Herosé, Stromeyer, Strellson und Co.

Ostschweizer kaufen Konstanz leer, Süddeutsche arbeiten in der Schweiz – die aktuellen Pendlerphänomene sind nicht neu. Konstanz und Kreuzlingen sind seit 200 Jahren enger wirtschaftlich verzahnt als manche wahrhaben möchten. Ein Blick auf die gemeinsame Industriegeschichte an der Grenze zeigt diese enge Verflechtung seit dem späten 19. Jahrhundert: In diesem Text und ausführlicher in einem Vortrag morgen im Rosgartenmuseum Konstanz

Damals, im späten 19. Jahrhundert, fasste vor allem in Konstanz die Textilindustrie Fuß. Dies dank früher Zollprivilegien, die Konstanz wegen seiner peripheren Lage aushandeln konnte. Und Konstanz machte das, was man heute Standortförderung nennt. Das funktionierte. Im 19. Jahrhundert zogen über 1000 Schweizer in die Stadt. Darunter die Gebrüder Herosé. Sie kamen 1812 aus Aarau und übernahmen in Konstanz eine Textildruckerei. Herosé baute sein Unternehmen immer weiter aus – bis 1997. Dann musste das Unternehmen schließen. Heute steht auf dem ehemaligen Betriebsgelände am Rhein eine Wohnanlage, die Hofgärten.

Ein zweiter großer Konstanzer Textilbetrieb war Stromeyer. Ludwig Stromeyer wuchs in Konstanz auf, startete seine erste Berufskarriere aber in Romanshorn. Er erfand eine Imprägnierung für Planen, in der Schweiz als Blachen bezeichnet. Später baute er große Hallen und Zirkuszelte. 1885 kaufte Stromeyer in Konstanz jenes Gelände am Rhein, das bis heute Stromeyersdorf  heißt. Parallel zu Konstanz produzierte das Unternehmen auch in Kreuzlingen – im heute noch bestehenden Fabrikgebäude gegenüber des Kreuzlinger Hafen-Bahnhofs.

«Herosé, Stromeyer, Strellson und Co.»: So  der Titel eines Referats über die Industriegeschichte und die Industriebauten von Konstanz und Kreuzlingen, das Mittwoch (15.1.14) im Rosgartenmuseum Konstanz zu hören ist. Beginn 19 Uhr. Ein Überblick mit Bildern des Journalisten René Hornung.

Ein anderer Schweizer, der in Konstanz groß wurde, war der 1869 aus Zofingen zugewanderte Friederich Straehl. Er stellte Hemdenstoffe und Hosen her. 1907 gründete er den Zweigbetrieb in Kreuzlingen, aus dem die heutige Bekleidungsmarke Strellson hervorging (s. Foto mit Boxweltmeister Klitschko als Werbeträger).

Thurgauer Bauern belieferten den Konstanzer Markt

Zwischen 1870 und 1914 boomte die Industrie sowohl in Konstanz wie in Kreuzlingen. Große Schweizer Unternehmen hatten in Konstanz Zweigbetriebe, darunter Rieter, die Seidenwebereien Schwarzenbach und der Textilausrüster Heberlein. Dank stabiler Währungsverhältnisse funktionierte der Handel reibungslos. Die Grenze spielt kaum eine Rolle. Im Alltag belieferten Thurgauer Bauern den Konstanzer Markt, während die Thurgauer Bevölkerung in der Stadt Konstanz einkaufte.

Die Wurzeln im grenzüberschreitenden Geschäft hat auch das Kreuzlinger Kosmetik-Unternehmen Rausch. Joseph Wilhem Rausch begann in den 1880er-Jahren in Konstanz als Friseur eigene kosmetische Artikel herzustellen und wurde mit seinem Haarwasser bekannt. Er zog schon vor dem 1. Weltkrieg nach Kreuzlingen und überließ die Produktion in Konstanz seinem Sohn. Das Kreuzlinger Geschäft übernahm später die Familie Baumann, die es bis unter dem Namen Rausch heute führt. Ein weiteres Beispiel: Aus der Konstanzer Stahlhandlung Gebrüder Spiegel wurde das heute in Kreuzlingen bestehende Unternehmen, das die Spenglerei- und Lüftungsbranche mit Maschinen beliefert.

Schon immer spielten ausländische Arbeitskräfte und die Grenzgängerei eine wichtige Rolle. 1910 betrug der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung in Kreuzlingen mehr als 57 Prozent. In den besten Jahren vor dem 1. Weltkrieg arbeiten mindestens 1 500 Konstanzerinnen in Kreuzlingen.

Vor genau 100 Jahren kam der Einbruch mit dem 1. Weltkrieg

Vor fast genau hundert Jahren kam der Boom zu einem abrupten Ende: Am 1. August 1914, beim Ausbruch des 1. Weltkriegs, wurde die Grenze von einer Stunde auf die nächste geschlossen. Nach vier Jahren Krieg waren Deutschland und auch Konstanz ruiniert, und danach fraß die Inflation die Vermögen auf. In diesen Jahren gingen die Schweizer in Konstanz auf Schnäppchenjagd und kauften die Konstanzer Geschäfte buchstäblich leer. 1921 wurde der Warenverkehr mit der Schweiz im Prinzip verboten – im Alltag bleiben die Beziehungen aber eng.

Die Blüte der „goldenen Zwanzigerjahre“ dauerte nur kurz, von 1924 bis 1929. In jenen Jahren war die Grenze wieder weitgehend ungehindert passierbar. Doch danach kam die Krise der 1930er-Jahre, und es dauerte bis in die 1950er-Jahre, bis sich die engen wirtschaftlichen Verflechtungen wieder stabilisierten.

Autor: René Hornung, Pressebüro St.Gallen