Herzklinik immer tiefer im Strudel der Ermittlungen

Warum musste Dr. Michael Pieper gehen? Der langjährige Chefarzt der Kardiologie im Herzzentrum Kreuzlingen wurde von einem Tag auf den anderen vor die Tür gesetzt. Klinik-Mitarbeiter wollen wissen, dass es zwischen Pieper und dem Costa-Clan zu ernsthaftem Zwist um die Schweizer Firma ProVentis gekommen sei. ProVentis Care Solutions AG, kürzlich nach Oberägeri verzogen, wird gleichfalls vom Triumvirat des Herz-Neuro-Zentrums Bodensee, Antoinette Airoldi, Martin Costa und Dierk Maass, kontrolliert

Das Firmengeflecht aus Herzklinik Konstanz, Herz-Neuro-Zentrum Kreuzlingen und ProVentis Care Solutions AG im schweizerischen Oberägeri versinkt immer tiefer im Strudel staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Wie erst gestern bekannt wurde (seemoz berichtete per Eilmeldung), waren beide Kliniken am vergangenen Donnerstag erneut Ziel staatsanwaltschaftlicher Hausdurchsuchungen; in Konstanz waren nach Mitarbeiter-Informationen auch Zollbeamte beteiligt, was den Verdacht erhärtet, dass es sich um grenzüberschreitende Unregelmäßigkeiten bei Abgaben und Steuern handeln könnte. Bereits Anfang Juni hatte im Konstanzer Herzzentrum eine Razzia stattgefunden – 120 Aktenordner sollen damals nach bislang nicht dementierten Angaben beschlagnahmt worden sein.

Neu in den Fokus deutscher Zoll- und Finanzermittler aus Singen, Freiburg und Konstanz ist jetzt die Firma ProVentis Care Solutions AG geraten, deren Leitung identisch mit der HNZB-Führung ist. Denn ProVentis, so verschiedene HNZB-Mitarbeiter gegenüber seemoz, dient dem Herz-Neuro-Zentrum offenkundig nicht nur als Stent-Lieferant (Stents sind Gefäßstützen, die u.a. in der Herz-Chirurgie verwendet werden und in der Schweiz deutlich teurer als in Deutschland sind). Außerdem soll Proventis als Bank-Depot für die Geschäfte zwischen den Kliniken in Konstanz und Kreuzlingen fungiert haben. Für Dr. Pieper, der über 21 Jahre etlichen Herzpatienten das Leben rettete, war solches Geschäftsgebaren wohl nicht länger hinnehmbar, so die Lesart unter Beschäftigen in Konstanz und Kreuzlingen.

Ein Blick in die Dienstpläne hilft weiter

Aber die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Betreiber der beiden Herzkliniken auch aus anderen Verdachtsgründen, wie seemoz mehrfach berichtete. Es geht zum einen um vermeintlichen Sozialversicherungsbetrug. So sollen seit vielen Jahren Mediziner – das gilt wohl für Chef- wie Oberärzte, aber auch für Assistenten – und Pflegekräfte, die auf Schweizer Seite in Kreuzlingen angestellt sind, größtenteils in Konstanz beschäftigt worden sein. Für die betreffenden etwa 50 bis 60 Mitarbeiter sollen aber in Deutschland weder Sozialabgaben noch Steuern abgeführt worden sein. Dazu stellt Kreuzlingen die Personalüberlassung der Klinik in Konstanz wohl auch mit jährlichen Millionenbeträgen in Rechnung.

Ein Blick auf die aktuellen Dienstpläne, die nicht nur seemoz vorliegen, könnte der Staatsanwaltschaft weiter helfen: Nach Mitarbeiter-Angaben werden sechsstellige Beträge durch die Beschäftigung Schweizer Arbeitnehmer in Deutschland für nur einen Arzt allein in einem Jahr „eingespart“ – bei zehnjähriger Beschäftigungsdauer summieren sich solche Beträge zu Millionensummen. In diesem Zusammenhang ist, wie seemoz ebenfalls bereits früher moniert hatte, aber auch und nicht erst seit gestern das Konstanzer Finanzamt gefordert.

Immer neue Vorwürfe

Die ermittelnde Konstanzer Staatsanwaltschaft hält sich zu alledem weiterhin bedeckt. So auch zum Vorwurf, Ärzte sollen ohne Approbation gearbeitet haben, über den Schweizer Zeitungen und seemoz ausführlich berichtet hatten. Auch von einer womöglichen Anzeige beim Gewerbeaufsichtsamt Konstanz wegen veralteter Röntgenanlagen und der daraus folgenden Strahlenbelastung wird Stillschweigen bewahrt. Überschreitungen der Arbeitszeitordnung in der Konstanzer Klinik, auch das ein Vorwurf aus Mitarbeiterkreisen, würden dann kaum mehr ins Gewicht fallen.

Wenig verwunderlich auch, dass sich seit der seemoz-Berichterstattung über den HNZB-Konzern auf dem Redaktionsschreibtisch die Beschwerden ehemaliger Patienten häufen, die von Behandlungsfehlern wissen wollen. Teils abenteuerliche Geschichten bekommt man da zu hören, die ohne nachhaltige Recherche von der Redaktion jedoch nicht veröffentlicht werden. Sogar Berichte ehemaliger Beschäftigter über Schwarzgelder machen die Runde, werden jedoch ohne weitere Nachprüfung ebensowenig veröffentlicht. Das gilt auch für Mutmaßungen, die sich aus der HNZB-Bilanzanalyse – für jeden im Bundesanzeiger unter dem Datum 6.2.2013 einsehbar – ergeben könnten: Erstaunliche Unterschiede zwischen Personal- und Materialkosten sowie bei den  Aufwendungen für angestelltes und Fremdpersonal bleiben ohne kompetente Erläuterungen unter Verschluss.

Nachforschungen werden erschwert

Dass die Recherchen nicht nur für Journalisten, sondern auch für Zoll- und Finanzbeamte sowie sogar für Staatsanwälte so schwierig und zeitraubend sind, liegt offensichtlich auch am Betriebsklima in den beiden Herzkliniken. Informanten unter den Beschäftigten – allein seemoz liegen mailige und briefliche Informationen von mindestens sechs Beschäftigten vor – werden von der Geschäftsführung massiv unter Druck gesetzt. Zitat aus einem Brief an die Redaktion: „Da Mitarbeiter bei ‚Widerworten‘ gegen die Geschäftsführung unter Druck gesetzt werden oder bei Information Aussenstehender durch Kündigung oder juristische Konsequenzen bedroht sind, muss dieser Brief auch anonym bleiben“.

Das Beispiel von Dr. Pieper belegt, dass solche Befürchtungen wohl keine Hirngespinste sind.

Autor: hpk

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