Die SPD kämpft sich weiter nach unten
Nach dem SPD-Parteikonvent weist alles in Richtung Große Koalition. Das ist angesichts der geringen politischen Unterschiede zwischen diesen Parteien kein Wunder – und dennoch falsch. Denn damit begibt sich die SPD tapfer auf Talfahrt
Es ist schon erstaunlich, mit welchem Gleichmut der neoliberale Flügel der deutschen Sozialdemokratie den Weg in Richtung Kleinpartei beschreitet. Da hat die SPD das zweitschlechteste Bundestagswahlergebnis aller Zeiten eingefahren – und macht weiter wie gehabt. Während die Grünen nach ihrer Schlappe immerhin einen Teil der Führung auswechselten, ließ sich Frank-Walter Steinmeier vom Spitzentrio schon zwei Tage nach der Wahl wieder zum Fraktionschef wählen, und auch der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel kam nie ins Wanken. Ursachenforschung? Fehlanzeige.
Und gerade vier Wochen nach der Wahl verständigten sich die Delegierten am Parteikonvent mit großer Mehrheit auf eine Große Koalition mit den Unionsparteien CDU und CSU. Zwar sollen die Mitglieder noch mitsprechen dürfen, aber am Ende von langen Koalitionsverhandlungen dürfte der Entscheid nur noch Formsache sein. Und so wird sie vor Weihnachten wohl stehen: die stärkste Regierung in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Koalitionsparteien stellen fast achtzig Prozent der Bundestagsmandate; die Hauptoppositionspartei Die Linke und die Nebenopposition von den Grünen kommen auf rund zwanzig Prozent.
Das ist zu wenig für eine wirksame Kontrolle des Regierungsgeschäfts. Denn wer einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss (wie etwa den über die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Neonazis) einsetzen, eine Sondersitzung des Parlaments beantragen, Gesetze vom Bundesverfassungsgericht überprüfen oder ExpertInnen öffentlich anhören lassen will, braucht ein Viertel aller Stimmen. Und vom Bundesrat, der zweiten Kammer, käme – anders als jetzt – ebenfalls kein Widerspruch. Die Auswirkungen dieser Dominanz sind gravierend, weil künftig auch noch das bisschen an Demokratie, das den parlamentarischen Institutionen blieb, verschwindet.
Dafür aber, argumentiert die SPD, könne man jetzt endlich wieder mitgestalten – und beispielsweise einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn durchsetzen. Aber braucht es dafür eine Große Koalition? Den könnten SPD, Grüne und der linke Flügel der Sozialdemokratie – die Linkspartei – auch jetzt schon verabschieden; schließlich haben sie im Bundestag eine Mehrheit von 319 zu 311 Stimmen. Die Linke unternahm einen Vorstoß in dieser Richtung, doch die SPD blockte ab. Lieber lässt sie sich auf Verhandlungen mit der Union ein, die eine noch tiefere Marke als die ohnehin schon viel zu niedrig angesetzten 8,50 Euro in der Stunde – monatlich rund 1400 Euro brutto – anpeilen wird.
Mehr als einen Mindestlohn wird und will die SPD jedoch nicht durchsetzen. Auf Steuererhöhungen für Reiche, im Wahlkampf eine der SPD-Kernforderungen, hat die Parteispitze bereits verzichtet. Andere Fragen wird sie in den Koalitionsverhandlungen nicht ansprechen. Eine humanitäre Flüchtlingspolitik? Das interessiert niemanden. Militäreinsätze im Ausland? Hat schon Rot-Grün praktiziert. Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa? War auch während des ausgesprochen national dominierten und bornierten Wahlkampfs kein Thema. Steuerflucht bekämpfen, Spekulation unterbinden, gefährliche Finanzprodukte verbieten, den maschinellen Hochfrequenzhandel einschränken? Aber nicht doch in der Realität!
Und so stolpert die SPD als Juniorpartner in Gespräche mit einer Kanzlerin, die seit dem 22. September vor Kraft kaum laufen kann – und schon deswegen keine großen Zugeständnisse machen muss, weil ihr keine abverlangt werden. Kein Kurswechsel bei der exportfixierten Wirtschaftspolitik, die auf Kosten anderer europäischer Ökonomien und der dortigen Bevölkerung geht und die Eurokrise überhaupt erst auslöste. Keine Abkehr von der Austeritätspolitik, die während der Großen Koalition 2005–2009 mithilfe der SPD in Form der Schuldenbremse im Grundgesetz verankert wurde. Keine Kehrtwende in der Politik des Sozialabbaus, die Rot-Grün mit der «Agenda 2010» begonnen hatte und die von der letzten Großen Koalition mit der Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre fortgesetzt wurde. Dafür bekam die SPD bei der Wahl 2009 (Absturz auf 23 Prozent) ja auch die Quittung. Gelernt hat sie daraus nichts.
Alternativen wären durchaus denkbar gewesen: eine Minderheitsregierung der Wahlsiegerin Angela Merkel zum Beispiel, oder eine schwarz-grüne Koalition. In ersten Gesprächen waren sich UnterhändlerInnen der Union und der Grünliberalen jedenfalls recht nahegekommen. Nur eine Variante kam trotz numerischer Überzahl nie infrage – die eines rot-grün-linken Bündnisses. Und zwar nicht nur deshalb, weil SPD und Grüne eine Kooperation mit der Linkspartei kategorisch ausschlossen. Sondern auch, weil für einen Politikwechsel Mandatsmehrheiten nicht genügen. Dafür braucht es auch außerparlamentarische Koalitionen und die Kooperation mit Bewegungen, Initiativen, gewerkschaftlichen Basisgruppen. Davon jedoch wollen SPD und Grüne nichts wissen, weil sie nur auf die gesellschaftliche Mitte starren.
Nun wird möglicherweise ein großkoalitionärer SPD-Finanzminister demnächst der Bevölkerung erklären müssen, weshalb während seiner Amtszeit ein Schuldenschnitt für Griechenland unumgänglich war und deswegen die Mehrwertsteuer erhöht werden muss. Das geschieht der Partei recht.
Autor: Pit Wuhrer/woz.ch
Wir haben kein Einnahmeproblem – sondern ein Ausgabeproblem, sagen Unionsvertreter bereits nach der Wahl. Soll heißen: Strassen bleiben marode, der Öffentliche Personen Nahverkehr eine Zumutung, der Flugverkehr unerträglich. Die Fördermittel „soziale Stadt“ sind schon eingestellt, der soziale Wohnungsbau wird weiter eingeschränkt werden. Ein soziales Projekt nach dem anderen muss eingestellt werden. Nach dem Wahlergebnis vom 22. September muss die Kanzlerin nichts aufgeben. DEM DEUTSCHEN VOLKE . . . geht es gut. Zu gut? Den meisten jedenfalls. Auch den Koalitionären der SPD. Der Koalitionsvertrag wird so gestaltet sein, dass die SPD-Mitglieder zustimmen können. Wer erinnert sich schon an die Volksweisheit: „Papier ist geduldig“? Im Verlauf von vier Jahren wird es viele Gründe dafür geben, weshalb von Vereinbarungen nichts umgesetzt wird. Die „Richtlinienkompetenz“ von Mutti richtet es. Am Ende der großen Koalition wird die SPD so degradiert sein, dass sie die darauf folgenden beiden Wahlperioden keine Rolle mehr spielen wird. Die FDP lässt grüßen! So sehe ich das.
Sehr richtig. Es geschieht der Partei recht. Und es geschieht uns Bundesdeutschen recht, geschieht es doch alles auf Grund unseres ausdrücklichen Wählerwillens und Nichtwissenwollens.
Besser irgendwie weiterwurschteln, als endlich die längst überfälligen und unumgänglichen, oft unbequemen Fragen zu stellen und Entscheidungen anzugehen.
Auf die SPD war hinsichtlich ihres Opportunismus in den letzten Jahrzehnten immer Verlass. Ihr selbst gewählter Weg in die Marginalisierung ist deshalb nur konsequent. Fragt sich nur, wohin die Republik weiterhin steuert, bzw. nicht steuert. Der Nebel ist zäh, aber noch schwimmt der Kahn und wir machen weiter Fahrt, als gäbe es da draußen keine Eisberge. Die Mannschaft spurt, ja sie murrt kaum, und Frau Kapitänin übt sich weiterhin in Weitblick. Die berüchtigte Politik der „ruhigen Hand“, von Schröder proklamiert, von Merkel perfektioniert. Bis jetzt ist schließlich alles gutgegangen, oder? We’ll see….