Anke Schwede: „Soziales kommt immer zu kurz“

blaPflegenotstand und Spitalstiftung, Wohnraumnot und Döbele-Bebauung, neue Lebensmodelle für ältere Menschen – nur einige der Probleme, die Anke Schwede umtreiben. Die Spitzenkandidatin der Linken Liste Konstanz erläutert im seemoz-Interview, was ein neuer Gemeinderat in Konstanz ändern muss und wofür sie als Stadträtin kämpfen wird. Und dabei spielt zum Beispiel auch die städtische Wohnungsgesellschaft WOBAK eine gewichtige Rolle

Deine Schwerpunkte als LLK-Kandidatin sind Soziales, Gesundheit und Wohnen. Da ist offensichtlich viel zu tun im Millionärsdorf Konstanz. Stichwort Gesundheit: Zwar ist vorerst das Schreckgespenst einer Privatisierung der Krankenhäuser im Landkreis abgewendet. Aber heißt das: Entwarnung für das Klinikum Konstanz?

Die Linke Liste hat lange für den Erhalt des Konstanzer Klinikums als städtischer Eigenbetrieb gekämpft, denn oft genug bedeutet die Gründung einer GmbH, auch wenn sie zu 100% städtisch kontrolliert wird, den Einstieg in die materielle Privatisierung. Das Grundproblem liegt in einer Politik, die das Gesundheitssystem profitabel machen will, in den ständigen neoliberalen „Gesundheitsreformen“, die ab 2003 zur Umsetzung der Agenda 2010 gehörten. Aber Gesundheit ist keine Ware, sie darf nicht dem Profitstreben unterworfen werden. Dass hier etwas gewaltig schief läuft, ist jedem klar, der mit ÄrztInnen oder dem Krankenhaus zu tun hat.

Wir haben uns letztendlich den finanziellen und formalen Realitäten gestellt und die Gründung des regionalen Gesundheitsverbundes Landkreis Konstanz befürwortet, an dem Konstanz mit 24 Prozent beteiligt ist. Wir betrachten diesen Schritt also als Teilerfolg gegen neoliberale Privatisierungsgelüste. Wie zu hören war, waren VertreterInnen privater Gesundheitskonzerne im Konstanzer Klinikum nicht nur einmal vorstellig. Man könnte also zusammenfassend sagen, das Schlimmste wurde abgewendet, aber wir müssen wachsam bleiben. Auch wenn die öffentlichen Einflussmöglichkeiten leider viel geringer sind als vor der GmbH-Gründung und der Gesundheitsverbundlösung.

Immer noch ist die altehrwürdige, dennoch steinreiche Spitalstiftung in Konstanz für zahlreiche Pflege- und Altenheime zuständig. Könnte da nicht mehr gegen den Pflegenotstand unternommen werden?

Unbedingt, das ist ein Thema, das auch immer wieder in der vergangenen Legislaturperiode von Vera Hemm angesprochen wurde. Auf einer Gemeinderatssitzung im Juli 2013 fragte sie zum Beispiel Uli Burchardt in seiner Eigenschaft als Mitglied des Gesundheitsausschusses des Deutschen Städtetags nach Lösungen für den Personal-Mangel in den Konstanzer Pflegeheimen. Eine Antwort blieb bis heute aus.

Bei der viel zu schlechten Bezahlung, der zunehmenden Arbeitshetze und der geringen Wertschätzung ist es kaum verwunderlich, dass nur mit Mühe neue Arbeitskräfte für die städtischen Pflege- und Altenheime gewonnen werden können und sich immer mehr Pflegefachkräfte dafür entscheiden, ihren Beruf in der nahen Schweiz auszuüben, weil dort bessere Einkommens- und Arbeitsbedingungen herrschen. Unsere Vorstöße, neue Stellen in diesem Bereich einzurichten und vor allem für eine bessere, übertarifliche Bezahlung zu sorgen, hat die Verwaltung regelmäßig mit dem Hinweis auf fehlende finanzielle Spielräume ins Leere laufen lassen.

Auch wenn das Grundproblem darin liegt, dass die gesetzliche Pflegeversicherung die Kosten für die Pflegeleistungen bei weitem nicht ausreichend abdeckt, sollte das Millionenvermögen der Spitalstiftung meiner Meinung nach für übertarifliche Bezahlung und mehr qualifizierte Stellen eingesetzt werden – zum Wohle von Beschäftigten und BewohnerInnen. Erst kürzlich hat der Gemeinderat mehrheitlich einen finanziellen Jahres-Bonus von 200 Euro für die städtischen Pflegerinnen und Pfleger abgelehnt, das finde ich beschämend. Vor allem in Hinblick auf die Feststellung von OB Burchardt in einer der letzten Gemeinderatssitzungen, der sinngemäß meinte, Konstanz sei eine überaus prosperierende Stadt, besser ginge es gar nicht. Naja, die Millionen werden für andere Lieblingsprojekte der bürgerlichen-konservativen Mitte gebraucht, namentlich Konziljubiläum und der ewige Wiedergänger Kongress- und Konzerthaus.

Wohnraumnot ist das Thema Nummer eins im Wahlkampf. Nur halbherzig scheint der noch amtierende Gemeinderat dieses Thema anzugehen. Was muss da geändert werden?

Angesichts explodierender Mieten, zunehmender Zwangsräumungen und Wohnungslosigkeit besteht dringender Handlungsbedarf in Konstanz – das bezweifelt wohl niemand. Das kürzlich vom Gemeinderat verabschiedete Handlungsprogramm Wohnen sieht in den kommenden 15 Jahren den Bau von mehr als 5000 Wohnungen vor und zwar überwiegend „im unteren und mittleren Preissegment“. Das klingt gut, allerdings fehlen verbindliche Aussagen über die Finanzierung. Vor allem bleibt vage, was denn da wann und von wem gebaut werden soll. Wir von der Linken Liste plädieren dafür, dass InvestorInnen dazu verpflichtet werden, zu einem Anteil von 30 Prozent Sozialwohnungen mit langfristig niedriger Mietbindung zu errichten. Wie ich bereits erwähnte: statt Millionen für Prestigeprojekte auszugeben, muss der soziale Wohnungsbau mit absoluter Priorität vorangetrieben werden. Die Linke Liste will deshalb ein Sofortprogramm Sozialer Wohnungsbau in die kommenden Haushaltsberatungen einbringen.

Es gibt verschiedene Bau-Projekte, die kurzfristig realisiert werden können. Ich kann mir zum Beispiel gut vorstellen, dass auf dem Döbele- und Vincentius-Areal sowie auf dem ehemaligen Gelände des Autohauses Gohm und Graf Hardenberg städtischer Wohnraum für Gering- und Normalverdienende errichtet wird. Mit diesen Vorschlägen sind wir bislang im Gemeinderat auf taube Ohren gestoßen. Ich hoffe sehr, dass sich dies angesichts der massiven Wohnungsnot endlich ändern wird.

Aber das Hauptproblem sind die Preise…

… bei der gemeinderätlichen Diskussion des Handlungsprogramms Wohnen ist geäußert worden, das Konstanzer Grunderwerbsmodell müsse in Frage gestellt bzw. abgeschafft werden. Das halte ich für einen großen Fehler, denn die bisherige Praxis der Stadt, Bauland vor Spekulation zu schützen, ist sehr sinnvoll. Bevor neue Baugebiete ausgewiesen werden, kauft die Stadt mindestens 60 Prozent der Flächen und sobald dieses Ziel erreicht ist, gibt es einen Bebauungsplan und die Grundstücke werden inklusive Baupflicht an Bauherren verkauft. In meinen Augen ist das ein wirkungsvolles Instrument, um die Bodenpreise niedrig zu halten. Es wäre absurd, den Wohnungsmarkt den neoliberalen GeschäftmacherInnen, die uns diese Suppe eingebrockt haben, noch weiter zu öffnen. Wir fordern im Gegenteil, den Verkauf städtischen Grund und Bodens so schnell wie möglich zu unterbinden und diese Grundstücke stattdessen in Erbpacht mit dem verbindlichen Ziel zu vergeben, mehr bezahlbaren Mietwohnraum zu schaffen.

Abschließend noch ein paar Worte zur städtischen Wohnungsbaugesellschaft WOBAK, die dank des Baubooms finanziell glänzend dasteht: Ihre Aufgabe besteht laut Satzung darin, „mit Vorrang breite Schichten der Bevölkerung mit Wohnungen (sozialer Zweck)“ zu versorgen. Diese Vorrangaufgabe, nämlich günstige Mietwohnungen mit angemessenem Standard zu bauen, gerät aber leider immer mehr ins Hintertreffen. Stattdessen werden zunehmend hochpreisige (Eigentums-)Wohnungen errichtet. Das Argument lautet, um Sozialwohnungen bauen zu können, muss auch mit Eigentumswohnungen Geld gemacht werden. Aber selbst wenn man dieser Logik folgt, meine ich, die Schwerpunkte haben sich eindeutig in die falsche Richtung verschoben. Deswegen halte ich es für sinnvoll, bei Neubauten in der Regie der WOBAK eine Sozialwohnungsquote von mindestens 50 Prozent verbindlich festzulegen.

Auch andere soziale Bereiche in dieser Stadt schreien nach Verbesserung: Immer mehr Menschen verschlägt es in die Obdachlosigkeit. Kann es sich eine so reiche Stadt wie Konstanz leisten, dieses Problem zu negieren?

Nein, sicherlich nicht. Seit 2013 ist ein extremer Anstieg von Zwangsräumungen und „planlosen bzw. unkontrollierten“ Zuzügen nach Konstanz zu verzeichnen und dass im Landkreis Konstanz zunehmend unter 25-Jährige wohnungslos und hilfebedürftig sind, darunter viele junge Frauen. Die Lage ist prekär, das Hilfesystem droht laut Markus Schubert vom Sozial- und Jugendamt zu kippen. Mit dem Neubau von 18 WOBAK-Wohnungen am Mühlenweg tut sich zwar endlich was in diesem Bereich, aber das ist erstens bei weitem nicht genug und zweitens sehen wir hier die Gefahr einer Ghettoisierung. Sinnvoller wäre es, Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind, über das Stadtgebiet verteilt unterzubringen, um Ausgrenzung und Stigmatisierung vorzubeugen.

Diese Überlegung muss bei der Entwicklung der Areale „Döbele“, „ehemaliges Vincentiuskrankenhaus“ und aller weiterer in Frage kommenden städtischen Flächen berücksichtigt werden. Die Linke Liste tritt zum Beispiel dafür ein, dass auf dem Döbele überwiegend Sozialwohnungen für Menschen mit wenig Geld gebaut werden. Vonnöten ist außerdem eine personelle Aufstockung des Fachdiensts Wohnungslosenhilfe und der mobilen Jugendarbeit – die Personalsituation muss der wachsenden Zahl Wohnsitzloser in Konstanz angepasst werden.

Für dringend geboten halte ich in diesem Zusammenhang außerdem eine Neuauflage des Armutsberichts. Die letzte Aktualisierung stammt aus dem Jahr 2002 und mehrere Anläufe der Linken Liste, dies durchzusetzen, liefen ins Leere. Das ist angesichts der wachsenden Armut und Wohnungslosigkeit ein großes Versäumnis.

Der Anteil alter Menschen ist in Konstanz überproportional hoch. Wird für diese Menschen genug getan? Welche Vorschläge gibt es von der LLK?

Eine Bemerkung vorweg: Häufig ist vom „demographischen Wandel“ die Rede und zwar im negativen Sinn. Ich finde, das fördert eine gesellschaftliche Haltung, die ältere Menschen abwertet, weil sie nicht produktiv sind, anstatt die positiven Dinge, die mit dem Alter zusammenhängen, anzuerkennen. Aber zurück zu Konstanz: Es muss noch einiges getan werden, um diese Stadt „seniorenfreundlicher“ zu gestalten. Als erstes fällt mir die Begegnungszone am Bahnhof ein, hier mangelt es an einigem. Maßnahmen, die das Umfeld sicherer machen würden und schnell umgesetzt werden könnten, sind temporeduzierende Schwellen und eine weitere Ampelanlage. Außerdem müssen endlich die hohen grauen Randsteine auf beiden Seiten der Fahrbahnen nivelliert werden, da sie eine gefährliche Stolperfalle für mobilitätseingeschränkte und sehbehinderte Menschen darstellen. Wenn die „Begegnungszone“ ab 2015 hoffentlich endlich autofrei wird, steht einem Umbau zum barrierefreien Stadtboulevard mit hoher Aufenthaltsqualität hoffentlich nichts mehr im Wege.

Um beim öffentlichen Raum zu bleiben: Ich unterstütze auch die Forderung des Stadtseniorenrates, mehr Sitzgelegenheiten mit Rückenlehnen zu schaffen – ein Negativ-Beispiel sind die Bänke an der Unteren Laube. Ich habe den Eindruck, dass es vor rund 30 Jahren mehr und vor allem bequemere Bänke in Konstanz gab. Wie mir ein Freund neulich erzählte, geht dieser Umstand auf die Achtzigerjahre zurück, als man die lehnenlosen Sitzmöbel andachte, um Wohnsitzlose bequemer Schlafmöglichkeiten zu berauben. Ein beredtes Beispiel für soziale Kälte, das dringend korrigiert werden muss.

Auch für ältere Menschen wird Wohnen immer mehr zum Problem.

In unserem Wahlprogramm fordern wir neben dem Ausbau klassischer Angebote wie betreutes Wohnen und ambulante bzw. stationäre Pflege städtische Unterstützung für neue Formen des Zusammenlebens im Alter – zum Beispiel für Senioren-Wohngemeinschaften, Seniorengenossenschaften und Mehr-Generationen-Häuser. Diese Modelle zielen darauf ab, alten Menschen eine weitgehend selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, um so der drohenden Isolation im Alter zu begegnen und die Lebensqualität älterer Menschen zu erhalten.

Und, last but not least: Wir brauchen jetzt mehr Pflegeheimplätze und Pflegekräfte, die angemessen bezahlt werden.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]

Die Fragen stellte hpk