Eine Stadt streitet um die Flüchtlinge
19 Flüchtlinge ziehen heute schon in den Atrium-Bau in der Konstanzer Luisenstraße ein. Der Protest einiger Anwohner, gestern im Ratssaal vorgetragen, konnte daran wenig ändern: Oberbürgermeister Burchardt mochte dem Argument der Protestierer, der Wert ihrer Eigentumswohnungen könnte des Flüchtlingszuzugs wegen gemindert werden, nicht recht folgen; er sehe nirgends Einbußen bei Konstanzer Immobilienpreisen. Und tatsächlich gibt es sehr unterschiedliche Meinungen zum Flüchtlingsproblem in Konstanz
Der Brief der erbosten Anwohner, den wir im Anschluss dokumentieren, konnte trotz zahlenstarker Präsenz der Protestierer im Ratssaal nicht überzeugen – zu durchsichtig war die egoistische Sichtweise der Eigentumswohnungsbesitzer. Der Protestbrief im Wortlaut:
Offener Brief Betroffener des Krankenhausquartiers an den Oberbürgermeister der Stadt Konstanz, Herrn Uli Burchardt.
Sehr geehrter Herr Burchardt,
hiermit möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir empört sind über ihre Informationspolitik, das Asylbewerberwohnheim in der Luisenstrasse betreffend. Im Wahlkampf und auch danach haben Sie uns mehr Transparenz bei Entscheidungen und vor allem Bürgerbeteiligung versprochen. Viele Konstanzer auch dieses Quartiers haben Sie auch aus diesem Grund gewählt.
Wir sind empört darüber, dass wir erst vergangenen Dienstag von der geplanten Nutzung des Atrium-Baus in der Luisenstrasse von Ihnen erfahren haben, obzwar schon vor längerer Zeit Bewegung und Arbeit am Lehrstellen Atrium-Bau zu beobachten war. Sie laden uns, gerade noch rechtzeitig (?) am Vorabend vor dem großen Titelseitenbericht auf der Konstanzer Seite des Südkuriers, zu einem Informationsabend ein.
Wir sind empört darüber, dass der Informationsabend um 17:00 h beginnt. Folglich werden viele Menschen noch bei der Arbeit sein und nicht dabei sein können. Wir sind empört darüber, dass der Termin im Rathaus stattfindet und nicht im Quartierszentrum. Ein unnötiges Hindernis teilzunehmen, vor allem für die älteren Quartiersbewohner. Wir fragen uns, will die Stadtverwaltung keine grosse Beteiligung?
Wir sind verwundert darüber, dass in dem Informationschreiben der Eindruck erweckt wird, als wäre es fest geplant das Gebäude nur für zwei Jahre für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen, aber der Südkurier weiss zu schreiben, dass das Landratsamt eine Verlängerung für vorstellbar hält. „Der Mietvertrag läuft zwei Jahre. Je nachdem, welche Zukunft die Spitalstiftung als Eigentümerin im Anschluss für das Atrium sieht, könne sich das Landratsamt auch eine Verlängerung vorstellen. Dies erklärt Ludwig Egenhofer von der Eingliederungs- und Aufnahmebehörde im Kreissozialamt auf Anfrage des SÜDKURIER.“
Wir sind empört darüber, dass wir in den Entscheidungsprozess nicht mit eingebunden waren quasi vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Obzwar der Südkurier folgendes zu berichten weiss: „Die Stadtverwaltung weiß jedoch um das sensible Thema, inmitten des Wohngebiets in Petershausen ein Heim für Asylbewerber zu schaffen.“ Wir können der Stadtverwaltung zumindest keine Sensibilität diese Thema betreffend unterstellen.
Wir sind empört darüber, aus der Zeitung folgendes erfahren zu müssen: „Bis zu 130 Asylbewerber sollen in das Gebäude ziehen – noch vor Weihnachten“
Wir befürchten, dass dieses Wohnheim hohes Potential hat sich zum sozialen Brennpunkt für unser ruhiges Wohnquartier zu entwickeln. Hier werden potentiel traumatisierte Menschen emonialer Ungewissheit, zur Untätigkeit verdammt zusammengepfercht. Das können wir nicht mit einem toleraten, lebenswerten Konstanz verbinden!
Wir sind empört darüber, dass Sie, Herr Burchardt, es offenbar nicht für notwendig erachten am Informationsabend dabei zu sein (siehe Einladung zum Informationsabend), um unsere Sorgen und Fragen aufzunehmen!
Wir befürchten, dass das Asylbewerberwohnheim zu einem Dauerzustand wird. Und in diesem Zusammenhang sind wir schockiert wie gedankenlos Sie mit unseren Ersparnissen umzugehen scheinen. Viele Menschen hier haben sich eine Wohnung erstanden, z.T. als zusätzliche Säule der Altersversorgung. Unsere Immobilien drohen durch die Präsenz eines Asylbewerberwohnheimes unverkäuflich zu werden. Bei aller heraufbeschworenen Toleranz, Realität ist, dass niemand einer Immobilie in unmittelbarer Umgebung eines Asylbewerberwohnheimes zum sonst üblichen Marktpreis kaufen wird. Oder hat die Stadt an einen Abfindungsfont gedacht?
Wir fordern Sie auf, die Entscheidung für das Asylbewerberwohnheim rückgängig zu machen, diese Menschen in menschenwürdiger Umgebung in Einzelwohnungen unterzubringen, die Spital Stiftung bei der Findung einer Lösung für das Atrium an der Luisenstraße im Sinne der am 01.09.2009 im Südkurier publizierten Ideen zu unterstützen. „… neue Wohnformen für ältere Menschen… das Haus für das Herzzentrum reservieren… ein Demenzprojekt ….“
Hochachtungsvoll
Die Unterzeichnenden (Anhang Unterschriftenlisten), Konstanz, den 14.Dez.2013
Dass es auch andere Auffassungen zum Flüchtlingsproblem gibt, dokumentieren wir mit dem Redebeitrag von Anke Schwede (LLK) auf der Kundgebung (s. Foto) vorgestern auf dem Konstanzer Obermarkt:
Stoppt Diskriminierung, stoppt Abschiebung
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Linke Liste Konstanz freut sich mit euch, dass viele Unterstützerinnen und Unterstützer der Flüchtlinge nicht mehr bereit sind, die Diskriminierung von Menschen hinzunehmen, die vor Verfolgung und Not aus ihrer Heimat flüchten mussten. Eine Diskriminierung, die in diesem Land viele Gesichter hat: Kasernierung, Arbeitsverbot, Abschiebung in unsichere Verhältnisse und eben die Verweigerung der Auszahlung von Leistungen als Bargeld. Zu all diesen Praktiken sagt die LLK, sagen wir, mit aller Entschiedenheit: nein! Ein Schritt hin zu einem menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen ist es, ihnen die knappen, lebensnotwendigen Mittel in Bargeld zu gewähren. Selbst die baden-württembergische Landesregierung will das inzwischen. Deshalb ist es umso unerträglicher, dass sich der zuständige Landrat Hämmerle trotzdem weiter das Recht herausnimmt, Flüchtlinge als Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Dieses Vorgehen verstößt klar gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der Verfassung. Es darf weder eine Ungleichbehandlung nach Geschlecht, noch nach Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, religiöser oder politischer Anschauung geben (Art. 3, Abs. 3). Das gilt auch für Konstanz!
Die LLK wird sich mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten dafür einsetzen, dass diese Praxis beendet wird. Am kommenden Donnerstag werden wir erneut einen Antrag in den Konstanzer Gemeinderat einbringen, in dem dieser aufgefordert wird sich dafür einzusetzen, dass die Flüchtlinge Sozialleistungen nicht mehr in Form von Gutscheinen, sondern in Bargeld ausgezahlt bekommen. Wir haben uns auch dafür eingesetzt, dass Herr Hämmerle in den GR eingeladen wird, um seine vorgestrige Politik zu begründen. Mal sehen, ob er kommt.
Liebe Freundinnen und Freunde: Es muss endlich Schluss sein mit der Behandlung von hilfebedürftigen Menschen als lästige Kostenfaktoren, als Menschen zweiter Klasse. Es muss vor allem auch Schluss sein mit der Abschottungs- und Abschreckungspolitik gegenüber den Menschen, die nur allzu häufig vor Verhältnissen flüchten, die deutsche Konzernherren und Politikerinnen und Politiker zu verantworten haben. Unser Respekt und unsere Unterstützung gehören den Betroffenen. Den Flüchtlingen, die sich gegen die ewiggestrige Politik der politisch Verantwortlichen (nicht nur im Konstanzer Landratsamt) wehren.
Stoppt Diskriminierung, stoppt Abschiebung, weg mit den Gutscheinen!
Autor: PM/hpk
Betreff: neues Flüchtlingsheim im Atrium
Anwohnersituation in der Luisenstraße am Beispiel der Luisenstraße 24 – hoffentlich besser als Lampedusa !
Nach dem ich die Unterschriftenliste mit 40 Adressen und Unterschriften der GegnerInnen des Atrium-Flüchtlingsheims gesehen habe, möchte ich euch kurz einen Eindruck zur Wohnsituation im angrenzenden Wohnhaus Luisenstr. 24 – direkt gegenüber – , in dem meine Familie und ich selbst seit dem Jahr 2000 wohnen, geben.
Meine Frau und ich erwarben damals als erste Einzeleigentümer eine Eigentumswohnung in der Luisenstraße 24, weil uns mit einem Kleinkind die alte Mietswohnung in der Bruderturmgasse 3 in der Innenstadt zu klein geworden war, außerdem wollten wir der Verkehrsbelastung an der Bodanstraße entkommen. Wir dachten damals, dass die Lage am Krankenhauspark optimal umgeben ist von öffentlichen Einrichtungen wie Kindergarten, Krankenhaus, Schulen, Rotes Kreuz und von privaten Einkaufsgeschäften.
In unserem Wohnhaus Baujahr 1952 gibt es 9 Wohneinheiten – zu den 8 alten Wohnungen mit 7 Drei-Zimmerwohnungen 70 qm und einer 4 Zimmerwohnung 90 qm, in der wir wohnen, kam 2004 eine ausgebaute Dachwohnung mit 140 qm hinzu. (Kurioses im Haus: Zu unserer Wohnung gehört ein Zimmer, das im Haus 22 liegt – mit Durchbruch und feuersicherer Verbindungstür.)
Bis 1999 gehörten die beiden Mietshäuser Luisenstr. 24 und 22 einem Besitzer. 1999 kauften die Gebrüder S. beide Häuser mit der Absicht, die Wohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln, was sie über die Jahre auch erreichten.
Aktuelle Wohnsituation:
Die Eigentumswohnungen werden sowohl von den Eigentümern selbst genutzt wie auch vermietet.
In den beiden Erdgeschoßwohnungen befinden sich studentische Wohngemeinschafen zu je 3 Personen mit jährlicher Fluktuation.
In den Obergeschossen wohnen Ehepaare und Familien mit Kindern.
Eine rein formale Betrachtung zu den 6 Unterschriften aus dem Haus Luisenstr. 24:
4 der Unterscheibenden sind Studierende, 2 ein Ehepaar.
Keiner der Immobilien-Eigentümer des Hauses gehört zu den Unterschreibenden !!
Keine der Familien mit Kindern hat unterschrieben !!
Im Haus wohnen 20 Erwachsene und 6 Kinder.
6 von 20 sind 30 Prozent der erwachsenen Mitbewohner.
4 von 6 sind 2 Drittel bzw. 66 Prozent der studierenden Mitbewohner.
2 von 14 sind 1 Siebtel bzw. 14 Prozent der dauerhaften Mitbewohner.
Mich wundert nur, dass ausgerechnet die Studierenden zu 66 Prozent mit ihrer Unterschrift gegen das neue Flüchtlingsheim auftreten.
Um es im Sprachstil der Unterschreibenden zu sagen – das ist schockierend.
Ich gehe davon aus, dass die große vernünftige Mehrheit in unserer Stadt das Beste für die Flüchtlinge will, tut und es nicht nur bei schönen Worten belässt.
Doch dürfen die Menschen, die für internationale Solidarität eintreten, nicht nachlassen dafür zu kämpfen. Der Aufruf der Linken Liste Konstanz findet in der ganzen Stadt und weit darüber hinaus eine breite Unterstützung.
Es geht um einen würdevollen Umgang mit Flüchtlingen hier und an den europäischen Grenzen – kein Mensch ist illegal.
Die Petition „stoppt-essensgutscheine-stoppt-Diskriminierung“ des Bündnis Abschiebestopp Konstanz haben innerhalb weniger Tage schon über 300 Menschen unterschrieben.
https://www.openpetition.de/petition/online/stoppt-essensgutscheine-stoppt-diskriminierung
Aktueller Skandal auf Lampedusa: Ankommende Flüchtlinge müssen sich komplett ausziehen und werden öffentlich wie Tiere desinfiziert. Giusi Nicolini Bürgermeisterin von Lampedusa: „Diese Bilder von der Aufnahmepraxis der Flüchtlinge machen den Eindruck eines Konzentrationslagers auf mich. Für dieses Modell eines Auffanglagers sollten sich Lampedusa und ganz Italien schämen. Das muss sich ändern.“
siehe dazu die immer noch bizarre Flüchtlingsaufnahme auf Lampedusa.
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/live/1822600/Das-ZDF-im-Livestream#/beitrag/video/2053746/heute-nacht-vom-17-Dezember-2013
Für rechtzeitige Information gegen Ängste und Vorurteile!
Als Nachbar der Unterkunft in der Hegaustraße konnte ich im Ratssaal besorgten Anwohnern der Luisenstraße mitteilen, dass die praktische Zusammenarbeit mit den Behörden bei unvermeidlichen Konflikten der viel engeren Situation in der Hegaustraße funktioniert, obwohl wir zu keinem Zeitpunkt offiziell über die Belegung informiert wurden. Meine diesbezügliche Kritik fand Gehör bei den Verantwortlichen, die ihre jetzige Informationsveranstaltung als Zeichen der Lernfähigkeit verstanden wissen wollten.
Wichtig war mir:
Wer immer sachliche Kritik zum Thema Asyl hat, soll diese mit den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung austragen. Es ist hingegen absolut inakzeptabel, Unmut an den Menschen abzuarbeiten, die durch die Entscheidungen der Verantwortlichen zu uns kommen! Diese Menschen sind unsere Nachbarn und verdienen so respektvoll behandelt zu werden, wie wir es von unseren Mitbürgern erwarten.
Friedliches Zusammenleben ist die Voraussetzung all unserer Ansprüche an Lebensqualität in Konstanz.