Oans, zwoa, g´suffa – jetzt trifft’s auch die Kinder
Nur noch wenige Tage und seltsame Gestalten, gekleidet in Billigimitationen eines süddeutschen Bergvolks, sammeln sich ab nächstem Wochenende zum alljährlichen Dauersuff auf dem Gelände Klein Venedig. Sie nennen es Oktoberfest und sind felsenfest davon überzeugt, die Veranstaltung habe etwas mit Kultur zu tun. Der Peinlichkeitsfaktor steigt von Jahr zu Jahr und diesmal vergreift man sich sogar an wehrlosen Kindern
Die Veranstalter können sich jetzt schon die Hände reiben, denn bei geschätzten 100 000 Besuchern wird mächtig was hängen bleiben. Das Konzept der durchkommerzialisierten Zwangsbajuwarisierung, kombiniert mit angeblichem Spaßfaktor, hat bisher immer gegriffen und den Organisatoren goldene Nasen beschert. Aber sie sollen noch güldener werden und so ist auf der Website folgerichtig der arbeitnehmerfreundliche Satz zu lesen: „Bei uns können Sie bereits mittags mit tollem Blick bayrisch einkehren“. Wie die jeweiligen Blicke beim Verlassen der Abfüllstationen aussehen, stellt man sich besser nicht vor.
Kein bescheuertes Klischee wird ausgelassen
Blas- und Volksmusik an allen Ecken und Enden, Fingerhakeln und Armdrücken, Jodlerwettbewerbe und Schuhplattler – kein noch so bescheuertes Klischee wird ausgelassen, um dem längst verkommenen Original in München möglichst nah auf die Pelle zu rücken. Hauptsache, der Euro rollt rund um die Uhr. Wer allerdings Gefallen findet an ethnologischen Studien der besonderen Art, der wird hier allemal fündig, denn die geschäftstüchtigen Veranstalter lassen sich stets was Neues einfallen, um die Massen zu begeistern und auch bisher vernachlässigte Randgruppen in das Spektakel zu integrieren. Vor zwei Jahren hat man eine „Damenwiesn“ eingeführt und dieses Jahr wird stolz „das erste Kinder-Oktoberfest“ angekündigt.
Am Sonntag, den 22. September ab 14 Uhr, ist ein Festzelt für Familien mit Kindern reserviert. Dort werden die Kleinen – Lederhosen- und Dirndlträger sind herzlich willkommen – kulinarisch und vor allem musikalisch verwöhnt. Eintritt 9 Euro, Bier gibt es aber keines. Als Hauptattraktion wird der Auftritt der Kinderband „Donikkl und die Weißwürschtl“ (kein Witz) bezeichnet, der den Oktoberfestnachwuchs zur Raserei bringen soll. Wer wissen will, was am Wahlsonntag auf seine Kinder zukommt, dem sei ein Click auf die Donikkl-Seite empfohlen. Dort macht sich ein zwangsjuveniler Enddreißiger mit rot gefärbten Haaren zum Affen und hofft, auf ein jugendliches Publikum zu treffen, das die debilen Kaspereien des Interpreten, verbunden mit albernem Liedgut, widerstandslos über sich ergehen lässt. Eigentlich ein Fall für den Kinderschutzbund. Um die dumpfe Beschallung irgendwie besser verkaufen zu können und somit allen Kritikern schon mal den Wind aus den Segeln zu nehmen, will man den Erlös des Anschlags auf den guten Geschmack dem Kinderhaus Edith Stein zur Verfügung stellen.
Glaubt man den Drahtziehern des spätsommerlichen Frohsinns, dann wird der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt beim Fassbieranstich Hand anlegen. Dem ist wohl noch keine glaubwürdige Ausrede eingefallen, um dem Treiben fern zu bleiben. Möglich aber auch, dass Gabriele Bossi, des Stadtoberhauptes persönliche Beraterin, die Gelegenheit nutzen möchte, ihr neues Dirndl der Öffentlichkeit zu präsentieren und Chef Uli schließlich schweren Herzens und um des lieben Rathausfriedens willen klein beigab. Diesbezüglich wuchern Spekulationen, die sich immer enger um das Rathaus ranken.
Verhinderungsgrund: Allergien und Dienstreisen
Geschickter zog sich da schon der neue Sozialdezernent Andreas Osner aus der Affäre. Er wurde ebenfalls als Promi geladen, legte aber rechtzeitig mehrere ärztliche Gutachten vor, die ihm eine „Bierzelt-, Schweinefleisch- und Blasmusikallergie“ bestätigten. Daraufhin meldete sich ungefragt die grüne Stadträtin Dorothee Jacobs-Krahnen „Ichwill – Ichwill“ beim Festkomitee, wurde aber wegen ihres Eintretens für einen „Veggieday“ auf Konstanzer Gemarkung gar nicht in Betracht gezogen. Anfangs liebäugelte man auch damit, CDU-Rat Müller-Fehrenbach auf die bierselige Honoratiorenliste zu setzen. Aber „MüFe“ befindet sich justamente zur Oktoberfestzeit mit der Philharmonie auf Konzertreise in der benachbarten Schweiz und ist somit nachweislich verhindert.
Höchst erstaunlich wiederum ist, dass der Südkurier offensichtlich diesmal nicht zu den Werbepartnern des Konstanzer Oktoberfests gehört. Das wäre jammerschade, denn die täglichen Videoübertragungen aus einer befremdlichen Welt, moderiert von kostümierten LokaljournalistInnen, waren auch für Oktoberfestverweigerer ein echtes Highlight, das seinesgleichen suchte in der deutschen Presselandschaft. Da bleibt nur die Hoffnung, dass sich der Verlag im letzten Moment eines Besseren besinnt und doch noch mit dazu beiträgt, uns zumindest für zwei Wochen den tristen Medienalltag zu verschönern.
Autor: H.Reile
Och, an Tradition ist nichts Verwerfliches, wenn sie eben Tradition ist. Aber in Konstanz sind Lederhosenjodler eher nicht angesiedelt.
Danke für den bissigen Artikel, Herr Reile 🙂
Wirklich traurig findet man diese Veranstaltung erst, wenn man selbst aus Bayern kommt…
Ein Angriff auf den guten Geschmack und eine Beleidigung jener Menschen, die insbesondere im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet in ähnlicher Weise leben – nicht, dass ich Tradition hochhalten wollte, um jedwedem Missverständnis vorzubeugen.
Super Artikel,vielen Dank – sehr gelacht auch wenn es eigentlich nicht zum Lachen ist wie verblödet das Volk geworden ist. Brot und Spiele eben.
Ich war zum Glück noch nie dort, und werde mich auch dieses Jahr nicht freiwillig dieser Art von Geistigerverblödung ausetzen.