Konzerthaus: Guten Morgen, Herr Bürgermeister !

Nach dem eindeutigen Bürgerentscheid gegen das KKH will  Bürgermeister Claus Boldt von der Initiative „Nein zu Klein-Venedig“ wissen, wie es nun weitergehen könne. Eigene Ideen der Stadtverwaltung sind wohl Mangelware. Die Initiative zeigt sich kooperativ und hat umgehend in ehrenamtlicher Arbeit ein beachtliches Grobkonzept erarbeitet.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Boldt,

vielen Dank für das in Ihrem Schreiben vom 8. April 2010 bekundete Interesse an den Positionen und Vorschlägen der Initiative „Nein zu Klein-Venedig“.

Vorab möchten wir jedoch unsere Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, dass Sie erst durch unsere Einladung an Herrn Riem nach dem Bürgerentscheid darauf aufmerksam wurden, dass wir nicht die Schaffung einer Spielstätte für die Philharmonie (und für andere musikalische Darbietungen) in Frage stellen.

Zum besseren Verständnis unserer Vorschläge die nachfolgenden Bemerkungen:

Unsere Ablehnung der Pläne eines KKH auf Klein-Venedig resultierte aus dem Beharren auf einem Standort, den die Mehrheit bereits in einem früheren Bürgerentscheid abgelehnt hatte und dessen Überplanung mit Konzerthaus, Parkhäusern, Straßen und Plätzen einen Großteil dieser Konstanzer Frei- und Festfläche in Beschlag genommen hätte.

Des weiteren bezog sich unsere Ablehnung des Projekts auf die Steigerung des Verkehrsaufkommens in der gesamten Innenstadt, auf die steigenden Lärm- und Emissionspegel im Bereich Schnetztor und Laube und damit darauf, dass mit dieser Planung die von der Stadt Konstanz beschlossenen Vorgaben (STEP) für die Innenstadtentwicklung (z.B. Absenkung des MIV-Anteils auf 25 % am Modalsplit konterkariert wurden.

(Anm.d.Red.: MIV = Motorisierter Indivudualverkehr/ Als Modalsplit wird in der Verkehrsstatistik die Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsmittel bezeichnet).

Unsere Kritik richtete sich auch auf die Schaffung weiterer öffentlicher Parkplätze im Bereich der östlichen Altstadt. Auch dieses Vorhaben stand im Gegensatz zu städtischen Planungsaussagen. (…)

Ferner kritisierten wir das fehlende Betreiberkonzept, das nicht überzeugende und mit der Schweiz nicht abgestimmte Konzept der Altlastensicherung auf Klein-Venedig und den alternativlosen Planungsansatz, der in seiner rigiden „dort-oder-nirgends- Strategie“ den Standortbefürwortern gar keine Möglichkeit bot, die massenhaft aufgezeigten Problemlagen (in den von der Stadt in Auftrag gegebenen, sehr guten Gutachten) als Hinderungsgründe zu akzeptieren.

Besonders empörend empfanden wir die von der Gemeinderatsmehrheit in einer Verlautbarung aufgestellte Behauptung, dass das Konzerthaus im geplanten Volumen ohne Steuererhöhungen, ohne Einschnitte an anderer Stelle und ohne eine dramatische Verschlechterung der Haushaltssituation der Stadt Konstanz finanzierbar sei.

Die aktuelle Stellungnahme des Regierungspräsidiums Freiburg zur geplanten Neuverschuldung – wohlgemerkt ohne Berücksichtigung der Kosten für Krankenhaus, Konzerthaus und Unterführung Klein-Venedig – hat unsere Kritik am Finanzierungsansatz von Gemeinderat und Stadtverwaltung mehr als deutlich bestätigt.

Planungen dieser Dimension, die in ihrem konkreten Nutzen nur einer Minderheit zugute kommen, finanziell und z.B. bei den Verkehrsauswirkungen aber von der gesamten Bevölkerung getragen werden müssen, werden in anderen Kommunen mit der Bevölkerung und nicht gegen sie entwickelt. Hier sei nur erinnert an die monatelange Leugnung der Existenz der hochbrisanten Verkehrsuntersuchung von Dr. Menzel durch die Stadtspitze, an die Schwierigkeiten, das ganze Verkehrsgutachten von Prof. Zweibrücken zur Agglomeration „Kreuzlingen Nord, Konstanz Süd“ zu erhalten oder an die Weigerung der Stadtspitze, eine öffentliche Debatte über Finanzierung und städtebauliche Konsequenzen des KKH-Projekts zwischen Vertretern der Initiative „Nein zu Klein-Venedig“ und dem städtischen Kämmerer und dem Stadtplaner zuzulassen.

Wie Sie erkennen werden, stellen unsere Kritikpunkte an dem Projekt KKH und seiner Durchführung keine prinzipielle Ablehnung einer Spielstätte für die Philharmonie dar. Diese Argumente standen auch im Mittelpunkt unserer Kampagne zum Bürgerentscheid, und wir bedauern sehr, dass Sie unsere Position anscheinend nur im Zerrspiegel der Kampagne der „Bürger für Konstanz“ wahrnahmen oder durch die einseitigen Kommentare des Südkurier, der als Unterstützer der „Bürger für Konstanz“ auftrat.

Aus dieser inhaltlichen Kritik resultieren unsere Vorschläge an Stadtverwaltung und Gemeinderat zum Vorgehen nach dem Bürgerentscheid:

1.) Als erste Maßnahme erwarten wir von Seiten der Stadtverwaltung, den Bürgerentscheid zu akzeptieren und den Vorschlag der SPD-Fraktion aufzugreifen, alle Vorhaben zur weiteren Bebauung von Klein-Venedig und zur Installation weiterer Parkhäuser in dieser seenahen Lage einzustellen. Des weiteren erwarten wir eine ehrliche Auskunft, ob die Aussage der Stadtverwaltung, dass die Unterführung nach Klein-Venedig und die Begegnungszone am Bahnhof auch ohne Bau eines Konzerthauses gebaut würden, noch zutrifft, oder ob dies taktische Aussagen waren, um die Kosten für das KKH niedriger erscheinen zu lassen. Konkret: Werden beide Projekte umgesetzt und wenn ja, in welchem Zeithorizont?

2.) Weiter erwarten wir eine klare Offenlage und Beschreibung der Finanzsituation der Stadt Konstanz durch Stadtverwaltung und Gemeinderat mit folgenden Punkten:
a.)Welche zusätzlichen Schulden bis 2013/14 werden von der Stadt in Kauf genommen.
b.) Ab welchem Schuldenstand will die Stadt Steuererhöhungen (und bis zu welcher Höhe, getrennt nach Grund- oder Gewerbesteuer) vornehmen?
c.) Welche beschlossenen Projekte will die Stadt gegebenenfalls fallen lassen oder verschieben, um die in Punkt b.) genannten Festlegungen zu erreichen?
d.) Hat auf diesem Hintergrund die Stadt angesichts der sich abzeichnenden Einnahmesituation dann noch ausreichend Finanzmittel, um ca. 30 Mio. € für den Bau einer Konzerthalle und realistische Betriebskosten zu finanzieren?

3.) Parallel zur Klärung der Finanzfrage schlagen wir ein Moratorium vor: Es sieht vor, dass die Stadt erstens von einer weiteren Bebauung oder Vergabe der für eine Konzerthalle geeigneten rechtsrheinischen Grundstücke absieht, und dass die Stadt zweitens sich die Option auf vergebene, aber noch nicht bebaute Grundstücke sichert. Aus Gründen des hohen MIV-Anteils einer Konzerthausnutzung, den klaren städtischen Planungen zur Reduzierung des MIV-Anteils in der Innenstadt und aus Gründen der städtebaulichen Gesamtentwicklung liegt unsere Präferenz für ein Konzerthaus klar auf einem rechtsrheinischen Standort – an vorderster Stelle die Grundstücke Euroland, Doser (ehem. Great Lakes) und Altes Hallenbad.

4.) Im Rahmen der anstehenden Konzilsanierung ist ein präzises Nutzungskonzept zu erarbeiten. Wir schlagen, vor das Konzil in seiner Attraktivität als Tagungs- und Kongresseinrichtung zu optimieren. Angesichts der Ergänzung des Projektbeschlusses (TUA 2010-033) scheint uns dies sehr dringlich. Dabei weisen wir darauf hin, dass das Konzil nicht isoliert gesehen werden sollte, sondern im Kontext mit den zahlreichen anderen historischen Räumlichkeiten unserer Stadt – was von Tourist-Information und Stadtmarketing bisher völlig vernachlässigt wurde. Darüber hinaus sehen wir in Konstanz mit den bestehenden Einrichtungen (insbesondere auch der Universität) keinen weiteren Bedarf an einem Kongresshaus.

5.) Im Falle einer tragfähigen Klärung der Finanzfrage wird ein klares Nutzungsprofil für die künftige Veranstaltungs- und Konzerthalle in Kooperation mit interessierten Nutzergruppen und Veranstaltern und unter Einbeziehung der Öffentlichkeit (z.B. Bürgergutachten) entwickelt. Basierend auf dem Nutzungsprofil wird ein Betreiberkonzept entwickelt, und die Standortalternativen werden auf ihre Eignung hin überprüft. Die Ergebnisse der Studie des früheren Bürgermeisters Volker Fouquet sind heranzuziehen. Für die Entwicklung einer adäquaten architektonischen Lösung sollte auch das vorhandene regionale Potential eingebunden und mobilisiert werden.

6.) Die Sicherung bzw. Sanierung der Altlasten auf Klein-Venedig soll sich nicht länger am Mindeststandard der gesetzlichen Vorschriften orientieren. Wir fordern die Aufnahme von Gesprächen mit der Schweiz, um – trotz unterschiedlicher gesetzlicher Vorgaben der Altlastensanierung – ein gemeinsames Sanierungskonzept zu entwickeln und umzusetzen, das den Ansprüchen angesichts der Lage am Trinkwasserspeicher Bodensee gerecht wird und eine gesundheitsunbedenkliche Nutzung als Erholungsraum, Freizeit-, Fest- und Spielfläche zulässt. Die für eine empfindliche Nutzungsart heranzuziehenden Vergleichswerte sollen nach Abschluss der Sanierung unterschritten werden.

7.) Nach Festlegung und Umsetzung gemeinsamer deutsch-schweizerischer Sanierungsstandards soll auf Klein-Venedig ein attraktiverer Fest-, Freizeitund Naherholungsraum in einem dialogischen Verfahren sowohl zwischen Deutscher und Schweizer Seite, wie zwischen Verwaltung/Gemeinderat und Bürgerschaft entwickelt werden.

Die Initiative „Nein zu Klein-Venedig“ ist gerne bereit, den im Rahmen des Bürgerentscheids zutage getretenen Beteiligungswillen vieler Einwohner zu unterstützen, um ihn produktiv für die Planungen einzubringen.

Wir regen ebenfalls die Einrichtung einer Bürgerstiftung an, in der die Unterstützer des Vorhabens Konzerthaus sich auch finanziell einbringen können. Dieses Konzept bietet sich auch für die Entwicklung der Naherholungsfläche auf Klein- Venedig an, nach erfolgter Umsetzung des abzuklärenden Sanierungsbedarfs. Wir freuen uns auf einen Eintritt in den Dialog mit einer tatkräftigen und schaffensfrohen Stadtverwaltung, die kluge Schlussfolgerungen aus dem Ergebnis des Bürgerentscheids zieht.

Vielleicht sind Sie, Herr Boldt, als zuständiger Bürgermeister für Kultur auch in der Lage, auf die Verantwortlichen der Philharmonie einzuwirken, dass diese davon Abstand nehmen, Künstler oder Medien (Paul Amrod / Zeitschrift „Qlt“) allein aus dem Grund abzuweisen, dass sie in Fragen der Bebauung von Klein-Venedig die Position mit 2/3 der Bevölkerung teilen und dies auch deutlich vor dem Bürgerentscheid artikulierten. Diese Reaktion ist für ein professionelles Orchester-Management nicht angemessen.

Mit besten Grüßen

Günther Schäfer

verfasst gemeinsam mit Angela Büsing, Karin Göttlich, Gabi Weber, Maria Wischermann, Gaby Wunderlich, Dr. Patrick Brauns, Rainer Hamp, Rudi Haenel, Andreas Rogg, Dr. Manfred Sernatinger, Bernd Sonneck. Nach öffentlicher Diskussion unserer Positionen am 21.4.2010

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