Das Jüdische Museum Gailingen wird ausgebaut
Das Jüdische Museum in Gailingen eröffnete am 1. September seinen neuen Medienraum. Damit baut es seine Ausstellung weiter aus. Begleitet wurde dies von einer Gedenkveranstaltung für die Holocaust-Opfer aus Gailingen, zu der Hinterbliebene und Angehörige eingeladen waren. seemoz sprach mit Robert Schmidt (28), Master-Student der Geschichte an der Uni Konstanz und Historiker des Museums
Gailingen war für die Verhältnisse im Süden Deutschlands um die Jahrhundertwende des 19./20. Jahrhunderts ein Unikum. Über die Hälfte der Gemeinde war damals jüdischen Glaubens. Und so ist es kaum verwunderlich, dass von 1870-1884 Leopold Hirsch Guggenheim als Bürgermeister von Gailingen gleichzeitig der erste jüdische Bürgermeister einer größeren Gemeinde in Deutschland war.
Es gibt bis heute Verbindungen zu Familien wie den Rothschilds aus der Frankfurter Finanzdynastie oder den Guggenheims, welche das Museum auch immer aufrecht erhalten habe. Und so werden heute Beziehungen in die ganze Welt gepflegt, vor allem nach England und in die USA.
Von den Nazis ausgerottet
Eine weitere Besonderheit war das Gailinger Jiddisch, welches laut Schmidt „eine eigene Sprache darstellte“, die von der Judenverfolgung durch die Nazis bis auf eine handvoll Sprecher ausgerottet wurde. Im Vereinsmuseum konnte jedoch immerhin Tonmaterial des Gailinger Jiddisch konserviert werden.
Zur Reichspogromnacht am 9. November 1938 fiel auch die Gailinger Synagoge dem Terror der Faschisten zum Opfer. „Gerettet hat man allerdings die Tora von Gailingen“, weiß Schmidt: „Mit ihr wird heute noch in Israel gebetet.“
Das Museum wächst
Da nahezu alle überlebenden Juden aus Gailingen als Folge der Shoa ausgewandert sind, wird zum einen intensiv Kontakt ins Ausland gehalten, zum anderen bemühen sich Historiker um den Erhalt des kulturellen Erbes. Das Museum befindet sich im Haus des ehemaligen Zentrums der Jüdischen Gemeinde. Schmidt: „Der Fokus lag immer darauf, die Besonderheit der Jüdischen Gemeinde herauszuheben und da sind wir auch gerade noch dabei, dass wir das noch mehr herausstellen.“
Am Sonntag wurde nach einer Gedenkveranstaltung der Medienraum eröffnet, der mit mehreren Touchpads, Beamereinrichtungen und Monitoren ausgestattet ist, womit einige Schulklassen mehr für das Museum angesprochen werden sollen, als bisher ohnehin schon. Es kämen Klassen aus der Schweiz, aus Singen und dem gesamten Hegau.
Lehrern soll im Medienraum die Möglichkeit gegeben werden, das Unterrichtsmaterial „an die Wand zu werfen und zu rekapitulieren“. Auch könne man so mehrere Schulklassen gleichzeitig bedienen, indem eine Schulklasse einer Führung nachgeht und die andere sich im Medienraum betätige. Doch nicht nur für Schulen sollte die neu geschaffene Medienwelt interessant sein, in der neben der Ausstellungszusammenfassung auch Zeitzeugenberichte angeboten werden.
Ziel: Alle acht Räume fertigstellen
So stehen sieben der acht Themenräume. Sie behandeln unter anderem die Synagoge von Gailingen, das religiöse Leben oder das das Rabbinats. Ein Raum beschäftigt sich auch mit der politisch-gesellschaftlichen Assimilation der Gailinger Juden: 1862 gewährte das Großherzogtum Baden als erster Deutscher Staat ihnen uneingeschränkte Gleichberechtigung. Konfessionsübergreifend wurden in der Gemeinde von Christen und Juden gleichermaßen religiöse Feste gefeiert. „Christen hielten sich an den Schabbat, Juden verrichteten am Sonntag keine Arbeit“, erklärt Robert Schmidt.
„Nachdem die anderen Räume zuvor den Alltag beleuchten, stellt der letzte dann einen Bruch dar, der sich zum Abschluss mit dem Holocaust beschäftigt. Es wurden in der Reichspogromnacht noch von einigen mutigen Gailingern Sachen gerettet, etwa Grundsteine der Synagoge. Einiges davon wurde danach allerdings überall einfach verscherbelt, was auch den Zwiespalt zeigt zwischen dem Versuch einiger Gailinger, die Juden zu retten, und doch dem Bestreben der Mehrheit, den Gau Baden gemäß der faschistoiden Ideologie judenfrei zu machen“.
Doch einiges wurde tatsächlich in die Gegenwart gerettet. Es gibt eine Reihe von Original- Exponaten, die zum Beispiel zum Beten verwendet wurden. Genauso wurden persönliche Gegenstände ehemaliger Angehöriger der Gailinger Gemeinde erhalten. Robert Schmidt gerät ein wenig ins Schwärmen: „Es ist durchaus noch gewährleistet bei uns, dass Menschen uns besuchen und sich dann selbst noch auf alten Photos oder ihre früheren Schulhefte wiedererkennen.“
Aufarbeitung der Vergangenheit
Ein Raum fehlt noch: jener, der die Jüdischen Gemeinden Randegg, Wangen und Worblingen im Umfeld Gailingens beleuchtet, um den Blick zu öffnen für die Geschehnisse rund um den Bodensee. Vorerst ist geplant, dieses Projekt bis Anfang 2014 abzuschließen. Ein Gesamtprojekt, dessen Dauerausstellung seit 2008 besteht und dessen Ursprünge weit bis ins Jahr 1988 zurückreichen – auch auf Betreiben des bis heute amtierenden Bürgermeisters Heinz Brennenstuhl. Robert Schmidt: „Mit den Plänen für ein Museum hat sich Gailingen damals für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Vergangenheit und somit für die Zukunft entschieden.“
Autor: ryf