Blick nach Italien: Proteste, die uns nicht interessieren sollen

Mussolini-Wandbild in Montà, Piemont. Aufnahme 2012. - Foto: © Wolfram MikuteitWährend seit Wochen keine Nachrichtensendung ohne ausführliche Berichterstattung über die prowestliche Protestbewegung in der ukrainischen Hauptstadt Kiew daherkommt, herrscht mediales Stillschweigen darüber, was sich seit dem 9. Dezember 2013 auf den Straßen und Plätzen Italiens abspielt: Szenen, die an den Aufstieg des Nationalsozialismus erinnern, passen nicht ins Bild

„Tutti a casa (Pound?)”

Auch über Weihnachten und Sylvester hinaus wollen die „Forconi“ und all jene, die sich mittlerweile rund um die „Mistgabelbewegung“ tummeln, auf die Straße gehen. Ihr Ziel: Italien lahmlegen und damit die ihrer Ansicht nach nicht legitimierte Regierung Letta und die gesamte parasitäre politische Kaste nach Hause schicken. „Tutti a casa!“

Längst sind aus der – im vorigen Jahr in Sizilien von Kleinbauern und Transportunternehmern im Kampf um niedrigere Benzinpreise, Mautgebühren und Versicherungskosten entstandenen – Forconi(Mistgabel)-Bewegung andere Gruppen hervorgegangen, die mit undifferenzierten Angriffen auf „die Politik“ schlechthin auf die Straße gehen, Bahnlinien und Grenzübergänge blockieren. Mit Forderungen nach niedrigeren Steuern und Abgaben, gegen die Kürzungen von Sozialleistungen und Renten und ganz generell für bessere Lebensbedingungen finden sie Gehör bei vielen, die aufgrund der praktizierten Austeritätspolitik keine Möglichkeit mehr sehen, ihren Lebensstandard aufrecht zu erhalten.

Wahlplakat für die CasaPound in Rom - Foto: © Wolfram Mikuteit Diese massiven, sehr heterogen motivierten Proteste in Italien – über die in den deutschen Medien fast nichts zu finden ist – bieten beste Agitationsmöglichkeiten für Neofaschisten von CasaPound und Forza Nuova, die auf keiner der Massenveranstaltungen fehlen. In Rom haben Mitglieder von CasaPound um ihren Vizechef Simone Di Stefano vor einigen Tagen in einem „blitz pacificio“ („gewaltlosen Blitzangriff“) die EU-Fahne von der ständigen Vertretung der EU entfernt und EU-Insignien am Eingang mit der italienischen Trikolore überklebt. Die Erklärung für die Aktion lieferte Di Stefano am 17. Dezember in einem Interview: „Während des Faschismus ging es uns besser als in der Europäischen Union.“

CasaPound Italia CPI
Die Anfänge der sich offen als faschistisch bezeichnenden Bewegung CasaPound gehen auf den Dezember 2003 zurück, als sich Aktivisten verschiedenster rechtsradikaler Gruppierungen entschlossen, gemeinsam ein leerstehendes Mietshaus nahe des römischen Hauptbahnhofs zu besetzen und daraus ein „Kulturzentrum“ machten. Das Haus wurde – nach dem amerikanischen Dichter Ezra Pound, der für Mussolinis Italien als dem „freiesten Staat des Abendlands“ warb – „Casa Pound“ benannt. Einer ihrer Anführer damals war Gianluca Iannone, aufgewachsen in der Jugendorganisation des faschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) und Sänger der Rechtsrockband ZetaZeroAlfa, Haus- und Hofband des CPI. Iannone ist heute Präsident von CasaPound Italia, wie sich die Bewegung seit 2008 nennt.

Büro der CasaPound in Cuneo - Foto: © Wolfram Mikuteit Die Mitglieder der CPI bezeichnen sich selbst als „Faschisten des 3. Jahrtausends“ (i fascisti del terzo millennio), propagieren aggressiv einen 3. Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Eine soziale Bewegung von rechts, die sich squadristischer Methoden ebenso bedient wie faschistischer Rhetorik und deren offizielles Motto „Torna a credere, ricomincia a lottare“ (Kehre um zum Glauben und beginne den Kampf neu) an die Ära Mussolini anknüpft, deren Leitspruch „credere, obbedire, combattere“ (glauben, gehorchen, kämpfen) war. Propagandistisch geschickt werden Wohnungsnot und Armut den Immigranten („Basta immigrazione!“) und einer an den Interessen der EU und der Banken ausgerichteten Politik zur Last gelegt. CPI unterhält Armenküchen, bietet Hilfe nach Naturkatastrophen wie den Erdbeben in den Abruzzen und verteilt über die eigene Zivilschutzorganisation „La Salamandra“ Wolldecken an Obdachlose.

CasaPound Italia verfügt mittlerweile über mehr als 50 Standorte in Italien und mit dem „Blocco Studentesco“ über eine eigene Schüler- und Studentenorganisation, die in 40 Städten vertreten ist. In diesem Jahr nahm CPI mit einer eigenen Liste an den Parlamentswahlen teil: Ihr Spitzenkandidat Simone Di Stefano erlangte im Abgeordnetenhaus (Camera) 47.691 Stimmen (0,14 %), im Senat 40.540 Stimmen (0,13 %); danach kandidierte Di Stefano auch für das Amt des römischen Bürgermeisters.

Da kann es nicht verwundern, dass auf der Homepage der NPD-Jugendorganisation geschwärmt wird: „Was in diesen Tagen südlich der Alpen beginnt, kann zu etwas Großem werden. Etwas Großes, das dem völkerzersetzenden EU-Moloch einen wichtigen Sargnagel verpassen kann. Es ist der Geist der Revolution, der durch Italiens Straßen streift.“

„Ein Szenario, das an das Deutschland der 30er-Jahre erinnert“

Marco Revelli 2012 in Chiot Rosa, Provinz Cuneo - Foto: © Sabine Bade Professor Marco Revelli von der Università degli Studi del Piemonte Orientale, der Ende der 1960er-Jahre zu den Studierenden gehörte, die die Streiks bei FIAT in Turin unterstützten und sich im Rahmen seiner Forschungen seit Jahrzehnten mit den Auswirkungen von Globalisierung und Neoliberalismus auseinandersetzt, hat ein Interview mit dem Journalisten Luca De Carolis vor einigen Tagen mit den Worten eingeleitet, die augenblickliche Situation in Italien erinnere ihn an das Deutschland der 1930er-Jahre, an den Aufstieg des Nationalsozialismus.

„Die Parteien wissen nicht mehr mit den Menschen, denen es schlecht geht, zu kommunizieren. Sie verstehen die Bürger nicht mehr. Das ist größtenteils ein Fehler der Linken, die seit einiger Zeit aus der Öffentlichkeit verschwunden sind; aber die ganze Politik ist in einer starken Krise“, so Revelli. „Die italienische Regierung sollte endlich zur Kenntnis nehmen, dass es 9,5 Millionen Italiener gibt, die sich in einem Zustand der relativen Armut befinden, und gerade dieses Problem sollten Parteien an die Spitze ihrer Agenda setzen, zusammen mit der weit verbreiteten Überschuldung.“

Beschämend seien Aussagen von Gewerkschaftsvertretern wie Susanna Camusso, der Generalsekretärin der CGIL (Nationaler Gewerkschaftsbund Italiens), die erklärte: “Es ist nicht klar, was die Demonstranten auf den Plätzen wollen“.

Revellis Fazit: Nur die extreme Rechte sei darauf vorbereitet, mit jenen zu sprechen, die momentan auf die Straße gehen.

... und ewig grüßt der Duce, hier in Rom vom Pferd. Aufnahme 2012. - Foto: © Wolfram Mikuteit

Aber damit wollen die deutschen Medien uns nicht beunruhigen. „Meldungen über solche Entwicklungen in unserem Nachbarland stören natürlich den Sonntagsfrieden der deutschen Medien und der deutschen Politik, weil sie zeigen würden, dass das schöne Bild von Europa, wo aufgrund der guten deutschen Politik alles in die richtige Richtung geht, eine glatte Lüge ist“, schrieb Heiner Flassbeck, unter Oskar Lafontaine Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und danach Chefvolkswirt der Handelsabteilung der Vereinten Nationen in Genf, dazu kürzlich.

Autorin: Sabine Bade

Links:

Marco Revelli: Wie im Deutschland der 30er-Jahre

Heiner Flassbeck: Deutsche Medien wollen die Bürger mit den italienischen Protesten nicht beunruhigen