Gestatten: Hans Robert Jauß, SS-Hauptsturmführer

20131020-230435.jpgHans Robert Jauß (1921-1997) war ein weltweit angesehener Romanist und Literaturtheoretiker. Mit Wolfgang Iser und Hans Blumenberg initiierte Jauß die einflussreiche Forschungsgruppe Poetik und Hermeneutik. Ab 1966 lehrte er an der neu gegründeten Universität Konstanz. Erst in den 1990er Jahren wurde intensiver über Jauß´ SS-Vergangenheit diskutiert. Gerd Zahner, im Hauptberuf Rechtsanwalt in Konstanz, hat sich den brisanten Stoff vorgenommen und ein Bühnenstück dazu geschrieben. seemoz hat ihn befragt und wollte wissen, was an den Vorwürfen gegen Jauß dran ist und wie Zahner diese thematisiert

Herr Zahner, Ihr neues Bühnenstück handelt von Hans Robert Jauß, der an der Konstanzer Universität lehrte und eine lange verschwiegene NS-Vergangenheit hatte. Wen interessiert das heute noch?

Das habe ich mich anfangs auch gefragt, aber dann bin ich auf meiner Recherche an der Universität Prag drauf gekommen, dass Herr Jauß an einer Junkerschule in Kienschlag unterrichtet hat und Chef einer Inspektion war, die damals nichts anderes tat, als in rascher Zeit SS-Offiziere ideologisch und waffentechnisch für den Krieg vorzubereiten. Und da hatte ich mein Thema: Schule als Waffe, die Universität als Waffe, mit dem Bogenschlag zur Gegenwart, dass heute solche Institutionen die modernen Kriege mit Soldaten versorgen – das Prinzip liegt eben in dieser Zeit begründet und Jauß war Schüler an einer dieser Junker- oder Unterführerschulen, und dann auch Dozent an einer solchen Schule. Somit haben wir eben den Bogenschlag zu einer Universität. Er hat dieses wichtige Thema nie angesprochen, er hat es verschwiegen und daraus erwächst meines Erachtens die Aufgabe für die Universität Konstanz, diese Problematik Junkerschule aufzuarbeiten, diese Problematik Schule als Waffe aufzuarbeiten.

Was für eine Position hatte Jauß damals genau?

Jauß ist in allem ein Musterbeispiel für einen Nazikarrieristen und das sage ich mit einer großen Gelassenheit, wissend, das es Ärger bereitet. Immerhin ist er 1946/47 in Recklinghausen nach den Kontrollratsgesetzen als Kriegsverbrecher zu einer Geldstrafe verurteilt worden, was man auch noch nicht weiß. Die Verurteilung basiert auf seinen eigenen Angaben. Jauß kommt aus einem bürgerlichen Haus. Sein Vater war Lehrer und selbst im Verdacht, Nazi zu sein. Grüßte immer mit Hitlergruß, ließ die Kinder Nazilieder singen. Der typische Spießbürger im Nazigewand. Sein Sohn Hans Robert tritt früh ein in die NS-Jugendorganisation, bringt es dort zum Oberführer der Jugend und wird dann freiwillig SS-Soldat. Er absolviert eine SS-Ausbildung in München, wo in den Unterlagen als Ausbildungsort ein „D“ zu finden ist. Eventuell Dachau?- ich weiß es nicht.

Es war damals nicht unüblich, dass Waffen-SS-Soldaten „zur Verbitterung“, wie es hieß, in Konzentrationslagern einen Teil ihrer Ausbildung ableisteten, um später im Sinne des Nationalsozialismus eingesetzt zu werden als Waffe. Er macht dann einen rasanten Aufstieg, bringt es schlußendlich, im Alter von 24 Jahren, zum SS-Hauptsturmführer, also Hauptmann, führte eine Brigade und ist 1a-Offizier von General Krukenberg, der die Charlemagne, diese legendäre Freiwilligenarmee der Franzosen führte, die ganz zu Kriegsschluss versuchte, Berlin zu verteidigen. In seinen Angaben vor den Untersuchungsbehörden nach Kriegsende erklärt Jauß später, dass er in Kienschlag, einer Junkerschule in der Nähe von Prag, Chef der 10. Inspektion war. Dort wurden französische und wallonische Freiwillige auch ideologisch als SS-Offiziere aufgerüstet, um sie im Krieg einsetzen zu können. Inspektionschef konnte in Kienschlag nur werden, wer in der SS-Ideologie absolut zuverlässig war und diese auch vermitteln konnte.

Was hatte es mit der Charlemagne-Armee genau auf sich?

In der Wehrmacht gab es damals rund 7000 französische Freiwillige. 1944 beschlossen die Nazis, diese Soldaten in die Waffen-SS zu integrieren und dafür wurden die Freiwilligen teilweise in Junkerschulen ausgebildet. Man hat die bereits erwähnte Inspektion gegründet unter der Führung von General Krukenberg und Jauß war sein 1A-Verbindungsoffizier, also quasi seine rechte Hand. Diese 7000 wurden teilweise zu SS-Offizieren ausgebildet und alle französischen „Freiwilligen“ wurden einer Prüfung unterzogen, ob sie denn rassisch und ideologisch geeignet waren, um den Anforderungen der Waffen-SS zu genügen.

Als ich dann im Militärarchiv in Freiburg recherchierte, sind mir wirklich die Haare zu Berge gestanden, denn ich bin auf die Liste der „Unerwünschten“ gestoßen: Über hundert der französischen Freiwilligen, die gegen den Bolschewismus kämpfen sollten, wurden als „nicht tragbar“ für die SS festgestellt. Darunter Homosexuelle, Juden, Defätisten, Antinationalsozialisten oder Trinker. Die Unerwünschten erhielten dann hinter ihrem Namen entweder das Wort KL, also Konzentrationslager, oder AL, also Arbeitslager. Und so wurden diese rund 100 im Jahre 1944 als Gefangene in das Konzentrationslager Stutthof überstellt, eines der schlimmsten Lager zur damaligen Zeit. Ich habe ein Dokument über einen Franzosen mit Schweizer Herkunft gefunden, dem wird bescheinigt, dass er arisch in Ordnung ist, die erste Zugehörigkeitsprüfung zur SS auch bestanden hat, unterschrieben mit: Jauß, Obersturmführer.

Als Jauß am 16.12.1996 seinen 75. Geburtstag feierte und in verschiedenen Zeitungen über Jauß` SS-Mitgliedschaft berichtet wurde, schrieb der Südkurier: „(…) In jüngerer Vergangenheit fand erneut die soldatische Karriere des Hans Robert Jauß während des Dritten Reiches ein über Deutschland hinausgehendes Interesse und sorgte für breite Darstellung in deutschen wie französischen Medien. Es fehlte dabei nicht an Versuchen, den ehemaligen Obersturmführer der Waffen-SS, der für persönliche Tapferkeit unter anderem mit dem Deutschen Kreuz in Gold ausgezeichnet worden war, über den Vorwurf einer vermeintlich nationalsozialistischen Vergangenheit hinaus auch in seiner wissenschaftlichen Reputation anzugreifen (…)“

Wie hat Jauß das Kriegsende erlebt?

Das weiß ich nicht genau. Jauß muss aber ein angstfreier Offizier gewesen sein, der über hohe taktische Fähigkeiten verfügte und über einen unglaublichen Mut und eine gewisse Brutalität. Ich habe mir die Unterlagen besorgt, als damals Jauß das „Deutsche Kreuz in Gold“, eine der höchsten Auszeichnungen, erhalten hat, und zwar für einen Militäreinsatz in Estland. Seine Vorgesetzten bescheinigten ihm, wie er immer mit Hurra seinen Soldaten voran in die gegnerischen Linien einbricht, das Feuer auf fliehende Russen eröffnet, die Stellung wieder einnimmt. Jauß ist eine Art Vorzeigeoffizier, der den Tod nicht scheute und ideologisch einwandfrei war. Jauß hat zahlreiche Orden für seine Einsätze bekommen. Als die furchtbaren Massaker in Russland begangen wurden, war Jauß in der Winterschlacht mit dabei. Auch am Frankreich-Feldzug hat er teilgenommen. Er ist ein völlig Anderer, wie später in Konstanz vermutet. Dort hat man seine Kriegszeit runter gefahren auf das Niveau: Einfacher Soldat in der falschen Uniform. Aber das ist wohl nicht zu halten.

Wann und wie begann seine Nachkriegskarriere?

Er war in Kriegsgefangenschaft. Danach hat er seine Studien begonnen, war in verschiedenen Universitäten, hat seine legendäre Antrittsrede über die Rezeptionsästhetik 1967 in Konstanz gehalten. Er ist wohl ein Mann, der in jedem System Karriere macht. Ein brillanter Schreiber, ein großartiger Analytiker. Die Fähigkeiten, die er sich unter anderem als Schüler und Lehrer in den Junkerschulen erworben hat, das hat ihm geholfen gerade an dieser weißen und vergangenheitslosen Universität Konstanz. Da man in den sechziger Jahren keine kritischen Fragen gestellt hat, konnte Jauß sein System aufbauen und anschließend eine Weltkarriere starten. Jauß war einer der entscheidenden Professoren, die man nach Konstanz geholt hat, um der Universität einen Elitecharakter zu verleihen. Dadurch wurde er für Konstanz ein extrem wichtiger Professor. Später, als dann teilweise herauskam, wer er war, hat man sich nicht sonderlich um seine Hintergründe bemüht.

Noch ein kleiner, regionaler Schlenker zu Jauß: Sein Zugführerpatent hat er sich in Radolfzell geholt. Dort war eine SS-Totenkopfeinheit stationiert, dort wurde er teilweise ausgebildet, dort existierte auch eine Außenstelle des Konzentrationslagers Dachau, wo etwa 120 Häftlinge untergebracht waren. Die Radolfzeller SS hat Juden aus der Gegend nach Auschwitz oder Gurs gebracht, wo sie getötet wurden. Die Radolfzeller SS hat ja unter anderem auch die Konstanzer Synagoge gesprengt. Seine Zeit in Radolfzell hat Jauß aber nicht weiter zur Diskussion gestellt.

Hätte es nicht einfach gereicht, einen aufklärenden Artikel über Jauß zu schreiben? Warum jetzt ein Bühnenstück über ihn?

Das hängt mit meinem ganz persönlichen Kunstbegriff zusammen. Ich recherchiere gerne und schreibe gerne über Orte, um sie zu verändern, und es geht mir auch immer um Indifferenzen. Jauß hat hier seine Antrittsrede gehalten und im Audimax der Universität will ich mein Stück als Gegenantrittsrede aufführen. Ich will auch versuchen, die Universität zu motivieren, dies als wissenschaftlichen Stoff aufzugreifen, weil ich glaube, wir könnten Aufarbeitung als Warnung für die Gegenwart brauchen. Dazu ein entferntes Beispiel: Entlang der afghanischen Grenze sind lauter angebliche Schulen, die nichts anderes produzieren als Taliban-Soldaten für einen Krieg, der so nie aufhören wird. Nichts anderes haben die Nazis auch gemacht in ihren Junkerschulen. Und ich möchte eigentlich auch, dass endlich die Lehrer dieser Schulen, die Verantwortlichen, an den Pranger gestellt werden und nicht immer nur die Handelnden. Ein kleiner Vermerk zum Thema noch: Ein Fünftel dieser Absolventen der Junkerschulen sind später Aufsichts- oder Führungspersonen in diversen Konzentrationslagern geworden. Die Lehrer sind mit anzuklagen. Auch sie tragen Schuld.

20131020-230542.jpgDie Vergangenheit von Jauß, über die hier in Konstanz einige sehr wohl Bescheid wussten, wurde weitgehend verschwiegen und gedeckelt. Wenn Ihr Stück hier aufgeführt wird, könnten die Reaktionen sehr heftig werden

Ich glaube, dass Jauß hier noch eine breite Anhängerschaft hat. Dass ihm Leute zur Seite stehen, mag alles sein. Ich will mich da auch gar nicht als Märtyrer aufführen, aber das Thema Junker- und Unterführerschulen ist wichtig und sollte aufgearbeitet werden. Die Struktur Schule als Waffe muss an den Pranger gestellt werden. Dazu ist Jauß für mich der geeignete Mann, um das an die Öffentlichkeit zu bringen.

Ich bin davon überzeugt, dass Jauß viele Verteidiger haben wird, aber das ist mir völlig wurscht. Ich ziehe das Ding durch, werde es dem Rektor der Universität schicken und ich werde ihn bitten, dass er mir die geeigneten Räume zur Verfügung stellt, damit ich versuchen kann, dieses Stück vorzustellen. Ich hoffe, dass dann auch die Studenten reingehen und über die Bedeutung von Latenz, über die Funktion eines anderen in einer Person, etwas erfahren und – ich wiederhole mich bewusst – das Problem Schule als Waffe erkennen, ein Thema, das uns im 21.Jahrhundert immer wieder beschäftigen wird.

Das Interview führten HP Koch und Holger Reile