Eine Stadt streitet um die Flüchtlinge

Kundgebung auf dem Obermarkt - Foto: © Wolfram Mikuteit19 Flüchtlinge ziehen heute schon in den Atrium-Bau in der Konstanzer Luisenstraße ein. Der Protest einiger Anwohner, gestern im Ratssaal vorgetragen, konnte daran wenig ändern: Oberbürgermeister Burchardt mochte dem Argument der Protestierer, der Wert ihrer Eigentumswohnungen könnte des Flüchtlingszuzugs wegen gemindert werden, nicht recht folgen; er sehe nirgends Einbußen bei Konstanzer Immobilienpreisen. Und tatsächlich gibt es sehr unterschiedliche Meinungen zum Flüchtlingsproblem in Konstanz

Der Brief der erbosten Anwohner, den wir im Anschluss dokumentieren, konnte trotz zahlenstarker Präsenz der Protestierer im Ratssaal nicht überzeugen – zu durchsichtig war die egoistische Sichtweise der Eigentumswohnungsbesitzer. Der Protestbrief im Wortlaut:

Offener Brief Betroffener des Krankenhausquartiers an den Oberbürgermeister der Stadt Konstanz, Herrn Uli Burchardt.

Sehr geehrter Herr Burchardt,

hiermit möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir empört sind über ihre Informationspolitik, das Asylbewerberwohnheim in der Luisenstrasse betreffend. Im Wahlkampf und auch danach haben Sie uns mehr Transparenz bei Entscheidungen und vor allem Bürgerbeteiligung versprochen. Viele Konstanzer auch dieses Quartiers haben Sie auch aus diesem Grund gewählt.

Wir sind empört darüber, dass wir erst vergangenen Dienstag von der geplanten Nutzung des Atrium-Baus in der Luisenstrasse von Ihnen erfahren haben, obzwar schon vor längerer Zeit Bewegung und Arbeit am Lehrstellen Atrium-Bau zu beobachten war. Sie laden uns, gerade noch rechtzeitig (?) am Vorabend vor dem großen Titelseitenbericht auf der Konstanzer Seite des Südkuriers, zu einem Informationsabend ein.

Wir sind empört darüber, dass der Informationsabend um 17:00 h beginnt. Folglich werden viele Menschen noch bei der Arbeit sein und nicht dabei sein können. Wir sind empört darüber, dass der Termin im Rathaus stattfindet und nicht im Quartierszentrum. Ein unnötiges Hindernis teilzunehmen, vor allem für die älteren Quartiersbewohner. Wir fragen uns, will die Stadtverwaltung keine grosse Beteiligung?

Wir sind verwundert darüber, dass in dem Informationschreiben der Eindruck erweckt wird, als wäre es fest geplant das Gebäude nur für zwei Jahre für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen, aber der Südkurier weiss zu schreiben, dass das Landratsamt eine Verlängerung für vorstellbar hält. „Der Mietvertrag läuft zwei Jahre. Je nachdem, welche Zukunft die Spitalstiftung als Eigentümerin im Anschluss für das Atrium sieht, könne sich das Landratsamt auch eine Verlängerung vorstellen. Dies erklärt Ludwig Egenhofer von der Eingliederungs- und Aufnahmebehörde im Kreissozialamt auf Anfrage des SÜDKURIER.

Wir sind empört darüber, dass wir in den Entscheidungsprozess nicht mit eingebunden waren quasi vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Obzwar der Südkurier folgendes zu berichten weiss: „Die Stadtverwaltung weiß jedoch um das sensible Thema, inmitten des Wohngebiets in Petershausen ein Heim für Asylbewerber zu schaffen.“ Wir können der Stadtverwaltung zumindest keine Sensibilität diese Thema betreffend unterstellen.

Wir sind empört darüber, aus der Zeitung folgendes erfahren zu müssen: „Bis zu 130 Asylbewerber sollen in das Gebäude ziehen – noch vor Weihnachten

Wir befürchten, dass dieses Wohnheim hohes Potential hat sich zum sozialen Brennpunkt für unser ruhiges Wohnquartier zu entwickeln. Hier werden potentiel traumatisierte Menschen emonialer Ungewissheit, zur Untätigkeit verdammt zusammengepfercht. Das können wir nicht mit einem toleraten, lebenswerten Konstanz verbinden!

Wir sind empört darüber, dass Sie, Herr Burchardt, es offenbar nicht für notwendig erachten am Informationsabend dabei zu sein (siehe Einladung zum Informationsabend), um unsere Sorgen und Fragen aufzunehmen!

Wir befürchten, dass das Asylbewerberwohnheim zu einem Dauerzustand wird. Und in diesem Zusammenhang sind wir schockiert wie gedankenlos Sie mit unseren Ersparnissen umzugehen scheinen. Viele Menschen hier haben sich eine Wohnung erstanden, z.T. als zusätzliche Säule der Altersversorgung. Unsere Immobilien drohen durch die Präsenz eines Asylbewerberwohnheimes unverkäuflich zu werden. Bei aller heraufbeschworenen Toleranz, Realität ist, dass niemand einer Immobilie in unmittelbarer Umgebung eines Asylbewerberwohnheimes zum sonst üblichen Marktpreis kaufen wird. Oder hat die Stadt an einen Abfindungsfont gedacht?

Wir fordern Sie auf, die Entscheidung für das Asylbewerberwohnheim rückgängig zu machen, diese Menschen in menschenwürdiger Umgebung in Einzelwohnungen unterzubringen, die Spital Stiftung bei der Findung einer Lösung für das Atrium an der Luisenstraße im Sinne der am 01.09.2009 im Südkurier publizierten Ideen zu unterstützen. „… neue Wohnformen für ältere Menschen… das Haus für das Herzzentrum reservieren… ein Demenzprojekt ….“ 

Hochachtungsvoll

Die Unterzeichnenden (Anhang Unterschriftenlisten), Konstanz, den 14.Dez.2013

Dass es auch andere Auffassungen zum Flüchtlingsproblem gibt, dokumentieren wir mit dem Redebeitrag von Anke Schwede (LLK) auf der Kundgebung (s. Foto) vorgestern auf dem Konstanzer Obermarkt:

Stoppt Diskriminierung, stoppt Abschiebung

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Linke Liste Konstanz freut sich mit euch, dass viele Unterstützerinnen und Unterstützer der Flüchtlinge nicht mehr bereit sind, die Diskriminierung von Menschen hinzunehmen, die vor Verfolgung und Not aus ihrer Heimat flüchten mussten. Eine Diskriminierung, die in diesem Land viele Gesichter hat: Kasernierung, Arbeitsverbot, Abschiebung in unsichere Verhältnisse und eben die Verweigerung der Auszahlung von Leistungen als Bargeld. Zu all diesen Praktiken sagt die LLK, sagen wir, mit aller Entschiedenheit: nein! Ein Schritt hin zu einem menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen ist es, ihnen die knappen, lebensnotwendigen Mittel in Bargeld zu gewähren. Selbst die baden-württembergische Landesregierung will das inzwischen. Deshalb ist es umso unerträglicher, dass sich der zuständige Landrat Hämmerle trotzdem weiter das Recht herausnimmt, Flüchtlinge als Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Dieses Vorgehen verstößt klar gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der Verfassung. Es darf weder eine Ungleichbehandlung nach Geschlecht, noch nach Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, religiöser oder politischer Anschauung geben (Art. 3, Abs. 3). Das gilt auch für Konstanz!

Die LLK wird sich mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten dafür einsetzen, dass diese Praxis beendet wird. Am kommenden Donnerstag werden wir erneut einen Antrag in den Konstanzer Gemeinderat einbringen, in dem dieser aufgefordert wird sich dafür einzusetzen, dass die Flüchtlinge Sozialleistungen nicht mehr in Form von Gutscheinen, sondern in Bargeld ausgezahlt bekommen. Wir haben uns auch dafür eingesetzt, dass Herr Hämmerle in den GR eingeladen wird, um seine vorgestrige Politik zu begründen. Mal sehen, ob er kommt.

Liebe Freundinnen und Freunde: Es muss endlich Schluss sein mit der Behandlung von hilfebedürftigen Menschen als lästige Kostenfaktoren, als Menschen zweiter Klasse. Es muss vor allem auch Schluss sein mit der Abschottungs- und Abschreckungspolitik gegenüber den Menschen, die nur allzu häufig vor Verhältnissen flüchten, die deutsche Konzernherren und Politikerinnen und Politiker zu verantworten haben. Unser Respekt und unsere Unterstützung gehören den Betroffenen. Den Flüchtlingen, die sich gegen die ewiggestrige Politik der politisch Verantwortlichen (nicht nur im Konstanzer Landratsamt) wehren.

Stoppt Diskriminierung, stoppt Abschiebung, weg mit den Gutscheinen!

Autor: PM/hpk