AfD – die deutsche Tea Party
Aus dem Stand kommt die neu gegründete Anti-Euro-Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) im Wahlkreis Konstanz auf 5,5 Prozent, bundesweit scheitert sie nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Und wer steckt hinter dem Kürzel AfD? Jens Berger versucht Antworten und meint: Wer die AfD auf ihren – zweifelsohne vorhandenen – Rechtspopulismus reduziert, läuft Gefahr, die eigentliche ideologische Gefahr nicht zu erkennen, die von dieser Partei ausgeht
Wer glaubt, die FDP stünde in Sachen Marktradikalität am äußersten Ende des Flügels, täuscht sich gewaltig. Basierend auf den theoretischen Werken von Ludwig von Mises und August von Hayek und den philosophischen Schriften von Ayn Rand hat sich im Umfeld der sogenannten „Österreichischen Schule“ eine Ideologie ausgebreitet, die man wohl am ehesten als marktfundamentalistisch bezeichnen könnte. In den USA feiern die Vertreter dieser Richtung momentan ihren Siegeszug innerhalb der ansonsten erzkonservativen Tea-Party-Bewegung.
Da sich Anhänger dieser Denkschule mit Vorliebe als „Liberale“ ausgeben, ist es nicht so einfach, diese Schule begrifflich zu fassen. Zurückgreifend auf den Theoretiker Lew Rockwell bietet sich hier wohl am ehesten der Begriff „Paläolibertarismus“ an. In seiner letzten Konsequenz stellt der Paläolibertarismus den freien Markt und das private Eigentum über alles andere, lehnt damit auch den Staat und vor allem den Sozialstaat im Kern ab und fordert stattdessen die Unterwerfung aller Lebensbereiche unter die Marktideologie. Soziale Autoritäten wie die Familie und die Kirche sollen dabei das Individuum vor dem Staat schützen, der für Paläolibertäre das Feindbild ist.
Die AfD passt nahtlos in dieses Schema. Sie definiert die Familie als „Keimzelle“ der Gesellschaft. Das ist ziemlich schwammig. Konkreter wird die AfD bei ihren bildungspolitischen Positionen. Bildung soll nach den Vorstellungen der AfD als „Kernaufgabe der Familie“ gefördert werden, Kitas und Schulen sollen dies lediglich „sinnvoll ergänzen“. Christliche Fundamentalisten, die sich der Schulpflicht widersetzten, werden dies gerne hören. Wie die Tea-Party-Bewegung will auch die AfD den Staat am liebsten auf einige wenige Kernkompetenzen reduzieren und sieht zwischen den Zeilen in staatlichen Systemen, wie dem Rentensystem oder der gesetzlichen Krankenversicherung, bereits eine Vorstufe zum Sozialismus.
Nein zum Staat, ja zum Markt
Die EU-Gegnerschaft der AfD reiht sich nahtlos in das weltanschauliche Gedankengebäude der Marktfundamentalisten ein. Wer den Staat auf ein Minimum reduzieren will, lehnt natürlich auch jede Form einer starken Zentralregierung ab. Die Tea Party hetzt mit Vorliebe gegen die Zentralregierung in Washington. Das Washington der AfD ist Brüssel. Obama wird von der Tea Party gerne als kommunistischer Diktator im Stil von Stalin dargestellt. Für die AfD stellt ein gemeinsames Europa eine „EUdSSR“ dar.
Wenn man die Rückkehr zur D-Mark einmal beiseite lässt, stößt man bei den Programmentwürfen der AfD sehr schnell auf zahlreiche Forderungen aus der paläolibertären Ecke. Dies trifft beispielsweise auf die Forderung nach einer drastischen Senkung des Spitzensteuersatzes auf 25% und der Liberalisierung des Arbeitsmarktes zu. Da das offizielle Programm der AfD bis dato kaum mehr als ein dünner Thesenzettel ist, dürfen wir uns diesbezüglich noch auf einige Überraschungen gefasst machen. Der AfD-Vordenker Peter Oberender plädiert beispielsweise dafür, dass Hartz-IV-Empfänger zur Verbesserung ihrer Finanzen ihre Organe verkaufen dürften sollten, während der AfD-Vordenker Roland Vaubel den „untersten Klassen“ das passive Wahlrecht entziehen will. Und dies ist nur die Spitze des Eisbergs einer langen Liste von Unglaublichkeiten aus dem Umfeld der AfD.
In Deutschland führte diese Form des Extremismus zumindest in der Öffentlichkeit lange ein Schattendasein. In akademischen Kreisen ist der Paläolibertarismus jedoch vor allem bei Ökonomen durchaus verbreitet. Über Think Tanks wie dem August-von-Hayek-Institut und der Mont Pelerin Society versuchen die Vertreter dieser Ideologie seit längeren, ihren Einfluss auf die Politik, die Medien und die Gesellschaft geltend zu machen. Die Liste der Gründungsmitglieder und Unterstützer der AfD umfasst das who is who dieser Think Tanks.
Schönhuber-Fans und Protestwähler
Es ist erstaunlich, dass eine Partei mit einer derartigen Ideologie auch jenseits der traditionell marktradikalen Kreise ihr Potential entfalten kann. Eine Auswertung der Forsa-Daten hat ergeben, dass die AfD-Anhängerschaft zu 70% aus Männern besteht, von denen die meisten über 60 Jahre alt sind, vom rechten Flügel der FDP kommen und in der Vergangenheit schon einmal rechte Parteien gewählt haben. Forsa-Chef Güllner vergleicht dieses Milieu mit den Anhängern der „Schönhuber-Republikaner“. Das ist zwar stimmig, erklärt aber nicht den durchaus vorhandenen Erfolg der AfD im rechten Internet. Vor allem Blogs vom rechtsextremen und rechtspopulistischen Rand haben sich zu einer festen Bastion der AfD entwickelt. Offiziell distanziert sich die AfD von Rechtsextremisten, spielt jedoch gleichzeitig mit dem Feuer, indem sie sich durch rechtspopulistische Aussagen (so bezeichnet AfD-Chef Lucke Migranten gerne als „Bodensatz“) genau bei dieser Klientel anbiedert.
Erstaunlicher ist, dass die AfD auch bei Wählern der Linken durchaus punkten kann. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die ZEIT ergab, dass neben der Wählerschaft der FDP, sich offenbar ausgerechnet die Wählerschaft der Linken am ehesten vorstellen kann, ihr Kreuz bei der AfD zum machen. Es ist zu vermuten, dass einem Großteil dieser Wähler die Ideologie hinter der AfD fremd ist.
Wer sich erhofft hat, dass „linke Politik“ durch das offensichtliche Versagen neoliberaler Politik gestärkt wird, das sich nun schon seit Jahren mitten vor unseren Augen abspielt, könnte sich getäuscht haben. Der „Shootingstar“ der politischen Landschaft ist stattdessen eine marktradikale Partei, die den Ausweg aus der Krise über eine Schwächung des Sozialstaates und eine Stärkung der Marktkräfte erreichen will. Eine neue „Ultra-FDP“ ist jedoch das Letzte, was unsere Gesellschaft in der jetzigen Situation braucht.
Hätte die AfD am Sonntag die 5%-Hürde geknackt, wäre sie seit 1961 die erste Partei rechts der Union, die in den Bundestag einzieht. So etwas wurde lange für unmöglich gehalten. Das Erfolgsrezept der AfD ist es wohl, dass sie sich als Wolf im Schafspelz präsentiert, als „Professorenpartei“, die Merkels Eurokrisenpolitik kritisiert. Aber wer sagt eigentlich, dass „Professoren“ keine Rechtspopulisten sein können?
Autor: Jens Berger/nds
@BüBi: Die Freiheit nach dem Verständnis dieser „Liberalen“ ist immer und stets die Freiheit der Besserverdienenden, bzw. jener, die in allererster Linie um ihre gutbürgerliche oder kapitalistische Besitzstandswahrung besorgt sind. Insofern ist der (übrigens sicher berechtigte, aber verspätete und rückwärtsgewandte) Euro-Skeptizismus ein formidables Vehikel für eine Apartheitspolitik, die auf sozialer Ausgrenzung beruht. Und diese beginnt natürlich mit der Diskriminierung von Randgruppen – seien sie an den Rändern unserer Gesellschaft oder den Rändern des europäischen Währungssystems angesiedelt.
Klar, dass die Herde, also die gesellschaftliche Mitte, sich schutzsuchend zusammendrängt, wenn die Wölfe los sind. Sie übersieht dabei leider die gefährlichsten ihrer Herdenmitglieder: diejenigen, die sich im Schafspelz unter sie gemischt haben.
Es ist leider keine Vermutung, „dass einem Großteil dieser Wähler die Ideologie hinter der AfD fremd ist“, sondern traurige Tatsache.
Ich habe im Vorfeld der Wahl versucht, mich mit einigen selbsternannten Anhängern dieser sog. „Alternative“, sachlich zu unterhalten. Sofern ich überhaupt zu Wort kam und nicht gleich aggressiv angemacht wurde, mußte ich leider wirklich heraushören, daß die Leute nicht nur a) keinerlei Vorschläge zu einer anderen, neuen Politik im Lande hatten (oder überhaupt wenigstens bezgl. der aktuellen firm gewesen wären), sondern auch b) absolut keine Ahnung davon haben, für welche Forderungen und Ziele Lucke und Konsorten überhaupt stehen!
Aber: q.e.d., Gefahr erkannt – Gefahr gebannt! (Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, daß man in vier Jahren noch etwas von dieser vermeintl. „AfD“ hört!)
P.S.@Timo: nichts gegen Dich persönlich, aber mit den Typen, die Du in Konstanz als Deine Unterstützer um Dich geschart hast, hast Du Deinen Anliegen (bzw. der „AfD“, da Du m.M.n. selbst ja eigentlich gar nicht wirklich „so drauf“ bist! 😉 ) wohl wirklich einen Bärendienst erwiesen! (vgl. Dein Ergebnis in KN vs. Bundesebene!)
Jens Berger sieht den Wahlerfolg der AfD zu sehr unter seinem persönlichen, intellektuellen Gesichtspunkt. Da die Wähler der AfD aus allen politischen Bereichen der Bevölkerung kommen, ist sie eher in der Mitte der Parteienlandschaft anzuordnen. Zum Beispiel haben ehemalige FDP-Wähler die AfD gewählt, um aus ihrem freiheitlichen Grundverständnis heraus, dem südlichen Europa, mit ihren spezifischen Mentalitäten für Politik- und Wirtschaftsgestaltung, nicht zu bevormunden und entgegen aller Kommentare zur Zuordnung in der Parteienlandschaft diesen Völkern eben „nicht“ unser Nationalbewusstsein aufzudrängen. Diese Perspektive wird leider bisher bei allen Diskussionen um das gute Abschneiden der AfD ignoriert.
Der Radikalkapitalismus kennt keine Tabus und macht keine Konzessionen. Ohne die aktive wie passive Unterstützung des Großkapitals (Krupp und Konsorten) hätte sich ’33 auch der GröFaz nicht an die Macht putschen können. Jedoch genau das erschien seinerzeit einer erschreckend großen Zahl der Deutschen als verlockende „Alternative“. Wehret den Anfängen!