Obdachlose auf Besuch im Konstanzer Gemeinderat

Die Konstanzer Wohnungsnot hat nun sehr eindrucksvoll auch den Konstanzer Gemeinderat erreicht, auf dessen Sitzung am Donnerstag Konstanzer Obdachlose und die AGJ Wohnungslosenhilfe forderten: „Wohnen ist ein Menschenrecht!“ Das passte zur Tagesordnung, denn auch der Geschäftsbericht 2012 der Wobak stand auf dem Programm. Worauf das Publikum allerdings gehofft hatte, das blieb aus, denn die Debatte über das Finanzchaos der Südwestdeutschen Philharmonie wurde weitgehend vertagt

Wer im betulichen Konstanz glaubt oder zu glauben vorgibt, die Stürme des Lebens zögen an der Bodenseeidylle vorbei, konnte sich mal wieder eines Besseren belehren lassen, denn die Opfer der sozialen Entwicklungen meldeten sich endlich unüberhörbar zu Wort und boten ein Highlight der traditionell um 18 Uhr stattfindenden Bürgerfragestunde. Bei allem Palaver über hohe Mieten wird oft übersehen, dass es eine wachsende Zahl an Menschen gibt, die sich gar keine Wohnung mehr leisten können. Und so beklagten denn Jörg Fröhlich von der AGJ Wohnungslosenhilfe sowie einige betroffene Obdachlose, dass ihre Lage angesichts langer Wartelisten der Wobak und einer schon für Normalverdiener brennenden Wohnungsnot prekär bis aussichtslos sei. In Konstanz seien derzeit 56 Wohnungslose – 11 Frauen, 2 Kinder, 43 Männer – bekannt, und man müsse darüber hinaus von einer gewissen Dunkelziffer ausgehen. Außerdem gebe es zunehmend Übergriffe auf Obdachlose, die endlich geschützte Räume bräuchten. Sie forderten den Oberbürgermeister sowie die Gemeinderätinnen und -räte dazu auf, darzulegen, was diese gegen solche Zustände tun werden. Eine ähnliche Problematik trug ein Betroffener mit zunehmender Behinderung vor, der dringend eine Wohnung benötigt und sich sowohl von den Behörden, die keine Ahnung von den Bedürfnissen Behinderter hätten, als auch von der Wobak bei der Wohnungssuche im Stich gelassen sieht. Oberbürgermeister Uli Burchardt verwies darauf, dass die Wohnungsfrage in Konstanz oberste Priorität besitze und will sich um die Probleme auch der Obdachlosen kümmern.

Selbst im bürgerlichen Lager steht FDP-Bundespolitikerin Birgit Homburger, die am Montag bei einer Podiumsdiskussion ganz richtig behauptete „eine Mietpreisbremse hat noch keine einzige Wohnung geschaffen“ angesichts der Probleme selbst einer bürgerlichen Wählerschaft, Wohnraum zu finden, mit ihrer Hoffnung, dass der Markt es schon richten werde, auf zunehmend verlorenem Posten. Denn selbst in diesen Kreisen geht mittlerweile das Gerücht, dass eine hohe Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum nicht zu einem höheren Angebot an bezahlbarem Wohnraum führt, sondern dazu, dass der ehemals bezahlbare Wohnraum langsam unerschwinglich wird, weil die ehernen Gesetze der Marktwirtschaft die Habgier Einzelner befördern und so etwas wie ein Menschenrecht auf Wohnen nicht kennen. So ist es denn Aufgabe der diversen öffentlichen Hände, endlich bei diesem lange erkannten Problem umzusteuern und für Wohnraum für ihre Bürgerinnen und Bürger zu sorgen – und zwar für alle.

Die Wobak baut und baut und baut

Bruno Ruess, Geschäftsführer der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Wobak, wird angesichts der verheerenden Situation auf dem Wohnungsmarkt zum Hoffnungsträger vieler Kommunalpolitikerinnen und -politiker. Er präsentierte den Geschäftsbericht 2012 und stellte einige beeindruckende Zahlen in den Raum. Das von ihm geleitete Unternehmen hat im letzten Jahr einen Gewinn von 873.529 Euro erwirtschaftet, verfügt über 3 718 eigene Wohnungen – 4 000 werden derzeit angestrebt – und hat 15,4 Millionen Euro in Neubauten investiert, wobei die Anlagen am Petershausener Bahnhof wohl die augenfälligsten sind. Aber trotz dieser Anstrengungen sieht er erheblichen Bedarf einerseits an Wohnraum für die unteren Einkommensschichten und andererseits an Wohnungen für Alleinstehende. Er stellte außerdem die aktuellen Projekte der Wobak vor und zeigte auch Bilder energetischer Sanierungen. Nach Ruess ist die energetische Sanierung ein Zuschussgeschäft: Ein Mieter, der durch eine solche zusätzliche Wärmedämmung 240 Euro Heizkosten pro Jahr spart, zahlt dafür 600 Euro mehr Miete, und die Sanierung ist so teuer, dass die Wobak eigentlich dafür die Miete um 900 Euro erhöhen müsste. Er zitierte ausführlich einen Artikel, der sich mit dem Konflikt zwischen der Bezahlbarkeit des Wohnraumes und seiner Energieeffizienz auseinandersetzt. Letztlich aber sieht sich die Wobak als kommunales Unternehmen in der Pflicht zur Energieeffizienz, auch wenn das negative Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit hat.

Vera Hemm (Linke Liste) zitierte aus dem Wobak-Bericht: „Der Kern des Unternehmenszwecks bleibt unverändert die Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum.“ Sie beklagte, dass sich das nicht ausreichend „im Sozialen Wohnungsbau niederschlägt. Auch die Stadt ist hier gefordert: Wir denken, dass es möglich sein müsste, bei weiteren Investitionsplanungen einen bestimmten Prozentsatz fix für den Bau erschwinglicher Mietwohnungen zweckgebunden einzuplanen.“ Stadtkämmerer Hartmut Rohloff zeigte sich hingegen enttäuscht, dass die Leistungen der Stadt in der Öffentlichkeit zu wenig gewürdigt würden, immerhin überlasse sie Grundstücke bevorzugt der Wobak und belasse ihr auch ihren Gewinn, statt ihn fürs Stadtsäckel abzuschöpfen.

Musik versus Geld

Es ist kein Geheimnis, dass es bei der Südwestdeutschen Philharmonie gerade rund geht: Es sind überraschende Verluste von ca. 700.000 Euro aufgelaufen, und ein Bericht der vom Gemeinderat beauftragten Gemeindeprüfungsanstalt GPA liegt den Mitliedern des Gemeinderates seit einiger Zeit vor. Die Öffentlichkeit wird diesen Bericht allerdings in absehbarer Zeit nicht zu Gesicht bekommen, und den Andeutungen während der Debatte ist zu entnehmen, dass auch die Stadtparlamentarierinnen und -parlamentarier nur eine Version zu sehen bekommen haben, in der die Namen der Verantwortlichen geschwärzt sind. Dementsprechend hatte sich der Gemeinderat bereits in einer nichtöffentlichen Sitzung mit diesem Thema befasst, und was im öffentlichen Teil der Sitzung für die Bürgerinnen und Bürger bekannt gegeben wurde, ist nicht wirklich aufschlussreich.

Oberbürgermeister Uli Burchardt betonte den Willen zu größtmöglicher Transparenz und Öffentlichkeit, und er hat von diesem Skandal auch wenig zu befürchten, denn die Ereignisse liegen allesamt vor seiner Amtszeit. Den Zorn des Volkes, das die Zeche zu bezahlen hat, könnte er sich allerdings doch noch zuziehen, wenn der Eindruck entstehen sollte, er betreibe die Aufklärung nur halbherzig. Nach seinen Angaben darf der Bericht der GPA nicht veröffentlicht werden, weil er die Namen von Mitarbeitern des Orchesters und der Verwaltung nennt, die nichts mit der Sache zu tun haben, und deren Persönlichkeitsrechte durch eine solche Veröffentlichung verletzt würden. Der Datenschutz gestatte also nur eine spätere Veröffentlichung einiger Teile des Prüfberichtes. Offensichtlich hatte man sich in der nichtöffentlichen Sitzung darauf geeinigt, die Affäre erst in der Gemeinderatssitzung am 18.7. zu debattieren und dann auch die Teilveröffentlichung des Berichts vorzunehmen, weil man noch auf die Stellungnahme der Verwaltung zu den Vorwürfen der Prüfer warten will.

Eines darf man der kurzen Aussprache und den Andeutungen des Oberbürgermeisters aber entnehmen: Der Prüfungsbericht ist eine schallende Ohrfeige für alle Verantwortlichen, die schlichtweg nicht getan haben, wofür man sie oft hervorragend bezahlt hat. Die Südwestdeutsche Philharmonie, ein städtischer Betrieb, wurde geführt wie die Klassenkasse der Klasse 3b irgendeiner Dorfschule: Nämlich gar nicht. Es gab kein Controlling und kein Berichtswesen, und niemand kam auf die Idee, so etwas – Standard der Buchhaltung auch des kleinsten Wirtschaftsunternehmens – auch nur zu fordern. Die Verantwortlichen ließen den offenbar in wirtschaftlichen Belangen sehr sorglosen Ex-Intendanten Florian Riem gewähren. Nachdem die Philharmonie in den letzten Jahrzehnten immer wieder mal für Aufregung sorgte, hat man also nichts dazugelernt, alles beim Alten belassen und munter weg geschaut. Dass Florian Riem die geforderten Quartalsberichte nicht vorlegte, störte niemanden, auch nicht den zuständigen Bürgermeister Claus Boldt – es fand schlichtweg keinerlei Kontrolle statt. Jürgen Leipold (SPD), ein alter Kämpe des Gemeinderates, zeigte sich erschüttert, dass man immer wieder dieselbe Diskussion führen müsse, und forderte, endlich nicht nur Regeln aufzustellen, sondern auch deren Einhaltung zu überwachen. Jürgen Faden (Freie Wähler) zeigte sich zornig über die hanebüchene Geschäftsführung und forderte einen Obmann, an den sich städtische Angestellte wenden können, wenn sie merken, dass ihn ihrem Betrieb etwas schief läuft.

Holger Reile (Linke Liste) nannte das Prüfungsergebnis „vernichtend“. Danach hätten alle Verantwortlichen versagt, und es tue sich ein Sumpf aus Mauschelei, Inkompetenz und Vetternwirtschaft auf. Er forderte, die vier oder fünf Verantwortlichen namentlich zu benennen und nach Möglichkeit auch rechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Nachdem er im Vorfeld mit dem Oberbürgermeister aneinandergeraten war, weil er die Veröffentlichung des GPA-Prüfberichtes androhte, kündigte er jetzt an, er werde sich auf den Obermarkt stellen und notfalls stundenlang aus dem fünfzigseitigen Bericht zitieren, wenn er den Eindruck bekomme, in der Juli-Sitzung werde nicht ausreichend für Transparenz und Öffentlichkeit gesorgt.

Man darf also gespannt sein: Die Debatte am 18.7. verspricht einiges, denn aus den bisherigen Andeutungen durfte man entnehmen, dass Ex-Intendant Florian Riem ebenso versagt hat wie Ex-Bürgermeister Claus Boldt und die Mitglieder des gemeinderätlichen Orchesterausschusses. Da man im Gemeinderat, der den Prüfbericht kennt, ziemlichen Zorn spürte, steht zu erwarten, dass es zu heftigen Schuldzuweisungen kommen wird, und man darf als Betrachter gespannt sein, ob es neben dem völligem Versagen und der absoluten Untätigkeit hochbezahlter Verwaltungsmenschen auch Vetternwirtschaft gegeben hat und wer noch eine Rolle in diesem Skandal spielt. Hoffen wir also darauf, dass es am 18.7. im Gemeinderat zu einer Nacht der langen Messer kommt, denn nur dann hat die Öffentlichkeit eine Chance zu erfahren, wer schon wieder mal ihr sauer verdientes Geld durch den Schlot gejagt hat.

Die härteste und gänzlich unerträgliche Herausforderung dieses Sitzungstages aber hatten die Zuhörerinnen und Zuhörer der Gemeinderatssitzung bereits vor deren Beginn zu bewältigen. Der untere Vorraum des Ratssaales wird auch als Galerie benutzt, und was dort derzeit als Kunst an den Wänden hängt, zwingt größtenteils zu konzentriertem Wegschauen, denn dieses Gepinsel verursacht bei auch nur flüchtiger Betrachtung unweigerlich Hirnerweichung und Augenkrebs, wie ein als kunstsinnig bekannter Volksvertreter treffend anmerkte.

Autor: O. Pugliese