Warum es keine Videospiele zu Weihnachten geben sollte

Machen Videospiele aggressiv? Machen sie Amokläufer? Die seemoz-Redaktion hat einen Kollegen gefragt, der mit „Killerspielen“ groß geworden ist und heute an der Uni Konstanz in Medienwissenschaften promoviert und unterrichtet. Seine Antworten sind auch nicht wirklich beruhigend: Mord per Dildo ist üblich, nur Völkermord – das geht gar nicht. Wo sind die Grenzen, was ist noch zumutbar? Die Diskussion jedenfalls ist eröffnet

Liebe LeserInnen, kaum eine Debatte regt mich so auf wie jene um Videospiele, oder in manchen Fällen „Killerspiele“, wie sie gerne getauft werden. Ich gestehe: Ich bin Killerspieler. Sogar leidenschaftlich. Seit ich meinen ersten Computer mit fünf Jahren bekam, habe ich Außerirdische mit Pixeln beschossen. Damals hieß der Spaß tatsächlich noch Space Invaders, und während nur grüne Linien mit unterschiedlicher Einfärbung über meinen Bildschirm flimmerten, eignete ich mir bereits die ersten Kompetenzen an, um die Welt vor einer außerirdischen Invasion zu retten.

Später erschoss ich immer realistischer aussehende Menschen. Sie ahnen es schon, ich werde jetzt nicht behaupten, dass mich das zum Amokläufer erzogen hat. Aber welche Bedenken man gegenüber Videospielen haben sollte, möchte ich kurz erklären. Haben Sie ein wenig Geduld, wir schlagen einen kurzen Bogen.

Jeder tote Mensch ein rosa Pixel

Fangen wir mit einem aktuellen Beispiel an. Grand Theft Auto (GTA) begann als damals schon moralisch fragwürdiges Game-Franchise, noch bevor man sich bei den Teilen 2, 3, 4 und aktuell 5 über die Obszönität und die Gewaltdarstellung aufregen konnte. Aufregen würde man sich im Nachhinein aber über die Grafik. Was haben die sich bloß dabei gedacht? Jeder tote Mensch nur ein paar rote und rosane Pixel. Die Hauptaufgabe hat sich wenig geändert. Autos klauen, Missionen für diverse Gangs erledigen, Waffen sammeln und nur, weil man kann, soviel Unheil wie möglich anrichten. Dass in dem Spiel mehr oder minder viel Humor und Parodie auf die gegenwärtige Gesellschaftsordnung enthalten ist, interessiert nicht mehr, wenn man mit Prostituierten schlafen kann, nur um sie danach zu erschlagen, um sein Geld zurück zu stehlen.

Das ist immer die buchstäbliche Totschlags-Szenerie, die gegen das Spiel angeführt wird. Das verlangt das Spiel aber nicht von einem, die Möglichkeit dazu ist im Spielprinzip nur potentiell gegeben. GTA V und seine Vorgänger sind sogenannte „open world games“. In denen kann man alle möglichen Dinge anstellen, solange sie einem denn einfallen. Rockstar Games sind sicher keine Heiligen, wenn es zur Gewaltdarstellung kommt, aber ein Spiel auf das zu reduzieren, was in ihm möglich ist, würde ihm kaum gerecht. Wenn man nicht will, dass so etwas von eigenen Kindern gespielt wird, sollte eigentlich der simple Vermerk reichen: Es ist ja auch nicht für Kinder.

Wenn Eltern so blöd sind…

Da sind fette, rote Warnsignale auf der Hülle, die explizit vermerken, dass dieses Spiel nur von Volljährigen gespielt werden soll. Warum soll da die Politik weiter eingreifen? Sind Zigaretten und Alkopops schon verboten, nur weil die Kinder trotzdem nicht früher anfangen sollten? Und deren gesundheitliche Risiken sind eindeutig belegt. Ich will das Leid, das durch Amokläufe verursacht wurde, kein Stück schmälern. Aber weder wurde je ein Zusammenhang zwischen Videospielen und Amokläufen belegt, noch sollte man bei den anderen genannten Dingen ein Auge zudrücken, deren Todesopfer evident sind. Wenn Eltern so blöd sind, ihre Kinder darin gewähren zu lassen, müssen sie eben mit den Folgen leben.

Kommen wir nun zum eigentlichen Teil meiner Moralpredigt. Als im Fernsehen damals South Park in Deutschland anlief, lief es nach 22 Uhr. Ich musste die Show auf Video aufnehmen und mit meiner Mutter zusammen angucken. Alles, was wir darüber wussten, war, dass es absolut tabulos zuging und in jeder Folge Kenny stirbt. Meine Mutter urteilte: „Naja. Du kannst das gucken. Ich glaube nur nicht, dass du den Humor verstehst.“ Und damit hatte sie absolut recht. Kinder und Heranwachsende verstehen manchmal nicht, was mit Fäkalhumor und Gewaltexzessen dargestellt werden soll, selbst wenn es nur auf ausgeschnittener Pappe ist. So ist das auch mit GTA. Das parodieren Videospiele inzwischen übrigens selbst.

…retten Kinder mal eben die Welt

In „Saint’s Row“ zum Beispiel ist die Kriminalität mittlerweile zum Franchise-Unternehmen geworden. Eigene Boutiquen mit dem Ganglogo zu betreiben, ist äußerst lukrativ. Eigene Comics und Filme produziert das Verbrechersyndikat inzwischen übrigens auch. Wenn man gerade wieder Lust dazu hat, kann man auch Leute mit einem gigantischen Dildo erschlagen. Ansonsten rettet man eben mal wieder die Welt vor Außerirdischen – wie früher bei Space Invaders. Wer das noch ernst nimmt, ist selbst schuld, oder eben nicht erwachsen.

Heute habe aber selbst ich moralbefreiter Mensch den Controller von mir geworfen und gesagt: „No, so einen Schund spiele ich nicht mehr.“ Die Rede ist nicht von diesen satirischen Spielen und überzogener Gewalt. Es geht um ein Genre, das sich zunehmender Beliebtheit erfreut, das ich aber als „Army Porn“ taufen würde. Die Spieleindustrie richtet sich zunächst an ein US-amerikanisches Publikum und vermarktet dann weiter. Kriegsspiele waren immer populär, sie werden nur immer populärer. Zum Konsum hat man als Spieler viele Anreize. Überzeugendes Gameplay, gelungenes Gamedesign, und die (vieldiskutierte) Grafik, denn wir reden hier von einer Industrie, die mehr als Hollywood umsetzt. Gelegentlich darf man dann mal einen Blick auf die vermittelte Botschaft werfen.

Die derzeit beliebtesten Franchises sind „Call of Duty“ und „Battlefield“. In „Call of Duty“ befindet man sich im aktuellen Teil in einer direkten Kriegssituation zwischen Russland und den USA. Auf wessen Seite, muss wohl nicht erwähnt werden. Jede Form von Diplomatie ist eigentlich hinfällig, man entscheidet die Dinge schließlich eh durch militärische Gewalt, an der man selbst heroischen Anteil hat. In „Battlefield“ bekämpft man momentan die unkalkulierbaren und aggressiven Chinesen. Titel, die mich ebenso ein wenig am Kopf kratzen ließen, waren „Homefront“, in dem Nordkorea spontan die USA überrennt und man Widerstand leistet, und ausnahmslos jeder Titel, der mit „Tom Clancy’s…“ anfängt.

Diese Spiele sind nicht für Kinder

Gegen die Spiele an sich habe ich überhaupt nichts einzuwenden, die sind technisch einwandfrei. Was sie ideologisch transportieren, ist aber mehr als bedenklich. In „Ghost Recon Future Soldier“ treibt man sich im Auftrag diverser US-Geheimdienste auf der ganzen Welt rum und interveniert militärisch, wo es einem gefällt. Selbstverständlich zum Wohle der Menschheit. In „Ghost Recon Advanced Warfighter 2“ geht es dann soweit, dass man irgendwann mitgeteilt bekommt, es lägen iAtombomben mitten in Mexiko, die man nun zu sichern hätte. „Our backyard“, wie es da heißt. „Our backyard“ – Das ist so, wie zu sagen: „Schicken wir die Bundeswehr mal in die Türkei, da kommen unsere billigen Arbeitskräfte her, da liegen bestimmt Atombomben.“ Natürlich ist das alles in eine feinere Storyline gestrickt, aber das imperialistische Selbstverständnis, gegen das man kein Stück protestiert, geht mir persönlich mehr gegen den Strich als jeder digitale Nuttenmord in GTA.

Das hat übrigens lange Tradition, und wird – wie alles – irgendwann einfach privatisiert. Die US- Army hat zu Rekrutierungszwecken 2002 den Ego-Shooter „America’s Army“ veröffentlicht und seitdem konsequent weiterentwickelt.

Ich weiß nicht, wie es dem Rest der Welt geht. Aber hätte ich Kinder, wünschte ich mir eher, Videospiele brächten ihnen bei, man könnte Menschen mit gigantischen Dildos erschlagen, als dass sie glaubten, Kriege könnten durch „chirurgische Eingriffe“ im Rahmen von Schattenoperationen entschieden werden.

Und vor allem sind diese Spiele nicht für Kinder. Steht doch drauf. Halten Sie sich dran. Frohe Weihnachten.

Autor: Christian Hillmann