In einer lauen Theaternacht

008Die Uraufführung des Stücks „Das Märchen vom letzten Gedanken“ erhitzte die Gemüter. 150 Demonstranten zogen friedlich, fast schweigend durch Konstanz. Die Theater-Aufführung verlief störungsfrei, Erleichterung machte sich breit. Kam man sich deshalb näher bei der Frage, ob sich Türken eines Völkermords gegen die Armenier schuldig gemacht haben? Beobachtungen am Rande:

Gegen 18 Uhr versammelten sich die türkischen DemonstrantInnen im Stadtgarten. Viele von ihnen, darunter mehrheitlich Jugendliche,  schwenkten die türkische Flagge, andere hielten Plakate hoch, auf denen sie ihren Unmut gegen das Theaterstück formulierten. Print-, Hörfunk- und FernsehjournalistInnen aus ganz Baden-Württemberg waren vor Ort. Der Einsatzleiter der Polizei machte anfangs einen nervösen Eindruck, doch seine Befürchtungen vor Randale sollten sich schnell in Luft auflösen. Bei dem Versuch, mit Protestierenden ins Gespräch zu kommen,  wurden die Grenzen der beabsichtigten Völkerverständigung allerdings  schnell erreicht. Natürlich wäre man hier nicht zusammen gekommen, um das Theaterstück zu verhindern. Aber das Plakat dazu „verletzt die Menschenwürde“, erklärten zwei junge Türken, die die Demonstration  organisatorisch vorbereitet hatten.

PRESSEMITTEILUNG: TÜRKISCHE ZENSUR IN DEUTSCHLAND      Erst schaltet der türkische Ministerpräsident im eigenen Land das Twitter ab, dann schickt er seinen Generalkonsul los, das deutsche Theater zu zensieren. Zwei Ereignisse, die alarmierende Anzeichen sind, dass die Türkei sich mehr und mehr von den Werten westlicher Kultur entfernt und ganz offensichtlich die Annäherung an Europa aufgegeben hat.Mit massiven Protesten hat die türkische Regierung versucht, die Konstanzer Premiere des „Märchens vom letzten Gedanken“ zu torpedieren. Das Theater hat sich in seinen Planungen nicht beirren lassen, woraufhin der türkische Generalkonsul in Karlsruhe verlangte, den Theaterbesuchern zumindest die türkische Sicht der Dinge nahe zu bringen. Wie aber soll man deutschen Theaterbesuchern erklären, dass die Leugnung eines Menschheitsverbrechens, nämlich des türkischen Völkermords an den Armeniern, die Position eines zivilisierten und auf vielerlei Weise mit dem Westen verbundenen Staates sein kann?Zensur zu Hause und eine Kampagne gegen die Freiheit der Kunst in Deutschland: Das ist das Bild, das die Türkei zur Zeit den staunenden Beobachtern bietet. Indem Ankara versucht, ein Theaterstück über den Völkermord von 1915 zu hintertreiben, beweist die türkische Regierung einmal mehr ihren Unwillen, sich der eigenen Geschichte zu stellen und endlich einen Einstieg in eine längst überfällige Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit in die Wege zu leiten.Mit freundlichen Grüßen
Vorstand des Armenisch-Akademischen Vereins 1860
Postfach 250 110 44739 Bochum, 21. März 2014

Das Plakat zeigt die türkische Flagge, unter der eine verhüllte Leiche liegt, von der nur die Schuhe zu sehen sind. Ein Hinweis auf den armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink, der 2007 auf offener Straße erschossen wurde.  Dazu ein Zitat des türkischen Premierministers  Recep Tayyip Erdogan: „In unserer Geschichte wurde kein Völkermord begangen“. Eine Anspielung auf eines der dunkelsten Kapitel des 1. Weltkrieges: den Genozid an den Armeniern, bei dem zwischen 1915 und 1918 unter tätiger Mithilfe des Deutschen Reiches rund 1,5 Millionen Menschen in der heutigen Türkei ums Leben kamen.

Dieser Diskussion wollten sich die Anwesenden – die meisten leben in Konstanz – partout nicht stellen. Sie machten es sich überaus einfach und erklärten übereinstimmend: „Dieses Thema müssen wir den Historikern überlassen“. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass vorab eine Order ausgegeben wurde, was man auf heikle Fragen zu antworten habe. Am besten gar nichts.

014Und überhaupt, auch das war querbeet zu hören, „wir alle hier sind Vertreter des türkischen Volkes und mit Politik hat das überhaupt nichts zu tun“. Womit dann? Und wieder: „Das Plakat verletzt unseren Stolz und auch Kunst muss Grenzen haben“. Wohl um des lieben Friedens willen hatte Theaterintendant Christoph Nix die Plakate in den Schaukästen vor dem Theater überkleben lassen, nur noch der Text des Stücks ist lesbar. Kritisiert wurde von den Protestlern mehrmals, dass die Berichterstattung im Vorfeld über ihre Demo“falsch und einseitig“ gewesen sei.

Weitere Nachfragen bei den DemonstrationsteilnehmerInnen, auch über den lokalen Tellerrand hinaus, liefen ebenfalls ins Leere. Über die Demokratiebewegung in der Türkei und die landesweiten Proteste gegen Erdogans konservative Regierung wollte keiner ein Wort verlieren: „Über Politik reden wir grundsätzlich nicht“. Eine junge Türkin, die gerne etwas dazu gesagt hätte, wurde sofort barsch zurechtgewiesen und abgedrängt.

Gegen 19.30 Uhr traf der Demonstrationszug vor dem Stadttheater ein. Dort erklärte Nix, mit der teilweise Zurücknahme der Plakate habe er im Sinne eines gegenseitigen Aufeinanderzugehens „ein Zeichen setzen wollen“. Er vertrat aber auch die unmissverständliche Meinung, dass Kunst frei sein müsse und gerade dieses Stück genügend Diskussionsstoff biete, um konträre Meinungen auszutauschen und sich gegebenenfalls gegenseitig besser zu verstehen. Doch mit wem hätte man debattieren sollen in dieser frühlingshaften Theaternacht?

Autor: Holger Reile

„Das Märchen vom letzten Gedanken“ läuft noch bis Ende April. Ein weitgehend starkes, empfehlenswertes Stück mit überzeugenden SchauspielerInnen und einem gelungenen Bühnenbild.

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