Folgen alle dem OB-Kommando?
Unter dem Stichwort: „Professionalisierung von Personalentscheidungen bei Leitungsfunktionen“ soll in seiner morgigen Sitzung der Gemeinderat auf eines seiner wesentlichen Rechte verzichten. Diese Selbstentmachtung zugunsten des Oberbürgermeisters folgt einer ganzen Reihe von Entscheidungen gerade im Personalbereich und trägt deutlich die Handschrift von Uli Burchardt, der die Rolle der Verwaltung gegenüber dem gewählten Stadtrat über Gebühr ausbauen will
Niemand wird behaupten wollen, dass Personalentscheidungen des Gemeinderats in der Vergangenheit stets glücklich gewesen wären – allein die jüngsten Veränderungen auf den Chefsesseln der Philharmonie oder im Stadtmarketing bezeugen das. Daraus aber zu schließen, Headhunter und andere Profis aus der Stadtverwaltung würden es allzeit besser machen, ist wahrlich vermessen.
Diesen Eindruck aber versucht die Vorlage zum Tagesordnungspunkt 0.3.4 der morgigen Sitzung des Gemeinderats zu machen, die der städtische Personalchef Thomas Traber offensichtlich mit Zustimmung des Personalrats verfasst hat. Darin wird das bisherige, zugegebenermaßen umständlich demokratische Auswahlverfahren für Führungskräfte in der Stadtverwaltung hinterfragt. Vor allem die Öffentlichkeit bei der Personalauswahl ist der Verwaltung ein Dorn im Auge. Wörtlich heißt es in der Vorlage: „Potentielle Bewerberinnen und Bewerber werden davon abgeschreckt, dass bei der Stadt Konstanz die finale Auswahlentscheidung in einer öffentlichen Gemeinderatssitzung fällt.“ Vor allem die Angst der Bewerber, so Traber, der derzeitige Arbeitgeber könnte so von den Abwanderungsplänen erfahren, würde viele abschrecken.
Zwei Einwände: Angesichts bisheriger Bewerberzahlen, die regelmäßig in die Dutzende, manches Mal gar in die Hunderte gehen, dürfte dieses Argument nicht wirklich zählen. Und: Wer solche Furcht vor seinem Arbeitgeber zeigt, dürfte auch andernorts nicht sonderlich durchsetzungsfähig sein.
„Darüber hinaus schlägt die Verwaltung vor, dass auch die Vorauswahl der Verwaltung übertragen wird“, so Traber weiter. Eine Findungskommission aus der Mitte des Gemeinderates (GR) soll es nach dem Willen der Verwaltung also nicht mehr geben. Die wichtigste Beschneidung der GR-Rechte jedoch sieht dieser Passus der Vorlage vor: „Kommt es zu keinem Einvernehmen (bei der letztendlichen Personalentscheidung, Anm. d. Red.), entscheidet der Gemeinderat mit einer Mehrheit von 2/3 der Stimmen der Anwesenden allein. D. h., in Konfliktfällen, falls tatsächlich eine vom Gemeinderat favorisierte Person vom Oberbürgermeister nicht mitgetragen werden kann, reicht die einfache Mehrheit im Gemeinderat für die Wahl nicht aus, sondern der Gemeinderat muss dann mit 2/3-Mehrheit gegen die Entscheidung des Oberbürgermeisters votieren.“
Der Hinweis in der Vorlage, dass dies der Kann-Bestimmung des Paragrafen 24 Abs. 2 der Gemeindeordnung entsprechen würde und verschiedene Städte in Ba-Wü (längst nicht die Mehrheit) so auch verfahren, kann ebenfalls nicht überzeugen. Es bleibt: Der Konstanzer Gemeinderat würde auf etliche seiner bisherigen Rechte bei der Personalauswahl zugunsten der Stadtverwaltung (bei der Vorauswahl) und zugunsten des Oberbürgermeisters (bei der letztlichen Entscheidung) verzichten.
Man kann ja verstehen, dass der Oberbürgermeister mit einer von ihm handverlesenen Crew von Amtsleitern wirtschaften will, aber muss man deshalb akzeptieren, dass der Gemeinderat sich selbst entmachtet, muss deshalb zukünftig alles auf OB-Kommando funktionieren? Zwar wird betont, dass es sich bei diesem Vorhaben erst um eine „erste Lesung“ handele, Entscheidungen also nicht erzwungen werden sollen. Doch offensichtlich ist bereits die Neubesetzung bei der Leitung des Sportamtes nach diesen Kriterien durchgezogen worden; so wurde dort auf eine Ausschreibung verzichtet, Proteste aus dem Gemeinderat waren öffentlich zumindest nicht zu hören.
Gerade einem Gremium wie dem Gemeinderat ist am Ende seiner Amtszeit zu empfehlen: Wehret den Anfängen.
Autor: hpk
@Thomas Martens: Um das Know-how lokaler und regionaler Expertinnen und Experten zu nutzen, gibt es bereits eine Vielzahl von Gremien mit städtischer Beteiligung, Beiräten, Foren und Arbeitskreisen, die den Gemeinderat fachlich unterstützen (nachzulesen im ALLRIS – Bürgerinformationssystem). U. a. das Forum für Integration, den Arbeitskreis Obdachlosenhilfe, AK Forum Altenhilfe, AK Radverkehr uswusf. Im 2009 gegründeten Beirat für Architektur und Stadtgestaltung (Gestaltungsbeirat) beispielsweise beraten vier ArchitektInnen, die durch den Gemeinderat berufen wurden, Baudezernat und Gemeinderat bei der Beurteilung architektonischer und stadtgestalterischer Fragen. Und das ist der springende Punkt: diese Personen mit „externem Sachverstand“ werden vom Gemeinderat berufen, Namen und Beruf sind in öffentlichen Vorlagen nachlesbar und die Entsendung in die jeweiligen Gremien ist ebenfalls öffentlich.
Zu den Themen Transparenz und Demokratie versus Verlagerung öffentlicher Aufgaben in Lobbyisten-Zirkel lohnt es sich immer wieder, bei LobbyControl nachzulesen:
https://www.lobbycontrol.de/
Externer Sachverstand soll nicht automatisch heißen von außerhalb der Stadt, sondern von Stellen außerhalb des Gemeinderats. Bei Schulthemen könnten z. B. Konstanzer Lehrer oder Rektoren – sofern diese dazu bereit sind (aber fragen kostet nichts) – in den Ausschuss berufen werden, bei Baufragen Architekten, Ingenieure oder Handwerksmeister, bei Gesundheitsfragen Ärzte etc. Klar ist, dass diese Experten dann ohne Stimmrecht sind, weil nicht demokratisch legitimiert. Mit ihrer fachmännischen Expertise könnten sie aber das Abstimmverhalten abseits von Parteiklüngel positiv beeinflussen. Die Gemeindeordnung sieht diese Möglichkeit übrigens ausdrücklich vor.
Externer Sachverstand kostet Geld, ist undemokratisch, weil durch die Stadtverwaltung und nicht durch die Bürger gewählt und hat häufig weniger Ahnung von der Stadt als die Bürger der Stadt selbst.
Nochmal für alle zum Mitmeißeln: Niemand wird gezwungen, in einem Ausschuss mitzuarbeiten. Schon gar nicht, wenn er oder sie keine Ahnung von der Materie hat. Vielfach ist die Ämter- und Pöstchenhäufung doch eher der eigenen Profilneurose geschuldet, als im öffentlichen Interesse. Im Gemeinderat sitzen ist das eine, in einem vorberatenden Ausschuss das andere. Im Ausschuss sollte Sachverstand den Ausschlag geben, im Gemeinderat kann und darf ruhig auch mal das Bauchgefühl oder der gesunde Menschenverstand eine Rolle spielen. Schließlich sind Stadträte ja auch nur Menschen – aber eben nicht immer Experten. Und wenn der Gemeinderat zu bestimmten Themen zu wenig Experten hergibt, kann doch auch mal auf externen Sachverstand zurückgegriffen werden…
Der Verweis auf vermeintliche Inkompetenz gewählter Laien bei bestimmten, wichtigen Entscheidungen ist nicht neu. Schon Platon forderte die Herrschaft der Philosophen und Experten. Das ändert nichts an daran, dass das Argument tendenziell demokratiefeindlich ist. Heute ist es das Personal, wann sind es die Finanzen? Am meisten erschreckt, dass gewählte Vertreter der Bürger die Gefahr für die kommunale Selbstverwaltung nicht erkennen.
Sehr geehrter Herr Venedey,
Ich muss Ihnen teils beipflichten, teils widersprechen:
Wie Sie richtig sagten, können manche Entscheidungen auch Laien treffen. Jedoch wäre es in Anbetracht der Vermehrung von Fachkompetenz nicht unwesentlich sinnvoll zumindest zu versuchen, diejenigen, die in einem Bereich Ahnung haben, auch in den dazu passenden Ausschuss zu besetzen.
Ich muss darüber hinaus auch betonen, dass Personalentscheidungen sehr wohl auch von Personen getroffen werden können, die nicht über vergleichbare Kompetenzen verfügen. Das Bewerbungsverfahren der Stadt mit seinen Schritten vor der Auswahl durch den Gemeinderat (Ausschreibung und Bewerbung dahingehend) selektiert schon nach Ausbildung und Qualifikation. Die Bewerber, die im Gemeinderat ankommen, sollten sich bezüglich des Niveaus ihrer Sachkenntnis nicht mehr gravierend voneinander unterscheiden, schließlich weisen sie die durch die Ausschreibung verlangten Examina, Prüfungen, Noten etc. auf.
Was der Gemeinderat nun untersuchen sollte ist:
– Motivation, die Stadt voranzubringen
– Kreativität
– Frische Ideen, die in das Gesamtkonzept der städtischen Gestaltung passen
– Persönlichkeit, die eine gute Kooperation mit den Kollegen ermöglicht
Achtung: Diese Kriterien sind natürlich verdammt dehnbar – und das trennt eine objektive Auswahlentscheidung von Klüngel und Klientel.
Die große Stärke der Gemeinderatsentscheidung ist: Transparenz! Diese dürfen wir uns nicht nehmen lassen, insbesondere nicht durch den Vorschlag der Verwaltung, alles in die Nichtöffentlichkeit zu verlegen.
Was der Gemeinderat aus dieser Chance macht, sollte Bewertungskriterium der Bürger bei ihrer Wahlentscheidung sein.
@Herr Martens,
da haben Sie sich aber selbst ein dickes Ei gelegt.
Ich bin nicht Mitglied im Krankenhausausschuss, musste es aber als Nachrücker für meinen Vorgänger Dr. Brunner für jene kurze Zeit sein, in die die damalige Personalentscheidung fiel.
Apropos Sachverstand:
Pflegekräfte oder Ärzte im Gemeinderat: 7 oder 8. Krankenhausausschussmitglieder:13
Berufsmusiker im Gemeinderat: 0. Orchesterausschussmitglieder: 13
Handwerker oder Architekten im Gemeinderat:7. TUA-Mitglieder :13
Wenn es reicht, dass man einmal auf einem André Rieu Konzert war und deshalb glaubt „musikalischen Sachverstand“ zu haben, dann sind wir bestimmt bei der Dirigentenwahl bestens aufgestellt? Ist das Ihre Logik?
Gemeinderätinnen und -räte sind sehr wohl auch als Nichtexperten in der Lage, im Interesse der Stadt zu diskutieren und zu entscheiden. Aber für manche Fragen, wie eben bei Personalentscheidungen, braucht es Sachverstand, den die Meisten nicht habe können- und das ist beileibe kein Vorwurf an uns Gemeinderatskolleginnen und -kollegen.
Lieber Herr Venedey,
da haben Sie sich aber kurz nach ostern selbst ein dickes Ei in Sachen Inkompetenz ins Nest gelegt. Wenn Sie vom Bierzapfen oder Schnitzelbraten mehr Ahnung haben als von medizinischen Dingen – weshalb sind sie dann überhaupt im Krankenhausausschuss? Dort geboren worden oder mal Patient gewesen zu sein, dürfte als Qiualifikation kaum ausreichen. Das selbe gilt übrigens auch für die Mitglieder aller anderen Aussschüsse. Nur jemand mit musikalischem Sachverstand sollte im Orchesterausschuss sitzen und jemand mit Bauwissen im Bauausschuss. Niemand ist gezwungen, wider besseren Wissens in einem Ausschuss zu sitzen. Bald sind ja wieder Wahlen, mal sehen, wer sich um welche Pöstchen streitet…
Ob das von der Verwaltung vorgeschlagene Verfahren das richtige ist, weiss ich noch nicht genau.
Aber eines kann ich sicher sagen: In den meisten Fällen sind die Gemeinderäte als Nichtfachleute eben genau nicht geeignet, um die qualifizierteste Person auszuwählen. Ich erinnere mich daran, wie ich als Mitglied des Krankenhausausschusses einen Oberarzt mit auswählen sollte. Das kann ich nicht und nur ganz wenige Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat können es wirklich. Bei meiner Stimmabgabe war ich auf den Kollegen Dr. Weisschedel angewiesen.
Oder bei der Besetzung der Nachfolge des scheidenden Chefdirigenten der Philharmonie meinten doch tatsächlich einige Gemeinderäte, sie könnten den Kandidaten vorschreiben, welche Beethovensymphonie sie zur Probe zu dirigieren hätten. Dann würden sie besser entscheiden können. Das ist doch absurd!
Die Stärke eines gewählten Vertreters kann auch darin bestehen, Entscheidungsgewalt abzutreten, wenn er sie nicht selbst treffen kann. Insofern muss man über die Neuorganisation von Personalentscheidungen wirklich diskutieren. Ich befürchte nur, dass viele Kolleginnen und Kollegen eben genau nicht auf ihre Entscheidungsgewalt verzichten wollen – selbst wenn sie keine Ahnung haben.
Vielleicht sollte man einmal zusammenstellen, was die „demokratische“ Personalauswahl den Steuerzahler schon gekostet hat, weil nicht die fachliche Kompetenz von Bewerbern ausschlaggebend war, sondern Proporzgeklüngel. Wie soll eine Verwaltung effektiv arbeiten, wenn sie sich nicht die passenden Mitarbeiter selbst aussuchen kann?