„Das trifft die Pfleger und Pflegerinnen ins Mark“
„Wir sind zu wenige und wir sind zu schlecht bezahlt“. Kein Wehklagen, eher ein Alarmruf, den die sieben Gewerkschafter und BetriebsrätInnen im Konstanzer Gewerkschaftshaus anstimmen. Anlass war ein bundesweiter „Flaggentag“ am gestrigen Montag: Flaggen mit der Forderung nach gesetzlicher Personalbemessung wehten von den Krankenhäusern
Nur in Singen, Radolfzell und Konstanz nicht – da prangt ein Transparent am Gewerkschaftshaus (s. Foto), weil die Geschäftsleiter Fischer und Ott des Gesundheitsverbundes Landkreis Konstanz einen Protest an den Klinik-Fassaden untersagt hatten. Im letzten September beteiligten sie sich noch an einer gewerkschaftlichen Sternfahrt, redeten gar auf der Protest-Veranstaltung – jetzt hat offenkundig Landrat Hämmerle sein Machtwort gesprochen.
Nirgends so wenig, so schlecht bezahltes Pflegepersonal
Dabei gibt es gute Gründe zum Protest: In keinem anderen Land Europas gibt es weniger Pflegepersonal im Verhältnis zur Zahl der Patienten wie in Deutschland. Hierzulande versorgt eine Krankenpflegerin durchschnittlich 10,3 Patienten, in Norwegen sind es lediglich 3,8. Und nirgends wird so schlecht bezahlt: Eine voll ausgebildete Krankenschwester kommt im reichen Deutschland in der Höchststufe auf 2 980 Euro. Nicht verwunderlich darum die Gewerkschaftsforderung: „Eine examinierte Pflegekraft, die Vollzeit arbeitet, soll künftig nicht weniger als 3000 Euro monatlich verdienen“.
Diese Forderung ist Knackpunkt in den Tarifverhandlungen, die am 5. Mai aufgenommen wurden. Zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände wird über eine Entgeltordnung für die Gesundheitsberufe verhandelt. Auf Basis einer solchen Entgeltordnung wird die tarifliche Eingruppierung der Beschäftigten – und damit die Höhe des zustehenden Gehalts – festgelegt. Und man glaubt es kaum: Seit 2005(!), seit dem Wechsel vom Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TvöD), liegt eine solche Neuordnung auf Eis. „Immer versprochen, aber nie eingehalten“, kritisiert Sylvia Nosko, ver.di-Sekretärin für das Gesundheitswesen.
„SPD hat ihre Forderung geopfert“
Auf die Politiker sind die Betriebsräte (BR) ohnehin schlecht zu sprechen. Johannes Kölzer, BR-Vorsitzender in Singen, schimpft: „Eine gesetzliche Personalbemessung hat die SPD in den Koalitionsverhandlungen geopfert“. Und damit spricht er ein Problem an, das den Betriebsräten besonders wichtig ist: Eine Gesetzesvorschrift, wie viel Personal pro Pflegestation unabdingbar ist, „würde den Konkurrenzdruck zu den privaten Anbietern im Gesundheitssektor verringern“. „Und würde eine Wertschätzung für den Pflegeberuf und seine Probleme erhöhen“, weiß Elisabeth Keller, Betriebsrätin aus Konstanz.
Denn alle bisherigen Versuche, den Pflegenotstand in den Krankenhäusern des Landkreises Konstanz zu beheben, waren erfolglos. Die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte stößt nach Erfahrungen der Gewerkschafter nicht nur auf Sprachprobleme: „Solche Lückenbüßer bei uns“, so Sylvia Nosko, „fehlen in ihren Heimatländern. Und den dann absehbaren Pflegenotstand dort bezahlen wir später als Steuerzahler“. Auch beim Einsatz von Leih-Pflegekräften, Hotelfachleuten oder Schwesternschülerinnen – längst gängige Praxis in hiesigen Kliniken – sind die BetriebsrätInnen skeptisch: „Da fehlt es häufig an der nötigen Kompetenz“.
Kritik am Konstanzer Gemeinderat
In diesem Zusammenhang zeigten sich die Gewerkschafter enttäuscht von den Gemeinderatsmitgliedern im Konstanzer Spitalausschuss, die jüngst den Pflegekräften in der Spitalstiftung eine Bonuszahlung verweigerten: „Das hat nicht nur die Betroffenen bis ins Mark getroffen. Das zeigt uns allen die fehlende Wertschätzung unserer Arbeit in der Öffentlichkeit“, wettert Barbara Lembrecht, BR beim Hegau-Jugendwerk in Gailingen. (Anmerkung der Redaktion: Solche fehlende Wertschätzung zeigen auch die übrigen Presseorgane, wenn als einziges Medium seemoz über diesen Protest berichtet).
30 000 Stellen sind derzeit im deutschen Pflegebereich nicht besetzt, allein 700 im Landkreis Konstanz – „und die Zahl wird unweigerlich steigen“, sagt Clemens Kehl, BR aus Radolfzell voraus. „Für junge Leute gibt es weit attraktivere Ausbildungsberufe“. Und: „Die Belastung in unserem Beruf ist so hoch, dass nur noch wenige Beschäftigte in Vollzeit arbeiten können. Statistisch gesehen, ist der Pflegenotstand also noch weitaus höher“. Da helfen keine betrieblichen Teilzeit-Modelle, da hilft nur noch ein Gesetz. Deshalb: Personalbemessung per Gesetz und angemessene Bezahlung jetzt.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: hpk
Es wäre doch sicher ein Leichtes für den Gemeinderat eine nicht monetäre Anerkennung für das Pflegepersonal durchzusetzen.
Ein Jobticket für den Nahverkehr, ein Theaterabo oder z.B. eine Jahrekarte für die Therme zur freien Auswahl wäre für die Stadt Konstanz ohne weiteres stemmbar und ein feines Zeichen der persönlichen Anerkennung für Mitarbeiter, welche dem Haus noch die Stange halten und bisher noch nicht in die nahe Schweiz abgewandert sind.
Der Stadt Konstanz entgehen in diesem Bereich vermutlich kaum bis keine potentiellen Einnahmen durch solche Boni.
Von einem stabilen System, getragen von zufriedenen und dadurch – etwas – geschätzten Mitarbeitern profitieren letztlich alle.
Ganz nebenbei würde der Standort Konstanz in seiner Attraktivität als Arbeitgeber wieder ein kleines Stück dazugewinnen, was über Jahre verlorengegangen ist.
Sehenswerte Momente aus der aktuellen Pflegepraxis:
http://www.rtl.de/cms/sendungen/real-life/team-wallraff/team-wallraff-undercover-im-sankt-josef-heim-der-muenchenstift-gmbh-3ae4b-c461-29-1895750.html
http://www.rtl.de/cms/sendungen/real-life/team-wallraff/team-wallraff-undercover-im-pflegehaus-kreuzberg-der-marseille-kliniken-ag-3ae4b-c461-33-1895779.html
Mag in KN nicht so sein, aber alle Ausgaben für hiesige Prestigeobjekte müssen im Verhältnis zu diesen sozialen Missständen gesehen werden.
Weiter kämpfen!
Die Mindestpersonalbemessung in der Pflege , leistungsgerechte Vergütung und ein komplett überarbeitetes DRG System, dass auch die Pflegeleistungen angemessen gewichtet , müssen weiterhin von uns energisch eingefordert werden.
Der FGL-Antrag den spitälischen Pflegekräften einen einmaligen Bonus für ein besonders arbeitsintensives, personell stark unterbesetztes Arbeitsjahr zukommen zu lassen, wurde von der Mehrheit in die Tonne geklopft. Nur ein paar warme Worte hatten die anderen Ausschussmitglieder für die Pflegenden übrig…
Um Bewegung in das Thema zu bringen, ist wohl in Zukunft eine stärkere Focussierung auf die Patientensicherheit und den Verbrauerschutz zu richten.
Normen Küttner, FGL