Kampf dem Mehrwertsteuer-Zettel

Aber es geht nicht allein um das Formular und die lästige Stempelei: Oswald Petersen und seine Kreuzlinger Initiative zur Abschaffung der Mehrwertsteuersubvention – KAMS – haben sich zum Ziel gesetzt, die Mehrwertsteuersubvention im schweizerisch-deutschen Einkaufstourismus abzuschaffen. Und Petersen rührt die Werbetrommel – im Internet und bei Konstanzer Politikern. Wohlgemerkt: aus Schweizer Sicht

Die KAMS fordert, dass die Mehrwertsteuererstattung des deutschen Finanzamtes auf Ausfuhren beschränkt wird, die in der Schweiz versteuert wurden. Die Schweiz soll, wie bisher, nur Einfuhren über 300 SFR versteuern. Es geht den KAMS-Initiatoren vor allem um drei Punkte: Reduktion des Verkehrs, Gleichbehandlung aller Kunden und Reduktion des Verwaltungsaufwands.

Die Idee

Die Idee, die Mehrwertsteuersubvention abzuschaffen, beruht auf dem Gerechtigkeitsgedanken. Warum soll eine Gruppe von Kunden Privilegien genießen, die anderen vorenthalten bleiben? Das Grundprinzip ist hier verletzt, dass alle gleich behandelt werden sollen. Nun würde das allein noch niemanden stören, wenn die Mehrwertsteuersubvention schadlos bliebe. Das ist aber leider nicht der Fall. Wer in Konstanz oder Kreuzlingen lebt, weiß, dass am Samstag kaum eine Chance besteht, mit dem Auto in die Innenstadt von Konstanz zu gelangen. Hinzu kommen Schlangen an den Kassen, an den Abfertigungsschaltern und am Zoll. Elf Millionen Ausfuhrscheine pro Jahr müssen ausgestellt, gestempelt, geprüft und erstattet werden. Das ist ein täglicher Alptraum für Kassenpersonal, Zöllner, Kunden und unbeteiligte Mitmenschen. Auf der Schweizer Seite der Grenze stehen derweil die Geschäfte leer bzw. schließen, mangels Kunden, ihre Pforten.

Und wozu das Ganze? Ein volkswirtschaftlicher Nutzen dieser täglichen Verrichtungen ist nicht erkennbar. Natürlich gibt es Einzelne, die profitieren. Man kann ihnen deshalb ja auch keinen Vorwurf machen, denn sie handeln im Rahmen des Gesetzes. Aber der Profit des Einzelnen geht zu Lasten der anderen, denn das Geld fällt ja nicht vom Himmel. Es fällt vielmehr aus dem Säckel des Schweizer Finanzministers.

Eigentlich müsste der Schweizer Zoll auf alle Importe Einfuhrumsatzsteuer erheben. Das wäre systemkonform. Dann müsste man auf alle Einfuhren, nach heutigem Stand, an der Grenze 8% Einfuhrumsatzsteuer bezahlen (bzw. 2.5% für Lebensmittel), plus eventuelle Zölle, die noch obendrauf kämen. Nur, darauf hat der Schweizer Zoll keine Lust. Es lohnt den Aufwand nicht, auf einen Einkauf von z.B. 50 SFR noch 4 SFR Umsatzsteuer zu erheben. Daher kommt die ‚regelwidrige Regel‘ mit 300 SFR Freigrenze pro Person und Tag, die unversteuert eingeführt werden dürfen. Damit, und das ist das Problem, subventioniert der Schweizer Staat den Einkauftstourismus.

Der KAMS- Vorschlag berücksichtigt die Effizienzüberlegungen des Schweizer Zolls. Ok, wenn der Schweizer Zoll nicht will, bleibt die 300-SFR-Regel bestehen. Aber wer sie nutzt, kann dann nicht auch noch die deutsche Mehrwertsteuer erstattet bekommen. Wenigstens in einem Land muss er Steuern bezahlen. Das wäre gerecht und effizient.

Wie wirkt die vorgeschlagene Regel?

1) Die neue Regel würde bewirken, dass für Einfuhren unter 300 SFR keine Ausfuhrscheine mehr anfallen.

2) Aufgrund der neuen Regel würde die Preisdifferenz zwischen Deutschland und der Schweiz um ca. 30% geringer werden. Das würde dazu führen, dass der Einkaufstourismus insgesamt um ca. 30% zurück geht.

3) Es wäre möglich, mehrere Einfuhren an einem Tag zusammenzufassen, um insgesamt über 300 SFR Nettowert zu kommen. Damit könnte der Schweizer Kunde zumindest erreichen, dass er nur die (geringere) Schweizer Einfuhrumsatzsteuer bezahlen muss. Diese ‚Kumulation‘ hätte zur Folge, dass die Kunden ihre Einkäufe auf einen Tag zusammenlegen. Das hieße, dass von den 11 Millionen Ausfuhrscheinen, die heute ausgestellt werden, noch ca. 2.2 Millionen übrig bleiben.

Dem Schweizer Zoll würden ca. 40 Millionen SFR zusätzliche Einnahmen zufließen. Die Schweizer Händler würden ca. 1 Mrd. SFR zusätzlichen Umsatz machen, hieraus würde der Schweizer Staat ca. 60 Millionen SFR zusätzliche Umsatzsteuer einnehmen. Die gesamten Zusatzeinnahmen könnten verwendet werden, um die Steuern insgesamt zu senken. So käme die neue Regel am Ende allen Schweizern zugute.

Der Verkehr im Einkaufstourismus würde etwa halbiert werden. Zum einen durch den Rückgang des Einkaufstourismus insgesamt um 30%, zusätzlich durch die Kumulation der verbleibenden Einkaufsfahrten, wäre eine erhebliche Entlastung der Kreuzlinger und Konstanzer Straßen zu erwarten.

Lösungsmodelle 

Die KAMS ist nicht die einzige Organisation, die sich Gedanken macht zum Einkaufstourismus. Es gibt diese Debatte schon lange und es gibt verschiedene Ansätze zur Lösung des Problems.

1) Die korrekte Lösung

Korrekterweise müsste jeder Import aus Deutschland so behandelt werden wie die Importe über 300 SFR. Die 300-SFR-Regel sollte ersatzlos gestrichen werden. Das hieße, dass auf jeden Einkauf in Deutschland Schweizer Einfuhrumsatzsteuer erhoben wird. Zu den Schlangen am deutschen Zoll und an den deutschen Kassen würde eine weitere Schlage am Schweizer Zoll hinzu kommen, und der Schweizer Zoll müsste hunderte weiterer Zöllner einstellen, um die Einfuhrumsatzsteuer abzukassieren. Fazit: Die korrekte Lösung ist nicht praktikabel. Dennoch ist sie eine wichtige Referenz, denn alle anderen Lösungen sollten der korrekten Lösung möglichst nahe kommen. Sie entspricht dem Prinzip der Besteuerung im Bestimmungsland, also dem gesetzlich gewollten Prinzip, dass die Umsatzsteuer in dem Land erhoben wird, in dem die Waren verbraucht werden.

2) Senkung der Freigrenze

Die Freigrenze wurde bereits einmal von 400 SFR auf 300 SFR gesenkt, und es gibt Bestrebungen, sie weiter zu senken, z.B. auf 100 SFR. Dieses Modell wird u.a. von der Handelskette coop propagiert, und daher oft coop-Modell genannt. Das coop-Modell hat allerdings einen schweren Nachteil: Die Senkung der Freigrenze bewirkt, dass die Einkaufstouristen ihre Einkäufe auf mehrere Tage verteilen, um weiter in den Genuss der Steuerfreiheit zu kommen. Dadurch entsteht mehr Verkehr, nicht weniger.

3) Einführung eines Mindestumsatzes auf deutscher Seite

Es wäre vorstellbar, dass Deutschland die Mehrwertsteuererstattung auf Umsätze von z.B. mindestens 300 EUR beschränkt. Dieses Modell hätte zur Folge, dass Ausfuhrscheine nur noch bei großen Einkäufen ausgestellt werden, und auch dort zumindest die Schweizer Umsatzsteuer entrichtet werden muss. Der Verkehr würde deutlich zurückgehen, und die Anzahl der Ausfuhrscheine würde dramatisch sinken, auf ca. 10% des heutigen Volumens. Das Modell ist in seinen Auswirkungen auf Verkehr und Verwaltungsaufwand das beste Modell. Allerdings hat es den Nachteil, dass es wieder ungerecht wäre, denn nun müssten die Schweizer Einkaufstouristen die hohe deutsche Mehrwertsteuer entrichten, wenn sie in einem Geschäft unter 300 EUR ausgeben. Das trifft auf die meisten Einkäufe zu.

4) Technische Lösungen

Viele Ansätze versuchen, den Prozess der Umsatzbesteuerung technisch zu vereinfachen. Es wäre technisch möglich, dass deutsche Kaufhäuser ihren Schweizer Kunden direkt die Schweizer Umsatzsteuer statt der deutschen berechnen, und diese, via deutsches Finanzamt, an die Schweiz fließt. Mit einer entsprechenden Kreditkarte könnte dieser Prozess ganz einfach gestaltet werden, ohne Formulare, Stempel und Schlangen. Allerdings sind diese technischen Lösungen nur möglich, wenn beide Staaten die entsprechenden Gesetze gemeinsam anpassen, damit ein grenzüberschreitendes Regelwerk entsteht. Davon sind wir zur Zeit leider weit entfernt.

5) Das KAMS-Modell

Das KAMS-Modell ist ein typischer Kompromiss. Von allen Lösungen borgt sich dieses Modell den besten Teil, und kommt am Ende für alle Beteiligten zum fairen Ergebnis. Das KAMS-Modell kommt der ‚korrekten Lösung‘ sehr nahe, da die Schweizer Konsumenten bei größeren Einkäufen nur die Schweizer Umsatzsteuer bezahlen. Andererseits vermeidet das KAMS-Modell den großen bürokratischen Aufwand, der mit der ‚korrekten Lösung‘ einhergeht. Durch die Möglichkeit der Kumulation bietet das KAMS Modell dem geschickten Einkäufer die Chance, auch kleinere Einkäufe zu einem großen zusammenzufassen. Es kann z.B. eine Einkaufsgemeinschaft gebildet werden, um ein Auto mit Lebensmitteleinkäufen voll zu laden. Trotzdem hat der Zoll nur einen Zahlungsvorgang abzuwickeln. Das KAMS-Modell kann einseitig von deutscher oder auch von beiden Staaten gemeinschaftlich eingeführt werden. Die letzte Variante wäre sicher die beste.

6) Weitermachen wie bisher

Wenn keine Änderung im Mehrwertsteuerregelwerk kommt, wird die Ausfuhrscheinflut zum Tsunami. Immer mehr Verkehr, immer mehr Bürokratie, und eine immer größere Ressourcenvergeudung führen irgendwann zum Kollaps des Systems. Dennoch ist diese Variante die wahrscheinlichste, die Beharrungskräfte in der Politik sind groß, und letztlich interessieren sich in der deutschen und Schweizer Politik nur wenige für den täglichen Verkehrskollaps und den  Papierkrieg an der Grenze.

Autor: KAMS/hpk

Die Argumente sind in einer Broschüre zusammengefasst. www.kams.ch