Die große Siegerin der Fußball-WM ist – die Fifa

Kaum war das WM-Turnier vorbei, kamen Fakten auf den Tisch, die für Ernüchterung sorgten und die im Vorfeld geäußerten Bedenken untermauerten. Große Versprechungen, falsche Schätzungen und wachsende soziale Ungerechtigkeit. So die Bilanz des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks in seinem Bericht über die Folgen der Fußball-Weltmeisterschaft 2010

Als der Weltfußballverband Fifa vergangenes Wochenende die Fairplay-Tage ausgerufen hatte, sprach er damit vor allem Spieler und ZuschauerInnen auf den Rängen an. Die Kapitäne beider Mannschaften verlasen vor dem Spiel eine Erklärung und „gelobten“ im Namen ihrer Mannschaften, fair zu spielen. So stand es im von der Fifa vorgegebenen Text.

Die Fairplay-Tage sind ein Aufruf der Fifa an die «Familienmitglieder», ihre Vorbildfunktion wahrzunehmen – einer der vielen PR-Gags, die zeigen sollen, wie sehr sich die ExponentInnen des Weltfußballs ihrer Verantwortung bewusst sind. Dass die Fairplay-Tage, die 2004 ins Leben gerufen wurden, sich an den Uno-Weltfriedenstag anlehnen, sagt weniger über ihre tatsächliche Bedeutung aus als über die Vorstellung, die Präsident Joseph Blatter von seinem Fußballimperium hat.

Faires Spiel auf dem Platz, Blutgrätschen außerhalb des Stadions – die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika hat mehr als genug Beispiele dafür geliefert, dass die Fifa nur wenig von dem einhält, was sie von anderen erwartet: Die Bauarbeiter, die zehn Stadien für die WM neu bauten oder umbauten, arbeiteten unter höchst prekären Bedingungen, derweil die großen Baufirmen des Landes ihre Gewinne vervielfachten. Dafür wurden während der WM Schnellgerichte eingeführt, die zum Beispiel dafür genutzt wurden, Guerillamarketing in den Stadien zu unterbinden. Eine strikte Marketingpolitik bescherte den wenigen Fifa-Partnern exklusive Profite und verhinderte weitgehend, dass auch kleine HändlerInnen vom Mega-Event profitieren konnten.

Die große Siegerin der WM ist – einmal mehr – die Fifa. Offizielle Gewinn- und Umsatzzahlen vom Zürichberg, wo der Verband seinen Sitz hat, gibt es zwar noch nicht. Man rechnet aber damit, dass der Weltfußballverband von seiner einmonatigen Reise ans Kap der Guten Hoffnung rund drei Milliarden Franken mit nach Zürich bringt.

Und was bleibt für Südafrika? Das Land hatte sich ebenfalls einiges von der WM versprochen. In einer Umfrage gaben 2007 die Hälfte der SüdafrikanerInnen an, dass sie sich von der WM vor allem zwei Dinge erhofften: wirtschaftliches Wachstum und mehr Jobs. Ein Drittel der Befragten glaubte, dass sie persönlich von der WM profitieren würden, und fünfzig Prozent dachten, dass der wirtschaftliche Nutzen anhaltend sein würde.

Verdunsteter Effekt

Das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH) hat vor und während der WM eng mit südafrikanischen Gewerkschaften und Hilfsorganisationen zusammengearbeitet und eine Untersuchung zur WM und ihrer Folgen in Auftrag gegeben. Der vorläufige Bericht zeichnet ein vernichtendes Bild. Das viel beschworene Erbe der WM, so der Autor des Berichts, sei ein Mythos: «Der sogenannte wirtschaftliche Trickle-down-Effekt verdunstete, noch ehe die ersten Tropfen gelandet waren.»

Da ist beispielsweise das Missverhältnis zwischen Kosten und Einnahmen für den südafrikanischen Staat. Die Beratungsfirma Grant Thornton schätzte 2003, dass die WM – bei minimalen Kosten – einen bedeutenden direkten und indirekten Nutzen bringen würde. Die „minimalen“ Kosten für den Staat budgetierte die Beratungsfirma vor sieben Jahren auf rund 300 Millionen Franken (2,3 Milliarden südafrikanische Rand). 2007 musste diese Zahl auf 2,4 Milliarden Franken und 2010 gar auf 4,1 Milliarden Franken korrigiert werden. Hinzu kamen weitere 1,2 Milliarden Franken, für die Städte und Provinzen aufkommen mussten. Von 300 Millionen auf 5,3 Milliarden Franken – das ist siebzehnmal mehr als ursprünglich gedacht.

Immerhin schätzte man auch die Einnahmen zu tief. Rechnete Grant Thornton 2003 noch mit knapp einer Milliarde Franken an Steuereinnahmen, so werden sie am Ende wohl etwa 2,5 Milliarden Franken betragen. Aber selbst dann wird die WM für den südafrikanischen Staat ein Verlustgeschäft. So ließen die südafrikanischen Steuerbehörden kürzlich verlauten, dass man die WM nicht als bedeutende Einnahmequelle sehen könne: «Die Konzessionen, die wir der Fifa machen mussten, waren schlicht zu hoch, als dass wir einen großen finanziellen Nutzen aus der WM ziehen könnten.»

Der vom SAH in Auftrag gegebene Bericht kritisiert weiter die sozioökonomischen Folgen der WM. «Die Einnahmen sind ungleich verteilt», sagt Joachim Merz vom SAH. Dank Streiks hätten die Bauarbeiter zwar vor der WM eine Lohnerhöhung von durchschnittlich 300 Rand (rund 40 Franken) erzielen können. Die Löhne bewegten sich aber auch dann noch auf dem Niveau der Armutsgrenze von knapp 3000 Rand (400 Franken) monatlich. Gleichzeitig profitierten die fünf größten Baufirmen in Südafrika massiv von den zahlreichen Aufträgen für die Weltmeisterschaft. Von 100 Millionen Franken im Jahr 2004 erhöhte sich ihr jährlicher Gewinn laut Bericht zwischenzeitlich auf 1,5 Milliarden Franken und stabilisierte sich seither bei etwa einer Milliarde. «Diese Ungleichverteilung hat die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter vergrößert», so Merz.

Jobverlust im großen Stil

Seit letztem Sommer sind in Südafrika 627?000 Jobs verloren gegangen, fast ebenso viele, wie man sich von der WM als Zuwachs versprochen hatte. Viele versuchen deshalb, im informellen Sektor Geld zu verdienen. Der Bericht geht davon aus, dass rund ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung so seinen Unterhalt sichert, etwa als StraßenhändlerInnen, die in den Zentren von Durban, Kapstadt oder Johannesburg ihre Ware feilbieten. Gerade sie hatten sich von der Weltmeisterschaft ein zusätzliches Einkommen erhofft. Stattdessen wurden sie aus den Stadien und aus deren Umgebung vertrieben.

Die Fifa verkauft die Marketingrechte für teures Geld an ausgewählte Partner – 1,2 Milliarden Franken soll sie 2010 dafür eingestrichen haben. Und diese Rechte wollen geschützt sein. In Durban beispielsweise wurde ein Morgenmarkt geschlossen, der seit 100 Jahren rund 10000 StraßenhändlerInnen ein Einkommen bietet. In Kapstadt wurden 300 HändlerInnen vertrieben, um dem Fifa-Fanfest Platz zu machen. «Hinzu kommen die Vertreibungen von Obdachlosen und Slumbewohnern aus den Zentren», sagt Joachim Merz. «Die Uno spricht von 20000 Menschen, die an die Stadtränder in Blechhüttensiedlungen verfrachtet wurden.»

Die Fifa feierte die Fairplay-Tage – und damit vor allem sich selbst. Die Profifussballer betraten mit Fairplay-Fahnen in der Hand die Stadien und schüttelten sich gegenseitig die Hände. Und dann verlasen sie den von der Fifa vorgegebenen Text: «Wir verpflichten uns, jetzt und in Zukunft, auf wie neben dem Platz Fairness und Solidarität vorzuleben.»

Autor: Carlos Hanimann/WOZ