Simon und Luise: Studies sorgen sich um ihre Stadt

seemoz-Simon+LuiseJunge Menschen sind nicht nur auf einschlägig danach benannten, leicht querfröntelnden Listen zu suchen, sie gibt es durchaus auch auf anderen Listen zur Gemeinderatswahl. Im vorliegenden Interview sprechen die Linksjugend-SpitzenkandidatInnen Luise Schönemann (30) und Simon Pschorr (21), die auf den Plätzen 4 und 5 der Linken Liste Konstanz zu den Kommunalwahlen antreten, über ihre politischen Ambitionen, ihre Schwerpunkte und Absichten

Luise und Simon, ihr seid beide an der Uni, beide unterschiedlich alt, ihr habt beide unterschiedliche politische Werdegänge. Was studiert ihr und wie seid ihr zu linker Politik gekommen?

Luise: Ich bin im Promotionsstudiengang an der Uni Konstanz in der Pflanzenbiologie. Angefangen hat bei mir alles mit Studierendenpolitik. Ein klassische Weg von Fachschaft zum Studierendenrat  bis hin zur Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Dort habe ich dann auch Studierendenarbeit gemacht, aber der Schritt zur „großen“ Politik war nicht mehr so weit. Speziell interessiert mich Sozialpolitik, da kommt für mich in der Parteienlandschaft nur DIE LINKE. infrage. Und auf die Sozialpolitik will ich im Gemeinderat mit Einfluss nehmen.

Simon: Ich bin Jura-Student, kurz vor dem Staatsexamen. DIE LINKE. hat mich schon „erwischt“, bevor ich zu studieren anfing. Mit 15 wurde ich in einer Theater AG politisch sozialisiert. Ich möchte mich in der Stadt, in der ich lebe, einbringen. Es gibt das Gerücht, dass Studierende an der Stadt, in der sie leben, kein Interesse hätten. Das ist nicht wahr. Wir möchten wie alle dort, wo sie gerade zu Hause sind, ein schönes Leben und ein erfülltes Leben haben.

Ihr habt mit den Listenplätzen 4 für Luise und 5 auf der Linken.Liste für Simon relativ gute Aussichten, am Ende im Gemeinderat zu sitzen. Ist das tatsächlich euer Ziel?

Luise: Natürlich, prinzipiell würde ich nicht so weit vorne kandidieren, wenn ich nicht auch bereit wäre, die Verantwortung zu übernehmen sowie Zeit und Herzblut da reinzustecken.

Simon: Ja, unbedingt. Ich bin sehr froh über das Vertrauen, das mir die Wahlversammlung entgegengebracht hat. Wir kämpfen in Baden-Württemberg als Linke einen Kampf gegen Windmühlen, aber den kämpfe ich gern. Und sollte ich gewählt werden, verspreche ich, mich tatkräftig einzusetzen.

Heißt, junge/r KandidatIn zu sein, zwangsläufig, dass „Jugendpolitik“ gemacht wird?

Luise: Für mich ist das Alter ganz klar eher eine Geschichte, durch die Menschen jeweils eine andere Perspektive und ein anderes Erleben haben. Es geht darum, alle Themenbereiche anzupacken und sich dort einzubringen. Das Wahlprogramm der Linksjugend[’solid] Konstanz führt die Bereiche auf, in denen ich mich verstärkt engagieren will. Das heißt aber nicht, dass andere wichtige Themen unter den Tisch fallen.

Simon: Mein unbedingter Wunsch ist, mich als Linker für die Interessen aller Menschen einzusetzen. Ich habe mich neulich mit einer älteren, frisch zugezogenen Dame unterhalten, die sich in dieser Stadt alleingelassen gefühlt hat und von der Stadtverwaltung z.B. nicht auf den Stadtseniorenrat hingewiesen wurde. Das sind genauso wie Jugendliche Menschen in der Stadt, die ein lebenswertes Leben verdient haben.

Um mal eine Bevölkerungsgruppe herauszugreifen, die sich durch linke Politik nicht unbedingt vertreten fühlt: Der Ferrari-Fahrer, der am Wochenende seinen Sportwagen im stauenden Innenstadtverkehr parkt, sieht die Sache vielleicht auch etwas anders?

Luise: Man kann es nicht allen recht machen. Man muss versuchen, hoffentlich vielen die Möglichkeit zu geben, sich auszuleben, auf welche Art und Weise auch immer. Man darf mit Luxuskarosse ja immer noch in der Innenstadt parken – auch wenn wir das gerne anders hätten. Aber jemand mit viel Geld hat sicher andere Möglichkeiten, sich seine Bedürfnisse zu erfüllen als Menschen, die in der Woche fünf Euro übrig haben für die eigene Freizeit.

Simon: Ich würde nicht sagen, dass ich Ferrari-Fahrer nicht vertreten will. Jemand, der durch das Horten des eigenen Geldes anderer Menschen Leben zerstört, ist jedenfalls nicht die Art von Person, für die ich Politik mache. Wer allerdings den eigenen, möglicherweise ehrlich erarbeiteten  Reichtum teilt, hat sehr wohl meine Unterstützung.

Bleiben wir bei Autos. Die vorangegangene Frage zielte auch auf die Verkehrssituation…

Simon: Das ist in Konstanz einfach eine Katastrophe. Es werden einfach durch die lukrativen Einkaufmöglichkeiten sehr, sehr viele Autofahrer aus der Schweiz angelockt. Dafür muss man aber nicht samstags jedes Mal die komplette Innenstadt lahmlegen. Man sollte vielmehr die Innenstadt für den Individualverkehr vollständig sperren, damit wir eine für Kunden, Touristen und andere lebenswerte Innenstadt ohne Stau bewahren können.

Luise: Da müssen dann natürlich Alternativen geschaffen werden, auch für Menschen von anderswo. Man sollte überlegen, wie man zu kostenlosem Busfahren kommt, wie die Taktung der Busse so weit verdichtet wird, dass diese nicht total mit Menschenmassen vollgestopft sind. Viele argumentieren, der Innenstadtverkehr bringe der Stadt Geld. Ich meine: Wenn man zwei Stunden einen Parkplatz sucht, nachdem man eine Stunde im Stau gestanden hat, schmälert das doch das Einkaufserlebnis. Begreift Stadt als Erlebnis! Flanieren statt hechten. Statt einer sinnlosen Seilbahnidee sollte man doch eher den Pendelverkehr Schweiz-Konstanz mit mehr als der Linie 908 bestücken.

Simon: Ich würde hier gern mit einem Gerücht aufräumen: Wir als Linke sind keine Feinde des Einzelhandels und wollen auch nicht die Existenz von Gewerbetreibenden vernichten. Meine Meinung ist, dass eine schönere, nicht vom Verkehr geplagte Innenstadt die Umsätze des Einzelhandels vielmehr steigert. 200 Meter mehr Fußweg und weniger Parkplatzsuche vertreibt keine Kundschaft.

Werden die Prioritäten in der Stadt also falsch gesetzt?

Simon: Prioritäten kann ich nicht erkennen. Es fehlt schlicht und ergreifend ein Konzept und wenn es eins gibt, wird es von Gemeinderat und Oberbürgermeister weiter in die Zukunft verlagert. Statt konkreter Beschlüsse werden an Privatfirmen Planungen in Auftrag gegeben und ausgelagert und so Millionen an Steuergeldern oftmals ergebnislos versenkt. Man sieht das am Verkehrsmasterplan 2020+. Das „plus“ sagt schon alles. Dieser Plan bekam schon unter Ex-OB Horst Frank eine höhere Jahreszahl verpasst und ist dieses Mal mit einem Minimum an konkreten Terminen versehen, damit man den Verantwortlichen nichts vorwerfen kann.

So auch beim Wohnungsbau: Jedes Jahr ermittelt man an der Uni die größten Bedarfe der Stadt. Bei der WOBAK wird reihenweise nach bezahlbarem Wohnraum gefragt. Die Stadt hat dieses Jahr  etwa 350 Wohnungen geschaffen. Das sehr viel kleinere Kreuzlingen baute in der selben Zeit genauso viel. Hingegen investiert man hier sehr viel in das Konziljubliäum. Aber mit Mobilität und sozialem Wohnungsbau kann man die Stadt eben nicht zum Mittelpunkt Europas oder des Universums stilisieren.

Beim Konziljubiläum kommt man ja an Kultur als solches nicht vorbei. Konstanz hat kulturell zwar einiges zu bieten, aber es könnte auch vielfach besser sein. Herosépark und selbstverwaltete Jugendzentren sind immer ein Thema. Da stellt sich die Frage, ob Sperrstundenaufhebung und lebenswerte Innenstadt ein Widerspruch sind.

Luise: Ich sehe nicht, dass eine Sperrstunde zwangsläufig damit einhergeht, dass niemand (lärmend) durch die Straßen läuft. Wichtig ist doch, dass Menschen Räume haben, wo sie sich ausleben können und Rücksichtnahme zugleich gefördert wird. In Sachen Toleranz ist Sperrstunde aber nicht gerade das Schlagwort und daran sollte auch kein kulturelles Angebot scheitern.

Simon: Ich war kürzlich in Bonn und wurde von jungen Menschen ausgelacht, als ich von der Sperrstunde erzählt habe. Das scheint ein Alleinstellungsmerkmal von Konstanz zu sein. So was verlagert doch den Lärm von der Kneipe heraus eher an andere Stellen. Was den Herosé-Park betrifft: Er ist eine sehr schöne Möglichkeit, sich auch außerhalb der Sperrstunde zu treffen. Da braucht es keine Security.

Das mit den Sicherheitsdiensten versucht die Stadt ja nicht das erste Mal …

Simon: In den letzten Monaten wollte der Gemeinderat den Herosépark mit einem Sicherheitsdienst ausstatten, damit keine ungewollten Besucher diese Straße benutzen. Verfassungsrechtlich bewegt man sich da auf extrem dünnem Eis. Securities haben keine Polizeiausbildung, sondern haben in etwa vier Wochen gelernt, Gewalt auf größeren Veranstaltungen zu verhindern. Sie patrouillieren aber wie Polizisten und haben dabei nicht die Rechte der Polizei – zum Glück.

Luise: Hier ist auch die Frage, was passiert, wenn jemand verletzt oder überfallen wird. Abgesehen davon, arbeitet die Stadt hier mit infamen Unterstellungen gegenüber allen Menschen, die sich dort bewegen. Diese Überregulation erzeugt aber nicht die „gewünschte“ geradlinige, glatte Gesellschaft – eher das Gegenteil.

Wie stark ist die Gemeinderatspolitik durch das EU-Parlament in Brüssel reglementiert, wie viel Gesetzgebung kommt davon aus Berlin? Wo seht ihr da Ansatzmöglichkeiten für linke Politik?

Simon: Es stimmt, dass viel Gesetzgebung aus hierarchisch höheren Ebenen kommt, jedoch gehen immer noch ca. 80 % der Staatsausgaben durch die Hände der Kommunen und in der Vergabe dieser sind sie ziemlich frei. Auch die Europäischen Gesetze erlauben es ihnen in einem angemessenen Maße, ihre Gelder zu verteilen.

Luise: Bisher gaben Kommunen vorrangig Aufträge an die billigsten Unternehmen, da die Kommunen die EU-Vergaberichtlinie meist so interpretierten, dass das billigste Unternehmen einen Zuschlag für eine öffentliche Ausschreibung bekommen muss …

Simon: … und ich glaube eher, dass mit der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes,  fairen Unternehmen Zuschläge für öffentliche Aufträge zu erteilen, der richtige Weg eingeschlagen wird. „Billig, billig, billig“ war eine falsch verstandene Politik, die insbesondere aus Berlin kam. Eine Kommune muss gestalten können. Sie muss von ihrem Gestaltungsrecht Gebrauch machen und nicht das billigste, sondern das beste Angebot nehmen.

Auch auf der Einnahmenseite haben Kommunen theoretisch Spielraum …

Simon: Was man als gesamteuropäisches Problem sehr gut sieht, ist der Kampf um den besten Standort durch die Reduktion von Gewerbesteuer, die den Kommunen direkt zugute käme. Das ist doch pervers. Wir müssen uns als Kommunen entscheiden, ob wir weiterhin eine Existenz haben wollen oder uns als Kommunen irgendwann selbst abschaffen. Wenn nämlich irgendwann kein Geld mehr für Infrastrukturmaßnahmen ausgegeben werden kann, überlebt beispielsweise kein Bauunternehmen. Negativwettbewerb hat noch nie Vorteile gebracht.

Luise: Zudem wird ein Ort durch mangelndes öffentliches Kulturangebot ja auch nicht gerade für Unternehmen attraktiv. Da kann ich noch so viel locken, es macht den Menschen die Lebensqualität nicht besser. Gerade von IT-Unternehmen und Unternehmen im Dienstleistungssektor hört man immer wieder, wie wichtig eine schöne Stadt als Ausgleich zum Büroalltag ist.

Bleiben wir bei dem klammen Kassen. Kliniken werden seit Jahren immer öfter an Private verkauft und die Belegschaft zu immer mieseren Arbeitsbedingungen gegängelt, kurz: Die Medizin wird der Marktlogik unterworfen. Wie steuert man da als Linke gegen?

Simon: In unserer Gesellschaft werden immer mehr alte Menschen von immer weniger Jungen gepflegt. Die Knochenarbeit Pflege wird mit am schlechtesten bezahlt und es wird immer nur weiter rationalisiert. Wer in der Pflege arbeiten will, versucht meist in die Schweiz abzuwandern, wo man doppelten Lohn bekommt.

LuiseSchönemann2Luise: Gesundheitsversorgung muss Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge bleiben, es ist eine absolute Basisaufgabe für den Staat. Leute, die sich nicht mehr selbst versorgen können, sollten menschenwürdig behandelt und nicht als Kostenfaktor abgebügelt werden. Wie soll denn wichtiges Pflegepersonal nachkommen, wenn diejenigen, die Pflegeberufe ausüben, sich selber zu Pflegefällen arbeiten? Man kann einen Krankenbetrieb eben nicht an wirtschaftlichen Faktoren messen.

Simon: Stichwort Krankenkassen: Diese definieren regelmäßig mit dem Deutschen Ärzteverband die Regelsätze, die für gewisse Leistungen von den Ärzten abgerechnet werden können. In einem Industrieunternehmen kann man Arbeitsschritte am Band natürlich mit Zeiten für den jeweiligen Produktionsschritt versehen. Mit einem kranken Menschen kann man aber nicht umgehen wie mit einer Maschine, da ist das nicht möglich. Gleichzeitig muss man sehen: Wenn wir unsere originären Aufgaben an externe oder die Kirche auslagern, schneiden wir uns ins eigene Fleisch. Kirchen sind Tendenzbetriebe, d.h. sie müssen sich dem Druck eines gewerkschaftlichen Arbeitskampfes nicht aussetzen und zahlen so bis zu 30% weniger für dieselbe Tätigkeit. Das ist ein Überbleibsel der Weimarer Reichsverfassung, die in diesem Staat immer noch Geltung beansprucht.

Greifen wir das Thema Kirchen doch gerade mal in Verbindung mit Kultur auf: Konziljubiläum. Was muss bei diesem fast nicht mehr abwendbaren Event anders laufen?

Luise: Ich persönlich habe nichts dagegen, dass man ein Konzil feiert und eine Kirchenfeierlichkeit unterstützt, aber nicht über vier Jahre und nicht in dieser Selektivität, was die Repräsentation der Bevölkerung angeht. Da ist doch recht fraglich, ob überhaupt das erhoffte Publikum für diese Veranstaltungen vorhanden ist. Zudem sollten die Kirchen finanziell eine Verantwortung übernehmen. Die Stadt stellt etwa sechs Millionen Euro bereit, die vom Land nochmal verdoppelt werden. Das ist jetzt schon ein beschränktes Budget. Ursprünglich standen schon mal 10 Millionen Euro von Seiten der Stadt im Raum. Es ist einer der großen Posten, die sich die Stadt leistet, ohne es zu brauchen. Jetzt sollen zusammen mit Landesgeldern 12 Millionen in dieses Monstrum fließen. Natürlich wollen wir feiern, aber dann sollte die Sache auf maximal ein Jahr beschränkt werden.

Simon: Vor kurzem gab es eine Bevölkerungsumfrage. Da war das klare Statement sinngemäß: „Konziljubiläum? Schön und gut. Aber vier Jahre? Ihr habt doch ’nen Vollschuss!“ Einzelne Programmpunkte fielen zum Glück schon auseinander, u.a. dank der Arbeit der Linken.Liste. Für rund 4o0.000,- Euro wurde ursprünglich der Nachbau eines mittelalterlichen Lastenkahns, eine Lädine, veranschlagt. Wo wäre da der Sinn gewesen? Die Beteiligung der Kirche beschränkt sich darauf, kostenlose Gottesdienste, wie auch sonst an Sonntagen, anzubieten. Man ist nicht einmal bereit, den kircheneigenen Stadtgarten zu öffnen, welcher ein schöner Standort für Teile der Festlichkeiten gewesen wäre.

Das Geld könnte auch an andere Stellen genutzt werden: Bildung zum Beispiel. Die unterfinanzierten Konstanzer Schulen gehen zum Teil dubiose Firmensponsorings ein. Beispielsweise hat das Ellenrieder-Gymnasium einen Vertrag mit dem Rüstungsgiganten EADS. Wie seht ihr diese Form der indirekten Bildungsplanvereinnahmung und Bildungsselektivität? 

Simon: Wir dürfen junge Menschen nicht in die Fänge von Rüstungsunternehmen treiben. Dass Großbanken und Großkonzerne Unterrichtsmaterialien und ganze Unterrichtseinheiten spendieren, ist heute leider gängige Praxis. So liefert paradoxerweise oft die Sparkasse das Material für den Wirtschaftsunterricht. In meiner wissenschaftlichen Arbeit habe ich mich intensiv mit dem Thema Bildung beschäftigt. Ich möchte ganz deutlich darauf hinweisen, dass wir gegen die Regelung sind, die der Gemeinderat gegen die Aufnahme von Schülern beschlossen hat, deren Hauptwohnsitz in der Schweiz liegt. Um es deutlich zu sagen: Das ist Rassismus. Menschen, die in der Schweiz leben, haben sehr wohl die Rechte, die die baden-württembergische Landesverfassung gewehrt: Da gibt es ein Recht auf Schule, das man niemandem verwehren darf. Das macht die Stadt falscherweise, um jährlich 33 Millionen Euro dadurch zu sparen, dass bis zu 13 Schulklassen nicht eröffnet werden müssen, für die man Lehrkräfte und Räume bräuchte.

Luise (grinst): Man könnte auch Frauen an der Schule verbieten. Das würde rund 50 % einsparen. Aber Spaß beiseite: Damit tut die Stadt der Landesregierung einen Gefallen, die sich ganz groß Bildung auf die Fahnen geschrieben hat, jedoch 11.500 Lehrerstellen abbauen will. Aber diesem widerwärtigen Spiel, indem man Bevölkerungsgruppen durch den Wohnsitz diskriminiert, darf man sich als Linke nicht fügen.

Ein aktuelles Thema ist, dass in den Konstanzer Bildungseinrichtungen Kinder und Jugendliche direkt von Abschiebung betroffen sind. Es handelt sich dabei um Menschen aus Romafamilien, zum Teil direkte Nachkommen von Opfern des Holocaust. Was kann man auf kommunaler Ebene in Sachen Asylgesetzgebung tun? Was kann sie machen, um Geflüchteten das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten?

SimonPschorrSimon: Zunächst mal vollstreckt nicht die Stadt, sondern der Landkreis diese unfassbare Gesetzgebung. Mehrere Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass in Ungarn, Rumänien und auf dem Balkan Hetzjagden auf Roma gemacht werden. Und das deklariert die Bundesregierung dann als „sichere Länder“. Eine Stadt muss  für die Zeit, in der Geflüchtete hier sind, ihnen ein lebenswertes Leben ermöglichen und kann sehr wohl alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Abschiebung zu verhindern. Man könnte schlicht auf die Vollstreckung von Abschiebung verzichten. Solche Anordnungen von oben können beispielsweise hinausgezögert werden, indem ein Landkreis einfach nicht abschiebt.

Luise: Entgegen von Abmachungen und entgegen jeglicher Menschlichkeit wird in Konstanz in Asylbewerberwohnheime oftmals früh morgens um vier eingedrungen, weil Geflüchtete damit eventuell nicht rechnen, gewaltsam abgeschoben zu werden. Das spricht doch den Betroffenen jegliche Integrität ab. Dieser vorauseilende Gehorsam der Behörden gegenüber der Regierung ist schlicht unmenschlich und hat mit dem Leben von Flüchtlingen, die hier auch soziale Strukturen haben, nichts zu tun. In einem Asylbewerberheim untergebracht zu sein, täglich nicht zu wissen, wie es in zwei Wochen weitergeht, ist ohnehin keine schöne Situation. Da wird dann zusätzlich noch die Angst geschürt, nachts aus dem Schlaf gerissen und weggeschafft zu werden. Aber eine gewisse Sicherheit und Planbarkeit wäre für den menschlichen Umgang ja wohl das Mindeste.

Aus den staatlichen Gängelungen von Geflüchteten und den Unwägbarkeiten der Vorgänge in Europa, zieht die politische Rechte ihren ideologischen Nährboden. Auch in Konstanz ist das ein Problem …

Luise: Nicht erst seitdem. Im Kreis Konstanz ist so einiges passiert. 2007 wurde die Konstanzer Ausstellung gegen Neofaschismus von Nazis angegriffen, es gab Wintersonnenwende-Feiern mit völkischen Gedichten auf dem Bodanrück, und ein „Nazi-Geister“-Mob verteilte krude Flyer auf der Fasnacht 2012. Morddrohbriefe von rechts gegen linke Journalisten sind auch keine Seltenheit. Uns allen ist noch der Übergriff auf die SPD-Landtagskandidatin Zahide Sarikas 2011 in den Knochen und kürzlich entdeckten Genossen von uns im Hockgraben und am Königsbau NPD-Aufkleber. Das ist nur ein Bruchteil der Ereignisse.

Gerade zur Europawahl muss vor rechten Umtrieben gewarnt werden, und die AfD bietet im Gegensatz zur NPD diskriminierendem Gedankengut leider seit neuestem einen scheinbar demokratischen, legitimen Anstrich. Hier muss die Stadt mit antifaschistischen und antirassistischen Bildungsprogrammen entgegensteuern. Schul- und Vereinsprojekte zusammen mit Flüchtlingen wären eine Möglichkeit, um rassistische Ressentiments abzubauen. Vertreter/innen, die sich für die Rechte von Schwulen, Lesben, Trans- und intersexuellen Menschen einsetzen, könnten in Schulklassen eingeladen werden, damit eine offene, pluralistische Gesellschaft möglich ist und diskriminierendes Gedankengut von vornherein gar nicht erst aufkeimt.

Simon: Ein weiteres Problem sind in einer Uni-Stadt auch immer Burschenschaften, die sich durch  patriarchale, extrem hierarchische Strukturen auszeichnen und rechtes, homophobes, frauenfeindliches und militaristisches Gedankengut transportieren. Man muss Burschenschaften daher endlich den Status der Gemeinnützigkeit entziehen.

Kehren wir an den Anfang zurück. Ihr seid Jugendkandidat und Jugendkandidatin. Linke wie Linksjugend begrüßen, dass Jugendliche jetzt vom aktiven Wahlrecht Gebrauch machen können. Aber gleichzeitig wird von euch gefordert, dass sie nicht nur wählen, sondern sich auch aufstellen lassen dürfen, also ihnen das passive Wahlrecht eingeräumt werden soll. 

Luise: Das Alter 18 ist zunächst Mal eine sehr willkürliche Festlegung. Wenn Jugendliche dadurch, dass sie kandidieren dürfen, aktiv auf die Wahl Einfluss nehmen und mitbestimmen können, beschäftigen sie sich auch viel eher mit dem Thema. Mit 16 haben Leute genug Reife, um sich selbst auszuleben. Sie dürfen Motorrad fahren, Bier trinken und sich bei Germany’s Next Top Model ausbeuten lassen. Wenn ich einem Menschen so viele Rechte zugestehe, ist auch wichtig, dass er sich in seinem politischen Umfeld ausleben kann. Da passiert viel, was sie betrifft: Bildung, Freizeit, Kultur. Wie ich eingangs erwähnte: Eine jugendliche Perspektive ist schlicht eine andere, die sich irgendwann ändert. Vielen Älteren sind doch die Bedürfnisse im Bildungsbereich nicht klar, da sie schon eine Weile da raus sind – und da sind meiner Meinung nach zwei Jahre eine lange Zeit. Aber vielleicht ist Jugendwahlrecht eine Sache, die sich entwickelt. Vor 100 Jahren hatte man auch Frauen abgesprochen, politisch mündig zu sein – eigentlich mit derselben Begründung wie bei Jugendlichen heute. Das ist eine Infragestellung ihrer Integrität, die man in vielen anderen Bereichen aber wiederum von ihnen erwartet.

Simon: Das ist eben eine Lebensphase, in der man große Schritte macht und viele Abschnitte ganz schnell durchläuft. Ich glaube, dass viele Konservative Angst davor haben, dass die daraus resultierenden Sichtweisen eingebracht werden und dies den von ihnen vertretenen Lebenskonzepten widersprechen könnte. In Bonn habe ich auch mit Herrn Axel Voss, einem Europakandidaten von der CDU-NRW, gesprochen. Er war der festen Überzeugung, dass Menschen unter 18 zum Kandidieren wie zum Wählen noch nicht reif genug seien. Ich bin verdammt froh, dass Jugendliche ab 16 zeigen können, wie interessiert sie an Politik sind. Der letzte Schritt zur passiven Wählbarkeit fehlt noch. Und ich bin mir sicher, dass es viele junge Menschen gibt, die ernst genommen werden möchten. Konservative Politik versucht ja immer von oben herab irgendwelche Zugeständnisse zu machen, aber Jugendlichen nicht erlauben, sich am politischen Prozess zu beteiligen, weil man sie für zu gefährlich hält – das kann ich nicht nachvollziehen.

Abschließend würde ich von euch gerne wissen: Im Wahlprogramm der Linksjugend[’solid] Konstanz wird von der Einrichtung von Cannabis-Clubs gesprochen. Was steckt dahinter?

Luise: Ich bin dafür, eine kontrollierte Drogenabgabe zu fördern. Die große Gefahr sind zunächst mal Kollateralschäden bei Drogenabhängigkeit. Wenn sie illegal sind, fördert das Beschaffungskriminalität. Der gelegentliche Konsum von Cannabis ist doch allerdings sehr weit in der Mitte der Gesellschaft – nicht nur unter Jugendlichen. Eine kontrollierte Abgabe kann psychische Probleme in Folge von Abhängigkeit eindämmen. Drogenberatung und Suchthilfe kann und muss in einem Cannabis-Club ja auch stattfinden. Sofern Drogenbesitz kriminalisiert ist, haben Suchtkranke doch dann wiederum eine sehr hohe Hemmschwelle, den Konsum zuzugeben. Und für Leute, die nicht suchtkrank sind, ist es einfach eine Möglichkeit, ihren Alltag ein bisschen zu genießen.

Simon: Staatsanwaltschaft und Gerichte küssen uns für die Forderung nach legalem Cannabis-Konsum die Füße, da sie andere, schwerwiegendere Delikte bearbeiten könnten. Im Moment ist die Kriminalisierung von Cannabis eine gewaltige, unnötige Aufgabe für die Strafverfolgungsbehörden. Sie sagen: „Dadurch, dass wir es kriminalisieren, verbringen wir Straftäter in das Umfeld von harten Drogen, wir verbringen sie dazu, sich in den Akt der Beschaffungskriminalität hineinzubegeben.“ Damit macht man die Hemmschwelle „ich begehe ein Verbrechen, um mir Drogen zu besorgen“ so viel niedriger.

Die Abhängigkeitsrate bei Cannabis ist deutlich geringer als bei Tabak und Alkohol, ebenso die gesundheitsschädlichen Folgen. Von Cannabis geht lediglich ein Traditionsrisiko aus, so das Bundesverfassungsgericht in seinem „legendären“ Urteil – „wahnsinnig gefährlich“, aber mit keinem Argument zu belegen. Einige Staaten in den USA machen es jetzt vor. Die Legalisierung von Cannabis wäre auch für Kommunen eine große Chance. Schließlich profitierten sie von der Mehrwertsteuer auf Cannabisverkauf.

Luise: Das wäre ja dann auch die höhere Stufe – Cannabis ist schließlich kein Grundnahrungsmittel.

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Autor: Ryk Fechner