Chance, Geschichte bewusst zu machen: vertan
„Geschichte nicht blass werden lassen“ wollte das Stadttheater Konstanz nach den Worten seines Intendanten Christoph Nix. Doch der Versuch, mit einer Erinnerungsproduktion auf der Werkstatt-Bühne auf Willy Schürmann-Horster aufmerksam zu machen, ging gründlich schief. Schade: Ein Konstanzer Theatermann, von den Nazis als Widerständler ermordet, hätte als Mahnung in der Gegenwart getaugt. Die Chance – vertan
Das lag zuallererst am Konzept des Abends. In drei Schritten wollte man die Erinnerungsarbeit angehen: Da war zunächst eine szenische Lesung von Autor und Regisseur Wolfgang Hagemann mit dem Schauspieler Zeljko Marovic, dann folgte ein Kurzreferat des Historikers Hans Coppi, um schließlich in einer Gesprächsrunde unter der Moderation von Intendant Nix zu enden. Zusammen aber überfrachtete diese Konzeption den Abend – man verstand wenig vom Theatermann, lernte kaum etwas über den Widerstand der „Roten Kapelle“ und der Sprung in die Gegenwart ging gründlich daneben.
Viel hörte man über die Volksbühnen-Bewegung der 20iger, 30iger Jahre, in der Schürmann-Horster fleißig mitmischte, immer neue Gruppen wie die „Kolonne Stehkragen“ gründete und Revolutionäres zur Theatertheorie publizierte. Doch Hagemann und Marovic verstolperten ihren Text derart regelmäßig, dass Erhellendes beim Zuhörer nur selten hängen blieb. Selbst launige Anekdoten, wie zum Beispiel die Szene, in der die Souffleuse ihren Schmuck versetzte, um den hungerleidigen Schauspielern die Weiterreise zu finanzieren, mussten so versanden. Und die Zitate zur Theorie proletarischen Theaters nahmen dermaßen überhand, dass Chef Nix nach über einer Stunde konzentrierter Rezitation zur Mäßigung mahnte, denn die Lebensstation Konstanz war bis dahin in der Beschreibung der Person Schürmann-Horster noch gar nicht aufgetaucht.
Als nach 90 Minuten der Historiker Hans Coppi die Bühne betrat, war das Publikum schon reichlich erschöpft. Dr. Coppi, Sohn der Widerstandskämpfer Hans und Hilde Coppi und heute Vorsitzender der Berliner VVN-Sektion (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes), konnte immerhin in aller Kürze manch‘ Vergessenes zum Widerstandskreis „Rote Kapelle“ beitragen – „ein Widerstand aus lockeren Freundeskreisen“ sei das gewesen und keineswegs eine Kreml-Spionagegruppe, zu der sie erst die Gestapo stilisierte. Noch informativer dazu ist allerdings die kleine Ausstellung auf acht Schautafeln, die Coppi mitbrachte und die derzeit im Theaterfoyer gezeigt wird (s. Fotos).
Auch in der abschließenden Gesprächsrunde konnte man sich nicht recht auf Weg und Ziel einigen: Ging es um „Theatertheorie, die heute kaum mehr stattfindet“ (Christoph Nix) oder um „die Ernsthaftigkeit im Widerstand“ (Hans Coppi) oder doch mehr um historische Ungenauigkeiten, die der Lokalhistoriker Arnulf Moser aus dem Publikum dem Autoren und Regisseur Wolfgang Hagemann vorhielt? Kurzum: Die letzte halbe Stunde konnte diesen Abend auch nicht mehr retten.
Und das war wahrlich schade. Denn so blieb dieser Teil der Geschichte doch blass. Das zahlreiche und wohlwollende Publikum hatte anderes erwartet.
Autor: hpk
Lieber Autor,
mir ging es wie Ihnen: Ich fand den Abend zu lange und dramaturgisch schlecht aufgebaut. Ganz schlimm fand ich es, Herrn Nix als Moderator am Ende des Abends zu erleben. Das verbietet sich doch eigentlich, einen Selbstdarsteller wie Nix, bei einem solch sensiblen Thema auf die Bühne als Moderator zu setzen.
Materialistisches Theater im Widerstand
Willy Schürmann-Horster bezeichnete sich selbst als Materialist. Er hegte die Hoffnung, nach der Verurteilung als Hochverräter wegen aktiver Widerstandstätigkeit nicht getötet zu werden. Doch der Lebenswille des Kulturschaffenden war vergebens, denn die NS Richter am Volksgerichtshof kannten keine Gnade. Da nützte es auch nichts, dass seine Frau Clara einen 8 seitigen Brief an das Gericht schrieb.
Die Materie -eine rekonstruierende Inszenierung der Zeit von 1917 bis 1943 – ist unmöglich leicht zu erfassen. Der Autor und Dramaturg Wolfgang Hagemann deckte sehr detailliert die Sphäre des kreativen jungen Schauspielers auf, der nach den brutalen Jahren des 1. Weltkrieges sich entschloss, mit wagemutigen Kombattanten, revolutionäres Theater zu betreiben. Anfangs voller Tatendrang, die populären Theatervorstellungen der Zeit durch dadaistische Aktionen zu sprengen, ging die Truppe im Westen dazu über, Stücke wie Büchners Woyzeck besonders realistisch zu interpretieren.
Doch die Menschen in der Weimarer Republik hatten zunächst wenig Geld, um avantgardistische Theaterleute zu bezahlen. Die galoppierende Inflation ließ die Eintrittsgelder auf 50 Milliarden Reichsmark steigen, ohne die Not der Künstler decken zu können.
Stoff für episches Theater lag sozusagen auf der Straße, aber die existentielle Zerrissenheit einer ganzen soldatischen Generation bot zu wenig Macht für eine sozialistische, existenzsichernde Biografie. Schürmann-Horster war aber einer, der sich trotz früher Verhaftung 1934, Freispruch 1935 nicht entmutigen ließ. Er engagierte sich obwohl ohne feste Gage fortlaufend am Theatergeschehen. Er bekam genügend solidarischen Zuspruch aus engagierten Künstlerkreisen. So realisierte er ab 1938 in Berlin einen Widerstandszirkel mit konspirativer Verbindung zu anderen Wagemutigen, die das Selbstdenken nicht aufgegeben hatten, gegen das Naziregime.
Der soldatische Materialismus der Nazis war brutal und vernichtend für die unabhängigen nach Frieden strebenden Künste. Nach Konstanz ins Grenzlandtheater gelangte der Ruf des nimmermüden Dramaturgen Willy Schürmann-Horster, so dass er da 1941 immerhin anderen Schauspielern die Freiheit gab, ihren Beruf auszuüben und nicht an der Front beim gegenseitigen Schlachten missbraucht zu werden. Seine Chancen waren hingegen verschwindend, denn mit Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion, wurde auch der innere Krieg gegen die oppositionellen demokratischen und kommunistischen Kulturschaffenden verschärft.
Die aufrüttelnde Botschaft der Biografie Schürmann-Horsters zeigt heute nach vorne, aufwärts zu querwirkenden, widerborstigen Medienkünstlern, deren politisch emanzipatorische Schaffensfreude durch Mord-Drohungen nicht verstummt, denn auch das Publikum, weiß wie wertvoll und wichtig es ist, die Meinungsfreiheit zu behaupten und dafür solidarisch einzustehen.
Sicherlich wäre eine Theaterproduktion mit mehrprovokant roten Hosen, morsenden Protagonisten, flammenden Freiheitsreden zu wachrüttelnd donnergleichen Flugblättern und einem freibeuterischen Landrat – als Vorleser mit Augenklappe – sinnlicher rübergekommen, doch eigentlich blieb das geschichtsbetonte Lesestück der erbärmlichen Trostlosigkeit des Faschismus stetig auf der Spur.