Hure, Femme und Aktivistin

Sexarbeiter_Innen, Stricher, Masseure, Escort, Hure….Was denkst Du, wenn Dir solche Bezeichnungen begegnen? Wie hast Du Dir Deine dazu Meinung gebildet? Was ist Sexarbeit? Wer macht Sexarbeit? Wie sind die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter_Innen in Deutschland und anderswo? Welche Bilder und Vorstellungen tauchen in Deinem Kopf auf? Sind es Vorurteile über die Personen oder über uns? Ein Workshop mit Emily Navina an der Uni Konstanz versucht Auskunft und bleibt doch in den alten Vorurteilen stecken

Wer in den letzten Tagen die Feuilletonseiten deutscher Zeitungen aufgeblättert hat, wird nicht um die Diskussion über Alice Schwarzers neues Buch „Prostitution – Ein deutscher Skandal“ herumkommen. Und wer schon einmal Schwarzers Zeitschrift EMMA aufgeschlagen hat, weiß auch bereits, was drin steht. Das Bild, das Schwarzer von Prostitution zeichnet, ist finster: Es sei ein Gewerbe, in das junge, osteuropäische Frauen von Menschenhändlern gezwungen werden. 90% wünschten sich den Ausstieg, viele litten an körperlichen und seelischen Gebrechen, würden sich in Drogen flüchten.

Und vom Hörensagen wüsste sie auch von Fällen, in denen Mütter ihre Säuglinge nach der Geburt an ihre Zuhälter abgeben müssten, damit diese direkt dem Verwertungsprozess der Sexindustrie zugeführt werden könnten. SexarbeiterInnen, die als „Betroffene“ ein ganz anderes Bild des Gewerbes zeichneten und  ihrer Forderung nach „PROstitution“ auf mehr oder weniger schrille Art und Weise Nachdruck verleihen wollten, wurden nicht in die Diskussion eingebunden; später sogar gebeten, die Klappe zu halten, man spreche schließlich über Fakten.

Hydra, der Berufsverband für Huren

Entsprechend wollten sich wohl viele nicht den Workshop entgehen lassen, den Emily Navina – selbsterklärte Hure, Femme und Aktivistin – an der Uni Konstanz im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Gesellschaft – Macht – Geschlecht“ anbot. Rund 30 Menschen fanden sich, um miteinander über ihre Bilder von SexarbeiterInnen zu sprechen. Nachdem die kurze Dokumentation „Under The Red Umbrella“ von Julia Ostertag gezeigt worden war, in der eine Sexarbeiterin ihr Selbstverständnis erläutert, eröffnete Emily die Diskussion mit dem Hinweis auf ihre Tätigkeit bei Hydra e.V. Der in Berlin ansässige Verein setzt sich für die Rechte und die Entstigmatisierung von Prostituierten ein, auch der Themenbereich Menschenhandel wird dort nicht ausgespart. Die Telefone bei Hydra laufen heiß seit der Sache mit „Alice“, sagt Emily in einem leicht bissigen Tonfall, aber das sei nachvollziehbar, denn der Verein und die EMMA sind sich seit ihrer Gründung nicht grün.

„Toll, in einer Stadt mit Prostituiertendenkmal am Hafen zu sprechen!“ Sie betont im Rahmen der Veranstaltung mehrfach, dass ihre Sicht der Dinge nicht repräsentativ sei, da sie sich in einer privilegierten Situation befinde. Schließlich ist sie weiß, hat die deutsche Staatsbürgerschaft, spricht die Sprache und kennt sich genau mit der Gesetzeslage aus. Sie fordert die Teilnehmer auf, sich mit Namen und Pronomen vorzustellen und ihren persönlichen Bezug zur Sexarbeit und ihr Interesse daran darzustellen. Die Antworten sind gemischt: Einige haben FreundInnen, die in der Industrie tätig sind. Andere beschäftigen sich mit Zwangsprostitution. Ein Herr mittleren Alters stellt sich als dem bürgerlichen Spektrum zugehörig vor. Er findet es gut, dass in einer konservativen Stadt wie Konstanz ein so tabuisiertes Thema öffentlich behandelt wird.

„Bevor ich als Kellnerin sexuell belästigt werde …

Falls SexarbeiterInnen anwesend waren, haben sie sich nicht geoutet, aber zumindest eine Frau bekundet ihr Interesse daran, als Escort tätig zu werden. Warum? „Also, bevor ich als Kellnerin sexuell belästigt werde, da nehme ich doch lieber richtig Kohle dafür.“

Emily berichtet aus dem Alltag von Prostituierten. Sie selbst hat noch keine Hure kennengelernt, die einen Zuhälter hätte oder verschleppt wurde. Dass die Arbeit auch Risiken berge, gibt sie zu: „Prostituierte sind leichter zu treffen, im doppelten Sinne.“  Aber der Straßenstrich sei wesentlich sicherer als viele  vermuten, denn die KollegInnen notieren sich die Nummernschilder der Freier – und die wissen das. Wenn tatsächlich mal etwas passieren sollte, empfiehlt sie, die Feuerwehr zu rufen. Denn die Polizei kommt nicht oder zu spät: „Die sind nicht auf unserer Seite.“

Prostitution ist tatsächlich überall

Sie betrachtet Sexarbeit auch als Chance für Leute, um zu Geld zu kommen, nicht als Sackgasse. Aber sie vermerkt deutlich, dass man es sich auch nicht zu einfach vorstellen sollte: „Sexwork ist WORK. Arbeit.“ Und so eine Arbeit bringt auch schwerwiegende Probleme mit sich: „Alter ist ein Problem. Eine Rente hast du ja meistens keine.“ Die TeilnehmerInnen schreiben Formen von Sexarbeit auf, die ihnen in den Sinn kommen. Man geht gemeinsam das gesamte Spektrum von Pornographie, über BDSM bis hin zur Sexualassistenz bei Behinderten durch. Emily kommt beim letzten Zettel an. Auf dem steht „Überall“. „Das ist ein schönes Schlusswort, finde ich. Denn Prostitution ist tatsächlich überall.“

Autor: Christian Hillmann

Weite Informationen über Hydra e.V. unter: http://www.hydra-berlin.de