtigen Amt oder den Vertriebenenverbänden, – alles Einrichtungen und Organisationen mit maßgeblichen Einfluss auf die Politik, Kultur und das Selbstverständnis der bundesrepublikanischen Gesellschaft, dann scheint dieser Satz, den ich von Waibel zitiert habe, vollkommen absurd.

Die Berliner Republik hat selber mit der Aufklärung gebrochen. Von vielen erkannt, aber wenig thematisiert, und deswegen nur wenigen im Bewusstsein, ist die eklatante Kultur- und Geschichtspolitik, die unsere derzeitigen Eliten betreiben lassen. Diese reicht von „Du bist Deutschland“ über den Neubau von Garnisionkirchen (Potsdam) und Schlossattrappen als „Identitätsprojekte“ (Berlin), „Fußballsommermärchen“ und einer Pseudogeschichtsaufarbeitung eines Guido Knopp, der seit 20 Jahren die Deutschen als „Opfer“ stilisiert, und nationale „Mythen“ bemüht.

In der DDR gab es weit weniger Gelegenheit, mit Ausländern in Kontakt zu treten als in der Bundesrepublik, was wohl durch die geringere Zahl nicht verwundern darf. Sie waren keineswegs integriert, bis auf Ausnahmen, denn sie wurden, wie Waibel richtig schreibt, in Wohnblöcken einquartiert und waren unter sich. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte wohl der Umstand, dass ihre Zeit in der DDR als temporär vorausgesetzt wurde. Durch die Separation entstand auch ein Klima gegenseitigen Nichtwissens, was Vorurteilen Vorschub leistete. Die Gesellschaft im ostdeutschen Staat war auch weitaus weniger „weltmännisch“, um nicht zu sagen, provinziell, was wohl eine Folge der Isolation und der fehlenden Reisefreiheit war.

Lebensinhalt war also meist das Private, in dem der Fremde als umso störender empfunden werden konnte. Dass sich aber die Ausschreitungen gegen ihn auf ein nationalistisches Selbstverständnis begründet hätten, einer Überbewertung des Deutschen sozusagen, halte ich für unwahrscheinlich. Das Auftauchen von NS-Symbolik widerspricht dem auch nicht, da das Zeigen und Hantieren mit NS-Symbolik durch Jugendliche wohl auch insgeheim eine Art Protest gegen das DDR-Regime und seine Paradigmen zum Ausdruck brachte. Eigentlich wurde das sehr streng geahndet. Ich glaube auch nicht, dass man eine Kontinuität faschistischer Ideologien, unter Einbeziehung nicht entnazifizierter Funktionsträger in der DDR konstruieren kann, da diese gar keine Möglichkeit gehabt haben konnten, auf die Gesellschaft einzuwirken, im Gegensatz zu den Verhältnissen in der Bundesrepublik, in der ja alte Feindbilder auch im Kalten Krieg beibehalten werden konnten.

Dialekte galten als „nicht erhaltenswert“

Allerdings gibt es schon eine Besonderheit in der Kulturpolitik der DDR zu verzeichnen, die ich indirekt dafür verantwortlich mache, dass sie die Empfänglichkeit für rechtsextremistische Ideologien nach dem Fall der Mauer mit verursacht hatte. Mit der Befreiung vom Faschismus, wie es hieß, 1945, versuchte man kultur- und geschichtspolitisch eine Art „Reset-Taste“ zu betätigen, die all das marginalisierte, was von vorangegangenen Epochen an Traditionen und Identitäten durch die Zeitgenossen transportiert wurde, inklusive religiöser Aspekte. Offiziell, von staatlicher Seite her, war also nicht die hier bildlich gemeinte Dorf-Kirmes wichtig, sondern am ersten Mai für den Frieden zu demonstrieren. Lokale Traditionen und volkstümliche Eigenheiten, wie etwa das Sprechen von Dialekten, wurden von offiziöser Seite als nicht erhaltenswert betrachtet. In der Schule sollte bspw. nur hochdeutsch gesprochen werden, damit die Grammatik besser erlernt werden konnte. Der moderne sozialistische Mensch sollte nach Möglichkeit atheistisch, aufgeklärt, dem Alten abholt, und dem Sozialismus, so wie er in der DDR praktiziert wurde, zugetan sein.

Natürlich gelang kein totaler Bruch mit einer Identität, da ja noch viele Menschen lebten, die in den vorangegangenen Jahrzehnten sozialisiert wurden. Identitäten, die aus der Vergangenheit resultierten, waren aber nur dann erwünscht, wenn sie sich irgendwie in den Sozialismus und das Selbstverständnis vom Arbeiter- und Bauernstaat einbinden ließen. (waren also nicht unmöglich.

Die jungen Leute hingegen lebten zunehmend „modern“. Nicht unbedingt, weil sie sich mit dem Regime arrangiert hätten, sondern weil die Aufklärung, das Lebensgefühl der 68er, das es durchaus auch in Ostdeutschland gab, die Abwendung von der Religion und die Bevorzugung städtischer Lebensformen, an und für sich als angenehmer empfunden wurden.

In diesem Moment ereigneten sich der Fall der Mauer, die Wiedervereinigung, und damit auch die umfassende Vernichtung aller relevanten Arbeitsplätze in den Industrien. Auch wenn es im Zeichen der Mangelwirtschaft unglaublich erscheint – mit ihrer Arbeit hatten sich auch die Menschen in der DDR identifiziert. Aber was blieb nun auf dem Lande oder in der ostdeutschen Provinzstadt? Eine gewisse Bodenständigkeit oder ein Selbstbewusstsein hatte sich bei den jüngeren Generationen nicht entwickeln können. Das, was seit dem Fall der Mauer ein Teil der jungen Leute als „ihre Identität“ annimmt, ist das, was sie aus einem Gegenentwurf zur DDR ableitet, bzw. sogar eine bundesdeutsche Geschichtspolitik suggeriert. Und zwar einen starken nationalistischen Staat, mit scheinbar „nationalistischen Traditionen“.

Tradition aus schwarz-weiß-roten Fahnen und Eichenlaub

Diese jungen Generationen finden ihre Identität nicht mehr in einer volkstümlichen (unnationalistischen) Kirmes, einer regionalen Sprache, oder anderen bürgerlichen positiven Traditionen, die eher föderalen Charakter tragen (die aber schwerer greifbar, und eigentlich verloren sind), sondern sie konstruieren sich eine vermeintliche „althergebrachte Identität“, bestehend aus schwarz-weiß-roten Fahnen, Eichenlaub und Kriegerdenkmal. In harmloserer Form gründet man einen „Mittelalterverein“.

Eklatant ist eigentlich, dass sie darin von einer neoliberalen und rechtskonservativen Politik bestärkt werden. (Wie ist es möglich, dass es nicht zu einem Eklat kommt, wenn etwa ein Bundeswehrsoldat das Eiserne Kreuz als Auszeichnung reaktivieren will, und eine von 5000 Militärangehörigen unterzeichnete Petition einreicht?)

Zum einen wurden in den neuen Ländern, wie vermehrt in der gesamten Bundesrepublik, keine Anknüpfungspunkte an lokale Traditionen und Identitäten gesucht, sondern es wurde seit der Zeit der Berliner Republik an „positiven deutschen Mythen“ gebastelt, die allzu oft in der autoritären Gesellschaft der letzten Monarchie verortet werden müssen, und den Nationalsozialismus als Folge seiner vorangegangenen Epoche ausblenden sollen.

Dazu braucht man nur die öffentlich-rechtlichen Programme zu hören oder zu sehen, bzw. in die Schule zu gehen. An anderer Stelle wurden „Identitäten“, verstärkt durch den Tourismus und damit der Marktwirtschaft, „konstruiert“, insbesondere in den neuen Ländern. Aufkonstruierte Identitäten bieten aber keinen Halt, sondern sind eigentlich nur Vermarktungsstrategien. Und die sind in den angekündigten „blühenden“ Landschaften, mit hohen Arbeitslosenquoten gerne genommen worden.

Der erstarkte Rechtsradikalismus ist somit einmal mehr eine Folge, die aus einem Selbstverständnis resultiert, wie es die sogenannte bürgerliche Gesellschaft derzeit pflegt, und hat somit viel mit „Neoliberalismus“ und dem damit einhergehenden „Recht des Stärkeren“ gemein, als mit Ex-Nazis aus den jungen Jahren der DDR.“

Autor: Henn

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Verleugnende Verdrängung – DDR-Rassismus und die Folgen