Wir sind mittendrin in der 4. industriellen Revolution
Diese Gesellschaft starrt auf Dschungelcamp, Rentenreform, Einsatz in Mali oder Straßenmaut. Solche Themen sind Peanuts, verglichen mit den technischen Innovationen, die uns bereits bedrängen und bald überrollen können. Es geht um die Technik der Digitalisierung und dabei nicht nur um den Überwachungswahn, den das Internet wahr werden lässt. Es geht um Big Data
Seit Jahren wird in den Forschungs- und Entwicklungszentren der großen Konzerne am Internet der Dinge, an der Industrie 4.0 gearbeitet: Mit dem großflächigen Einsatz von Elektronik und IT in Industrieproduktion und Logistik wird die vierte industrielle Revolution vorbereitet. Die Broschüren sind bunt, die Münder verkünden Verheißungen: Der Mensch werde in seiner komplexer werdenden Arbeit unterstützt. Maschinen steuern Maschinen, Autos steuern sich, sogar im Gesundheits- und Pflegebereich arbeiten bald Roboter. Die totale Vernetzung.
Vor etwa 30 Jahren gehörte dieses sperrige Wort noch zum Alltag öffentlicher Debatten: Technikfolgenabschätzung – es war selbstverständlich, die in der Entwicklung sich befindlichen Innovationen wissenschaftlich auf ihre potenziellen gesellschaftlichen Folgen zu untersuchen und die Befunde der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Heute zählt es zum untergegangenen, vergessenen Vokabular.
Geld und Macht entscheidet über die Technik
Der weißrussische Wissenschaftler Evgeny Morozov, der sich bereits seit Jahren mit dem Einfluss des Internet auf Gesellschaften beschäftigt, argumentierte jüngst im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: Jede Technik werde nach den Interessen derjenigen eingesetzt, die das Geld und die Macht haben. Er nennt als Beispiel ein neues System zur biometrischen Identifizierung: Wer an dessen `guten Einsatz`glaube, der verdränge das öffentliche Wissen um den Expansionsdrang des Sicherheitsstaates und die Logik des Datensammelns der biometrischen Industrie. Morozov plädiert deshalb für öffentlich zu verhandelnde, voraussagende Bewertungen, „ob eine bestimmte Technologie sich in den Rahmen des Emanzipations- oder in den des Versklavungsprojektes einfügt“.
Ich füge an: Eine technische Innovation wird nicht nur nach den aktuellen Interessen der jeweils treibenden wirtschaftlich und politisch Mächtigen eingesetzt, es werden wohl nur die Techniken das Licht der Öffentlichkeit überhaupt erblicken, die diesen Interessen entsprechen. Wo wird denn das technische Neue entwickelt? In den Forschungszentren der weltweit agierenden Groß-Konzerne, inzwischen gigantische Anballungen von teilweise untereinander verflochtenem privatem Produktivkapital, und in den zunehmend von den Drittmitteln der Wirtschaft abhängigen privaten und öffentlichen Universitäten. Das sind die Treiber, die entscheiden, was erfunden und für welche Zwecke es zugerichtet wird.
Wer verantwortet den Unfall eines vollautomatisierten Autos?
Der Wissenschafts- und Technikforscher Bruno Latour beschäftigte sich intensiv mit dem Zusammenspiel von Menschen und den von Menschen hergestellten Dingen. Eines seiner Beispiele: Ein Mann tötet einen anderen mit einer Waffe. Wer hat getötet: die Waffe oder der Mann? Sein Hinweis: Jedes Ding habe seinen Aufforderungscharakter, sein Skript. Wer verantwortet den Unfall eines vollautomatisierten Autos? Oder: Vielfach belegt ist, wie allein die banale Einführung von smart-phones Arbeit und Kommunikation in Organisationen und im privaten Bereich grundlegend und mit tiefgehenden Folgen geändert hat.
Also: Technik hat viel zu sagen. Und sie wird zudem gerne missbraucht, um die Zukunft – leider, leider, heißt es dann – als mit Sachzwängen alternativlos zugemauert zu skizzieren.
Wie heils- oder schadensbringend dieser nahende technische Tsunami sein wird, kann ich nicht beurteilen. Es wäre jedoch haarsträubend fahrlässig, würden Politik, Medien und die weitere Öffentlichkeit nicht eine systematische Technik-Kritik zu einem ihrer ganz großen Themen machen. Wer aus dieser Sicht auf die Politik schaut, erkennt auch, wie entpolitisierend sich Politik und Medien immer noch organisieren: Innenpolitik, Außenpolitik, Landwirtschafts-Politik, Familienpolitik …, nach diesen Kapiteln einer überkommenen Welt organisieren nicht nur Regierungen, sondern auch Opposition und Medien ihre Arbeit. Tja, da fällt halt durch den Rost, was da nicht reinpasst.
Autor: Wolfgang Storz (dieser Text ist zuerst in ND erschienen)
Huh Huh! Huh Huh!
Refrain aus dem
Rolling Stones-Song
Sympathy for the Devil
In der Linken wird der Diskurs über die „Digitale Revolution“ gerne in den Kategorien Kontrolle, Überwachung, Demokrativerlust, geführt. Und das mit Recht.
Ein Blick auf die diversen Messen ind Barcelona und München zeigt, die Sicherheitsbranche boomt, man spricht von einem Marktvolumen von 4o Milliarden Euro und 180 000 Jobs.
Die EU-KOMMISSION will die Sicherheitsindustrie noch weiter stärken. Dabei wird eine „Synergie zwischen sicherheits- und verteidigungsbezogener Forschung“ angestrebt. In die Kritik geraten ist das Forschungsprojekt INDECT, das Daten aus Überwachungskameras mit Informationen aus sozialen Netzwerken vergleichen und „abnormales“ Verhalten aufspüren möchte
„Tja, da fällt halt durch den Rost, was da nicht reinpasst.“
Und das sind wir, die Individuen, die den allerletzten Krümel ihrer Restautonomie spätestens dann an der Generalkasse abgeben werden, wenn, in allzu naher Zukunft, auch noch das Bargeld abgeschafft sein wird, um ein vollends abstraktes, unentrinnbares und perfide auf Totalkontrolle ausgerichtetes Bezahl- und Versklavungssystem zu etablieren.
Der Tsunami ist zutiefst basisdemokratisch: er schwemmt unerbittlich alles mit sich fort, was sich auf Normalnull befindet.
Rette sich, wer noch kann!