Trotz alledem
Die Wahl ist gelaufen und die Linke ist sowohl in der Kommune als auch im Kreis deutlich stärker geworden. Dass die Linke Liste in Konstanz äußerst knapp einen dritten Sitz verfehlt hat, ist ein kleiner, aber vernachlässigbarer Wermutstropfen. Festzustellen bleibt: Sie hat sich nun endgültig als kommunalpolitische Kraft etabliert. Und ein Blick über den städtischen Tellerrand zeigt zusätzliche Perspektiven für die Linke rund um den Bodensee
Ich gebe offen zu, dass mich Einschätzungen langjähriger GemeinderatskollegInnen bisweilen doch überraschen. Peter Müller-Neff (Freie Grüne Liste) bezeichnete das Endergebnis der Konstanzer Gemeinderatswahl als Stärkung des linken Lagers, dem er sich anscheinend zuordnet. Ich vermute, dass ihm seine über 30jährige Mitgliedschaft im Rat – seine Parteikarriere startete er bei der CDU – ziemlich die Sinne vernebelt hat. Und ich gebe ebenso offen zu: Das immer noch hervorragende Ergebnis der FGL ärgert mich nachhaltig. Keine andere Fraktion im Rat hat sich die vergangenen Jahre derart desaströs präsentiert wie die FGL. Tief zerstritten und bei wichtigen Entscheidungen meist in zwei oder gar drei Lager gespalten. Ja, ich ging davon aus, dass diese Katastrophenkombo mindestens einen Sitz verliert. Doch die grüne Seele in Konstanz tickt in unverbrüchlicher Treue – bieder bis zur Halskrause und, von wenigen Ausnahmen abgesehen, immer öfter Beiboot der bräsigen CDU- und FWG-Flotte. Man ist eben längst angekommen im bürgerlichen Lager. Einzelne grüne Sprenkel reichen offensichtlich aus, um die WählerInnen bei der morschen Stange zu halten. Meine Hoffnung, dass wenigstens Till Seiler die FGL-Fraktion ein Stück weit erträglicher werden lässt, wurde bedauerlicherweise nicht erfüllt. Seiler, der letzte linksgrüne Kandidat, wurde nicht wieder gewählt, diese selten gewordene Spezies steht aber seit Sonntag unter Artenschutz.
Die CDU mit Methusalem Müller-Fehrenbach an der Spitze hat zugelegt. Zufrieden wird er sein, dass es ihm gelungen ist, seinen Parteikollegen Alexander Fecker zu entsorgen. Der stand während der Stimmenauszählung im Ratssaal versteinert vor der großen Leinwand und mochte nicht glauben, dass nach 30 Jahren nun Schluss ist. Fecker war der festen Überzeugung, auch Platz 20 auf der CDU-Liste würde ihm noch zur Wiederwahl verhelfen. Doch seine parteiinternen Widersacher – neben Müller-Fehrenbach noch Matthias Heider und Roger Tscheulin – haben ihn schon vor Jahren abgehakt. Als sich Fecker bei der OB-Wahl 2012 offen gegen den CDU-Kandidaten Uli Burchardt aussprach, hatte es sich endgültig ausgefeckert. Das wussten alle, nur Fecker nicht. Mit Sabine Feist zieht nach 1614 erstmals wieder eine Frau für die Christdemokraten in den Rat ein. Sie ist so ganz nach dem Geschmack der Altvorderen: Katholisch bis zur Stirnfalte und engagiert in der Pfadfinderbewegung. All ihr Tun, hat sie kürzlich sinngemäß verlauten lassen, beruhe auf „Gottvertrauen“. So muss das auch sein. Ebenfalls neu in der zehnköpfigen CDU-Riege: Der Gastronom Manfred Hölzl und Markus Nabholz. Letzterer, eine Konstanzer Fasnachtslatsche, wird wohl wenig zur Erheiterung im Rat beitragen können. Seine schlüpfrigen Witzchen zu närrischer Zeit dümpeln meist tief unterhalb der Kniekehle. Vielleicht gibt er am 11.11. eine Kostprobe ab.
Die Sozialdemokraten haben ihre sieben Sitze gehalten und können aufatmen. Den Rückzug ihres Stimmenbringers Jürgen Leipold konnten sie kompensieren. Das auch deswegen, weil vor allem Zahide Sarikas gewaltig an Stimmen dazu gewann. Persönlich bedaure ich, dass es Bernd Sonneck, der erst vor wenigen Monaten für Jürgen Leipold in das Gremium nachrückte, nicht wieder geschafft hat. Ein Verlust. Auch Jan Welsch wurde leider nicht gewählt. Dieser junge und schlaue Kopf hätte der SPD gut getan.
Die Splitterpartei FDP hat nur einen Sitz verloren und ihren Fraktionsstatus verteidigt, obwohl sie ansonsten fast überall kräftig abgewatscht wurde. Schade, dass die Konstanzer FDP glimpflich davon kam, ein Restsitz hätte ihrer politischen Bedeutung entsprochen.
Auch die Freien Wähler Konstanz (FWK) mussten erneut einen Sitz abgeben und haben nur noch fünf Mandate. Das hat viele in der Stadt überrascht, denn der Materialeinsatz dieses wirtschaftsfreundlichen Lobbyistenzirkels war enorm. Wohin man sich auch wendete in der Stadt – überall glotzte einen ein(e) FWK-KandidatIn entgegen. Ihr schlichter und altbackener Slogan „Frei statt Partei“ hat wohl nichts gebracht. Eine ganz herbe Niederlage für Weisschedel und Co.
Als deutlicher Wahlsieger darf sich das Junge Forum Konstanz (JFK) fühlen. Aus dem Stand drei Sitze, damit hatten die Newcomer selber nicht gerechnet. Inhaltlich haben sie zwar kaum etwas Neues zu bieten, ihr Programm ist fast ausnahmslos eine Zusammenschusterung dessen, was man schon alles irgendwo gelesen hat. Ich vermute, dass diese gehypte Selbsterfahrungsgruppe sehr viel Mühe haben wird, denn die Vorschusslorbeeren baumeln nun verdammt weit über ihren Köpfen. Frischen Wind mit jungen Leuten haben sie versprochen und das hat wohl gezogen. Wobei es mit der vermeintlichen Jugend so eine Sache ist bei der JFK. Ihre drei RätInnen sind allesamt im gesetzten Alter und durch die Bank kommunalpolitisch völlig unbedarft. Das muss zwar kein Nachteil sein, aber es ist zu befürchten, dass dieser Gruppierung recht schnell der Saft ausgeht. Es wäre nicht das erste Mal. Erinnern wir uns nur an die Liste von Klaus Frank, die 2009 in das Konstanzer Rathaus einzog, nach knapp drei Jahren verglühte und in der Versenkung verschwand. Genug geunkt, warten wir ab.
Die Linke Liste Konstanz (LLK) kann mehr als zufrieden sein. Als LLK-Rätin Vera Hemm ankündigte, aus Altersgründen nicht wieder zu kandidieren, gingen viele davon aus, dass es bestenfalls noch für ein Mandat reichen würde. Das Gegenteil war der Fall. Die LLK verpasste nur sehr knapp einen dritten Sitz und kam von 44 000 auf rund 67 000 Stimmen. Die LLK ist auch die einzige kommunalpolitische Gruppierung, die bei allen Wahlen seit 1999 ständig zugelegt hat. Waren es vor 15 Jahren noch 2,8 Prozent, sind es nun 6,1 Prozent. Das ist ein deutliches Zeichen und lässt für die Zukunft hoffen. Erfreulich auch, dass die Linke im Kreistag nun erstmals mit zwei Leuten vertreten ist, obwohl sie nicht flächendeckend antrat. Ein weiter Blick über den Landkreis hinaus bestätigt den Aufwärtstrend für die Linke. Ein Mandat in Sipplingen, eines in Friedrichshafen, zwei in Überlingen. Wird wohl Zeit für eine sozialistische Bodenseekonferenz, die diese Bezeichnung auch verdient. Also: Trotz alledem.
Autor: H.Reile,
der offen einräumt, beim Schreiben dieses Textes gegen alle journalistischen Maulkörbe und Denkverbote verstoßen zu haben. Er bittet um Nachsicht.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
S. Grossmann
S. u. Beides Zitate von Ihnen innerhalb dieses Threads.
@antares:
Ja eben! WO und WANN???
Grossmann oder Adenauer – Was interessiert mich mein Geschwätz…
„Und da war das JFK wohl überzeugender als die LL.“
„Wann und wo habe ich bitteschön geäußert, vom “programm des angeblich jungen forums konstanz so überzeugt” zu sein?“
@H.Reile
Hä? Wann und wo habe ich bitteschön geäußert, vom “programm des angeblich jungen forums konstanz so überzeugt“ zu sein? Gilt man bei Linken gleich als Parteigängerin, wenn man Ähnlichkeiten konstatiert?
Ach ja, die OB-Wahl 2012… Wenn man bedenkt, dass meine Wahlkampfkosten bei 20 Euro lagen, dann sind 126 Wählerstimmen doch ein super Ergebnis: 16 Cent pro Wählerstimme. Zum Vergleich: Uli Burchardt hatte damals einen Etat von 40.000 Euro angegeben – und knapp 11.000 Wählerstimmen erzielt. Macht über 3.60 Euro pro Stimme. Mit einem Etat von 40.000 Euro hätte ICH demzufolge 250.000 Wählerstimmen erringen können!!! Oder anders herum: wie weit wäre Uli Burchardt mit 20 Euro Wahlkampfetat gekommen? Oder Frau Reiser (man erinnert sich), die wenigstens 80.000 € und eine halbe Armee an Helfern verballert hat und keine 9.000 Stimmen zusammenklauben konnte?
Insofern habe ich doch gar keinen Grund, mich für mein Ergebnis zu schämen.
Warum schreib ich das hier eigentlich? Ich werde ja doch zensiert.
erte Frau Grossmann,
schön für Sie, daß Sie Politikwissenschaften studiert haben. Weiterbringen würde das allerdings alle Beteiligten, wenn Sie das in die Lage versetzen würde, mehr aus der Situation zu erkennen. In einer Zeit, in der es „wichtiger ist, einen Begriff zu besetzen als einen Bahnsteig“ (Heiner Geißler) sich mit dem Wort „überzeugender“ zufrieden zu geben, scheint mir wenig akademisch zu sein. Nun bin ich ja bloß ein Arbeiter. Vielleicht stehen Sie ja auf dem Standpunkt, die Unterschicht soll halt fressen, was ihr serviert wird.
Nur, kleines Beispiel –: Erinnern Sie sich an die Begebenheit, als Mutti Angie Merkel die Bildungspolitik zur Chef(innen)sache machte und die Bildungsrepublik ausrief? Das klang mindestens ganau so überzeugend wie es die Geburtstagssause von Victory-Joe Ackermann im Kanzleramt tatsächlich war. Nur, was ist denn daraus geworden? Sie gestatten, daß ich hier was reininterpretiere: Es war nichts weiter als ein Mediengag, man kann es auch Propagandatrick nennen.
Merkel geht es sonstwo vorbei, wie es mit der Bildung in diesem Land aussieht. Sie kriegt die Anweisungen vom bereits erwähnten Joe, mittlerweile heißen die Jungs halt Jain und Fitschen, hört auf die Souffleure von der INSM, nimmt einen publikumswirksamen Termin wie den erwähnten wahr und sagt im übrigen, Europa wäre halt keine Sozial-Union.
Da berühren wir den Punkt, der die Umkehrung des Satzes „Wissen ist Macht“ so interessant macht. Ein Schmalspur-Denker wie Lanz kriegt vom Publikum eine vor den Latz, wenn er Sahra Wagenknecht behandelt wie den letzten Dreck. Wenn eine Kanzlerin mit ihrem Wahlvolk ähnlich verfährt, vermag ihr das nichts anzuhaben. Weil die tendenzschutz-besoffenen di Lorenzos, Blomes und Lutzens der deutschen Redaktionsstuben nicht einen Kratzer an der Hochglanzfassade egal welcher Systemschlampe, – Kohl, Schröder oder Mutti – dulden.
Weshalb so eine Figur mit der Aussage „Die EU ist keine Sozial-Union“ nicht umgehend auf dem Arbeitsamt landet, führe ich darauf zurück, daß sie für diese Überzeugung überzeugender eintritt als jemand anders. Weil ich auf überzeugende Erklärungen von Ihnen, Politikwissenschaftlern also, angewiesen bin und ich selbst zu doof, so abgrundtief blöd und unfähig. Der eine oder andere kommt noch auf die kühne Idee, das alles könnte mit Neusprech was zu tun haben. Oder mit einem desolaten Zustand der „Demokratie“. Mit Bildungsferne der Unterschicht. Aber weshalb soll ich mir die Finger an derartigen Spekulationen verbrennen, wo ich doch auf Fachleute wie Sie zurückgreifen kann?
frau grossmann,
kann es sein, frau grossmann, dass sie identisch sind mit sylvia grossmann, die bei der ob-wahl 2012 sagenhafte 0,5 prozent erreicht hat und 126 bürgerInnen davon überzeugen konnte, dass sie die richtige kandidatin sei? dann wundert mich in der tat nicht, dass sie vom „programm“ des angeblich jungen forums konstanz so überzeugt sind.
schöne restwoche
h.reile
@antares
Selbstverständlich gibt es gravierende Unterschiede zwischen der LL und dem JFK. Aber es geht hier nicht um Erörterung oder Auswertung von Ideologien und Glaubensgrundsätzen. Die Bürger/innen wählen bei Kommunalwahlen keine Ideologien, sondern die Partei, welche die von den Bürger/innen empfundenen Missstände anklagt und Lösungen in Aussicht stellt. Und da war das JFK wohl überzeugender als die LL.
Und was die lokalpolitisch selben Forderungen anbelangt: einfach einen Blick ins Wahlprogramm werfen: http://jungesforumkonstanz.de/10-punkte-fuer-konstanz/
Noch was: ich komme aus einer Arbeiterfamilie und habe Politikwissenschaft studiert. DAS bestimmt MEIN Bewusstsein.
@Sylvia Grossmann
Mag ja sein, daß ich Tomaten auf den Augen habe. Aber lokalpolitische Übereinstimmungen? Dann bitte doch ein anderes Gedicht.
Womit die LLK zu kämpfen hat, ist die Tatsache, die sich aus „Wissen ist Macht – (aber noch viel mehr:) MACHT IST WISSEN“ von Wilhelm Liebknecht ergibt: Das Larifari-Gewäsch des JFK als fundierte Meinung zu verscherbeln, ernsthafte Analysen dagegen als nicht zeitgemäß, verschwendete Energie gegen die Alternativlosigkeiten der marktkonformen „Demokratie“ zu diskreditieren.
Stellen Sie doch einfach die Ideen Holger Reiles neben die von Moritz Meidert. Wenn Ihnen der Unterschied – auf der einen Seite Wertschöpfung, auf der anderen die Aneignung derselben aufgrund nicht hinterfragten Schmarotzertums – nicht auffällt, kann Ihnen vermutlich nur eine „Karriere“ als Underdog, als Prolet weiterhelfen. Denn nach wie vor gilt: DAS SEIN BESTIMMT DAS BEWUSSTSEIN.
Schade, dass es der LINKEN nicht gelungen ist, ein drittes Mandat und damit Fraktionsstärke zu erreichen. Nicht in der dringend erforderlichen Weise Politik mitgestalten zu dürfen/zu können ist absolut kein zu vernachlässigender Aspekt. Leider ist nicht anzunehmen, dass auch nur eine der gewählten Parteien den Wählerwillen versteht. So wird wohl auch in den nächsten Jahren (fast) alles beim alten bleiben. Vermeintliche „Erfahrung“ gegen Newcomer und Wählerwillen. Deshalb erwarte ich von SeeMoz, in Zukunft öfter einmal Journalistische Maulkörbe und Denkverbote aufzugeben bzw. zu vernachlässigen. Wer sollte es sonst tun!
Bevor ihr irgendwelche sozialistischen Bodenseekonferenzen abhaltet, solltet ihr erst mal analysieren, weshalb das JFK, das zwar nicht ideologisch, aber dennoch lokalpolitisch dieselben Forderungen abdeckt wie die LL, stärker aus der Wahl hervorgehen konnte. Sind es nur die „neuen Besen“, die angeblich besser kehren (und dabei zunächst wohl erst mal jede Menge Haare lassen)? Oder warum hat es die LL nicht geschafft, als „elder statesmen“ das Potential für sich abzuschöpfen? Zu leise oder halt falsch geklappert (das ja bekanntlich zum Handwerk gehört)?
@entäuschter_wähler
auch ich halte es für wichtig dass es die Linke gibt, zumindest auf Seemoz und auf die Kommunalwahl bezogen.
..Jetzt sagt die Frau Merkel, dass sie nicht mit der AfD zusammenarbeiten werde.. Darf die das? Vermutlich darf die alles.
So sehr also ist ihr die Meinung des Volkes und das Wahlergebnis wichtig? Einfach so weitermachen wie bisher. Nur die eigene
Linie zählt (der eigene Geldbeutel vermutlich eher…)!
Wenn man nicht mit den gewählten Volksvertretern zusammenarbeitet (auch wenn das einem nicht passt), könnte ich mir den Wahlengang sparen.
Vermutlich ist nur ein gewünschtes Ergebnis etwas was präsentiert werden kann. Alles andere wird schlichtweg ignoriert. Aber an sich hat das dumme Wahlvieh nicht kapiert wie Demokratie
läuft. Das hat uns ja auch so der Herr Steinmeier, der die ganze Weisheit für sich gepachtet hat und es manche nur nicht verstehen, so zu verstehen gegeben.
Hat das nicht schonmal jemand versucht?
Es bleibt spannend..
Übrigens halte ich es für wichtig, dass es die Linke und die AfD gibt!