Konziljubiläum: Huren sind dieses Mal unerwünscht
Auf Initiative der Linken Liste Konstanz (LLK) hat die Berliner Prostituierten-Organisation „Hydra“ ihr Interesse bekundet, sich mit verschiedenen Veranstaltungen am Konziljubiläum zu beteiligen. Doch das Angebot aus Berlin entspricht wohl nicht den Vorstellungen der Jubiläums-OrganisatorInnen. Man befürchtet anscheinend ein Negativimage und Konflikte, vor allem mit den konservativen Entscheidungsträgern im Gemeinderat und Klerus
Dabei wäre die Beteiligung von Hydra vor allem 2016, bedacht mit dem Titel „Imperia – Lebendiges Mittelalter“, eine Bereicherung des drögen Jubiläumsprogramms. Es wäre ein Leichtes, Brücken zu schlagen und beispielsweise deutlich zu machen, unter welchen Verhältnissen die „Hübschlerinnen“ im Mittelalter zu leben und zu leiden hatten und was sich innerhalb von rund 600 Jahren verändert hat. Gerade jetzt, wo man über eine Änderung des Prostitutionsgesetzes debattiert. Das ist auch der Ansatz, den Hydra vorschlägt und unter anderem auf Wien verweist.
Dort erfährt man bei einer Führung, wie es zu Zeiten von Josefine Mutzenbacher (1852-1904) den Sexarbeiterinnen erging und wie sie ihren Alltag bewältigten. In der österreichischen Metropole gab es schon damals ein Frauenhaus für Prostituierte, die aussteigen wollten. Sie mussten ein ganzes Jahr keusch und sittsam leben, erst dann durften sie heiraten. Die Männer standen Schlange, denn die ehemaligen Huren waren erfahrene Frauen, hatten in der Regel Geld gespart und somit eine akzeptable Mitgift anzubieten. Wurden sie allerdings rückfällig, durfte ihr Ehemann sie offiziell in der Donau ertränken. Wie erging es den Hübschlerinnen zu Zeiten des Konstanzer Konzils? Wie sah deren Alltag aus? Welchen Schikanen und Verboten waren sie ausgesetzt? Eine ähnliche Führung wie in Wien ließe sich auch in Konstanz organisieren, so die Einschätzung von Hydra, komplettiert mit einer Ausstellung zum Thema und einer Filmreihe rund um das Thema Prostitution.
Aber schon die Kontaktaufnahme mit den Konstanzer JubiläumsplanerInnen gestaltet sich äußerst schwierig. Mehrmals in den vergangenen Monaten versuchte Hydra, die Cheforganisatorin Ruth Bader telefonisch zu erreichen und ihr Programmvorschläge für 2016 zu unterbreiten. Jedes Mal versicherte man den Berlinerinnen, sie würden zurück gerufen. Doch passiert ist nichts. Darauf angesprochen, erklärte Ruth Bader bei der letzten Sitzung des Betriebsausschusses Konzil, sie hätte „bislang keine Zeit“ gehabt, wolle sich aber demnächst mit den Vertreterinnen von Hydra in Verbindung setzen. Diese sind Vorbehalte gegenüber ihrer Arbeit gewohnt: „Wir kennen das zur Genüge, welchen Angriffen man sich aussetzt bei Aktivitäten, die nur ganz entfernt nach einer Einstellung pro Prostitution riechen“.
Zu Zeiten des Konstanzer Konzils (1414-1418) waren teilweise bis zu 700 Huren in der Stadt, um auch den geistlichen Herren nach Feierabend die Zeit zu versüßen. Ungerechnet jene, die von den anreisenden Delegationen gleich mitgebracht wurden. Dazu schrieb seinerzeit Jan Hus: „Ich habe die Schwaben öfters sagen hören, dass ihre Stadt Konstanz in dreißig Jahren die Sünden nicht los wird, die während des Konzils in ihren Mauern verübt wurden …viele haben ausgespuckt, weil sie gar zu schändliche Sachen gesehen“.
Autor: H.Reile
Weitere Informationen über Hydra e.V. unter: http://www.hydra-berlin.de
Die Planer der „Konzilstadt Konstanz“ haben mir mittlerweile großes Interesse zugesagt, ergänzende und durchaus auch kritische Programmpunkte, die unsere „Humanistischen Alternative Bodensee“ vorgeschlagen hat, nach Möglichkeiten im Ablauf zu bedenken.
Ich hatte hier schon mehrfach eingeladen, eine Arbeitsgruppe zusammenzustellen, um ganz konkrete Veranstaltungen zu organisieren – ob nun zusammen mit den offiziellen Akteuren der „Konzilstadt“ oder davon losgelöst. Ein Alternativprogramm lohnt sich allemal – und die Aussicht, dies in die offiziellen Programmstrukturen integrieren zu können, liegen nicht schlecht.
Im Januar habe ich ein Gespräch dazu mit der Geschäftsführung der „Konzilstadt“ und vermutlich auch Wissenschaftlern der Universität, die offenbar eine differenzierte Programmergänzung unterstützen würden. Danach lässt sich mehr sagen. Bisher warte ich nur noch auf Mitstreiter, die anschließend mitplanen möchten, und freue mich, wenn es Rückmeldungen gibt: sprecher@humanisten-bodensee.de.
hallo florian riehmer,
es ist nichts dagegen einzuwenden, eine oder auch mehrere veranstaltungen mit hydra zu organisieren. ich bin da mit berlin im gespräch. dennoch finde ich immer noch: die organisatorInnen des geplanten langzeitspektakels hätten meiner meinung nach die pflicht, mit den 6 millionen euro (wohlgemerkt steuergelder) auch was vernünftiges anzufangen und nicht nur klerikale kreise zu bedienen. das habe ich immer wieder im betriebsausschuss konzil angemahnt, fand aber keine mitstreiter. dieser ausschuss – inklusive der grünen – nickt so ziemlich alles ab, was ihm vorgelegt wird. hydra wird nun ein letztes mal versuchen, mit den jubiläumsplanerInnen ins gespräch zu kommen. wenn das nichts wird, dann machen wir das eben selber und suchen uns geeignete partner. darüber wird zu reden sein.
beste grüße
holger reile
Ich gebe Pit und Thomas recht,
wir Konstanzer Bürger könnten doch eigenständig etwas auf die Beine zum Jubiläum stellen. Niemand hindert uns daran. Herr Reile, warum organisieren wir nicht gemeinsam etwas mit dem Hydra-Verein!
Wenn sie hier öffentlich Ja sagen, melde ich mich bei Ihnen
Herzlich Riehmer
Thomas Martens hat völlig recht. Man muss, man darf nicht alles der Stadt überlassen.
Die Reduktion vom konziliären Konstanz zur Hurenhauptstadt durch Lenk´s Imperia und einem Hydra – Event ist ebenso simpel gedacht und wird der Bedeutung des Jubiläums nicht gerecht.
Dann schon lieber eine schwimmende Lädine
Wenn es im Jahr 2016 nichts wird, dann wäre es ja vielleicht im Jahr der Kultur (2018) passend. Oswald von Wolkenstein, der Ritter und Minnesänger, dem dieses Jahr des Jubiläums gewidmet ist, hat ja mal so kommentiert:
„Wer sich so recht erleichtern und
rasieren lassen möchte, trocken,
der reise mal nach Konstanz/Rhein,
sofern sich diese Fahrt ergibt.
Dort hausen zarte junge Dämchen,
die gehen einem um den Bart –
ob man noch ein gutes Haar
an ihm lassen wird?
Ich verlustierte mich mit einer,
das nahm jedoch ein böses Ende –
sie lehrte mich, so nett zu lächeln,
als wenn man mich erschlagen wollte.
In meinem Bart vergaß sich ihre Hand,
sie riss dort lange Haare aus,
die sie wohl für Stricke hielt.
Ich zog dabei den Kürzeren..“
Die Frage ist, weshalb immer nur dem Betrieb Konzilstadt KN und seinen offiziellen Partnern überlassen wird, etwas zur Konzilsfeier zu organisieren. Weshalb versuchen nicht andere Organisationen selbst, quasi als Trittbrettfahrer im positiven Sinn, etwas zum Thema zu veranstalten? Das wäre doch die große Chance, etwa auch für die Linke (die es damals zwar so nicht gegeben hat, deren Themen aber durchaus etwas damit zu tun haben).
Dass die Hydra-Offensive einiges auf der Konstanzer Ehrentribüne durcheinander bringen könnte, war zu erwarten. Ich habe in meiner Studienzeit über die Richenthal-Chronik gearbeitet, weshalb ich das ganze Theater um die Imperia von Anfang an nie begriffen habe. Während des Konzils war Konstanz einmal wirklich der Nabel der Welt – mit allem, was dazu gehört! Generationen von Historikern haben sich generell zu lange nicht mit Sozialgeschichte beschäftigt und damit nicht aufgezeigt, wie das Leben damals wirklich war. „Adel und Herrschaft“ waren die beliebten Überschriften von Standardwerken. Singen hat unter Kulturamtsleiter Alfred G. Frei mit Gerd Zang und seinem Team zur 1200-Jahr-Feier 1987 die eigene Geschichte mit „Arbeiterleben in einer Randregion“ aufgearbeitet. Jetzt wissen alle im Hegau, warum man im Umland die Singener als „Zigüner“ bezeichnet.Konstanz tut sich weiterhin mit seiner katholischen Vergangenheit schwer. Wäre ich Konstanzer würde es mir schon sehr lange stinken, ständig auf die Ermordung von Jan Hus reduziert zu werden. Das Konzilsjubiläum wäre die letzte Chance für eine Kurskorrektur. Aber es ist halt wieder einmal nur der Konjunktiv.