Industrie- und Handelskammern unter Beschuss
CDU-Oberbürgermeister Uli Burchardt aus Konstanz war nach der Gemeinderatssitzung Ende Mai in Feierlaune. Eine satte Mehrheit hatte beschlossen, zusammen mit der IHK das Centrothermgebäude zu kaufen. Die IHK sei „der ideale Partner“, hieß es. Doch ist sie das wirklich? Es könnte eng werden für die IHK, denn das Bundesverfassungsgericht hat vor, demnächst über die viel kritisierten Pflichtmitgliedschaften zu entscheiden
Im Einzugsgebiet des Südkuriers ist selten etwas zu lesen, was den Bossen der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hochrhein-Bodensee missfällt. Man kennt sich und man schätzt sich, die Fassade glänzt unbeschadet unter der Lupe des seealemannischen Wir-Gefühls. Außerhalb dieser von wirtschaftlichen Interessen gesteuerten Kumpanei sieht das schon anders aus. Bereits vor Jahren schrieb die Süddeutsche Zeitung über die Handelskammern: „Zwangsabgaben, zu wenig demokratische Mitbestimmung, undurchsichtige Personalpolitik: Die Kritik an den Industrie- und Handelskammern wird immer lauter“. Der Tenor in vielen anderen Medien klingt mittlerweile ähnlich.
Lizenz zum Gelddrucken
Die 80 Kammern in Deutschland, die IHK Hochrhein-Bodensee ist eine davon, haben sich jahrzehntelang von ihren Mitgliedern mästen lassen. Denn wer hierzulande einen Betrieb eröffnet, muss in der Regel Beiträge an die IHK bezahlen. Ob er will oder nicht, denn diese Zwangsmitgliedschaft ist staatlicherseits verfügt und spült viel Geld in die Kassen der Kammern. Ihr Gesamtvermögen wird bundesweit auf fast zwei Milliarden Euro geschätzt. Doch die „Kammerrebellen“ organisieren sich und laufen Sturm, vor allem gegen die Zwangsmitgliedschaften. Aber auch gegen die „Selbstbedienungsmentalität, für die es keine richtige demokratische Kontrolle gibt“, so Kai Boeddinghaus, Geschäftsführer des Bundesverbandes für freie Kammern (BFFK), in der sich 1300 überwiegend kleine Unternehmen zusammengeschlossen haben. In vielen Bezirken hat sich Wut aufgestaut und von Misswirtschaft, Prunksucht, fehlendem Demokratieverständnis und mangelnder Transparenz in vielen IHK-Führungszirkeln ist die Rede.
Ein erster Erfolg vor Gericht
Die Kammergegner sehen aber langsam Licht am Ende des profitablen IHK-Tunnels. Das Verwaltungsgericht Koblenz hat im Herbst 2013 der dort ansässigen IHK attestiert, sie habe eine „unzulässige Vermögensbildung“ in Höhe von mehreren Millionen Euro betrieben. Bei der Ausgleichs- und Liquiditätsrücklage sei „der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf deren Höhe offenkundig nicht mehr gewahrt“, berichtete die Süddeutsche Zeitung am 14.12.2013. Dieses Urteil, hoffen IHK-Gegner, werde nur der Aufgalopp sein für eine weitere juristische Auseinandersetzung, die der Kammer bevorsteht. Denn das Thema Zwangsmitgliedschaften dürfte bald vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Wie das Wirtschaftsmagazin „Impulse“ Ende April berichtete, habe Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, „über 20 Verbände, Landesregierungen und Ministerien“ gebeten, „zur Pflichtmitgliedschaft von Unternehmen in der IHK Stellung“ zu beziehen. Ein ziemlich sicheres Indiz dafür, so Impulse weiter, „dass Karlsruhe erstmals seit 1962 ein Urteil in dieser Frage fällen könnte“.
Steuerzahler finanzieren Bildungszentren
Die IHK Hochrhein-Bodensee genehmigt sich schon mal Protzbauten, wie neulich in Schopfheim. Das neue Bildungszentrum vor Ort, berichtete kürzlich die Publikation Deutsche Wirtschafts Nachrichten, wird etwa 6 Millionen Euro kosten. 2,2 Millionen berappt der Bund, dazu kommt ein Zuschuss von 1,675 Millionen aus Stuttgart. Fazit: Fast zwei Drittel der Projektkosten werden vom Steuerzahler übernommen.
Das kann auch mal schief gehen, wie nicht nur ein Blick nach Schwerin zeigt. Das IHK-Bildungszentrum dort geriet in die Insolvenz und wird nun geschlossen. Auch bei diesem Bau flossen mehrere Millionen Euro an Fördergeldern.
Müssen für den Kauf des Centrothermgebäudes in Konstanz ebenfalls öffentliche Gelder in Anspruch genommen werden? Wer sich auf der Internetseite der IHK Hochrhein-Bodensee über die Details informieren möchte, bekommt nur magere Informationen. Bei der kommenden Vollversammlung, so immerhin eine Auskunft von der Konstanzer Geschäftsstelle, werde das Thema wohl auf der Tagesordnung auftauchen. Der Termin stehe, sei aber von Geschäftsführer Claudius Marx noch nicht frei gegeben worden.
Herrn Marx` Verständnis für Uli Hoeneß
Professor Claudius Marx, Geschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee, ist kein Freund von Transparenz. Bei einem Interview mit dem Südkurier wurde er verschämt nach seinem Gehalt gefragt. Marx ließ die Frager arrogant an seiner Schreibtischkante abtropfen: „Etwas weniger, als angemessen wäre“. Dabei hält sich mittlerweile fast jede größere börsenorientierte Aktiengesellschaft an die Offenlegung der Gehälter und auch innerhalb der einzelnen IHK-Bezirke bemüht man sich um etwas mehr Transparenz. Bei Claudius Marx ist das noch nicht angekommen.
Er schreibt aber gerne und offenbart seine Sicht auf das Weltengeläuf. Wie es darum bestellt ist, ließ er vergangenes Jahr in einer Kolumne wissen, in der er sich bemüßigt fühlte, die zunehmend soziale Schieflage zu kommentieren. Man solle das Ganze nicht überbewerten, denn „die Wohlhabenden schmeißen den Laden“. Im Juni 2013 ergriff Claudius Marx in einer IHK-Postille unter dem Kürzel „mx“ Partei für den Steuersünder Uli Hoeneß und lamentierte, dass bei dem Fussballmanager „kein Auge zugedrückt“ und „keine Ausnahme gemacht“ worden sei. Außerdem teilte er den LeserInnen mit, dass Hoeneß im Laufe seines Lebens alleine mehr Steuern bezahlt habe, als zusammen genommen drei Viertel seiner Kritiker.
Süffisant schrieb dazu der Bundesverband für freie Kammern auf seiner Internetseite: „Was heißt das übersetzt? Dass wer viel Steuern bezahlt, auch schon mal was hinterziehen darf? (…) Es ist schon mehr als bemerkenswert, dass ein solcher Text, ein solcher Aufruf zur Relativierung von Steuervergehen in einer Publikation einer Behörde erscheint (…..) Denn nicht alles, was selbstverständlich unter die Meinungsfreiheit fällt, kann ein Organ einer Körperschaft mit Zwangsmitgliedern, in der von allen diesen Mitgliedern finanzierten Zeitung auch veröffentlichen. Eine Kammerpostille ist eben keine normale Zeitung“.
Ist diese IHK mit Claudius Marx an der Spitze wirklich ein idealer Partner für die Stadt Konstanz?[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: H. Reile
Stimme der Lesermeinung von „spixx“ ohne wenn und aber zu. Als selbständiger Kaufmann kassiert die IHK bei mir nur, ohne eine erkennbare Gegenleistung zu bieten. Lobbyarbeit für Ausbildung und Geschäftsfeld leisten Berufsverbände effektiver. Die Mitgliedschaft ist hier freiwillig. Beruflich bezogene Gegenleistung und Transparenz erheblich höher. Die elitären Neujahrsempfänge der IHK sind Beweihräucherungs-Veranstaltungen weniger „besserer“ Mitglieder unter Einbeziehung regionaler Politikprominenz vorwiegend aus der CDU auf Kosten der Mehrheit der Zwangsmitglieder. Hoffentlich ist der undemokratischen Zwangsmitgliedschaft ein baldiges Ende beschieden.
Noch ein Nachschlag: Interessant ist, dass der werte Herr IHK-Professor seit diesem Jahr keine „spitze Feder“ mehr schreibt. Woran mag das liegen? Keine Zeit mehr oder keine Themen? Und es ist tatsächlich so, wie es im Artikel steht. Die Kammern lassen sich vom Staat und damit von Steuergeldern ordentlich bezuschussen. Ohne öffentliche Millionen wäre die Bildungsakademie in Singen niemals gebaut worden. Wie war es da eigentlich beim Verkauf des BA-Geländes in der Konstanzer Opelstrasse? Wurden die öffentlichen Zuschüsse von damals eigentlich zurückgezahlt, oder wanderten diese in die Kammerkasse?
Und was ist mit den anderen Kammern, z. B. Handwerks- und Ärztekammer? Dort herrschen teilweise haarsträubende Zustände, „herrschen“ ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen. Die Kammern sind ein reiner Selbstbedienungsladen unter dem breiten Deckmantel sogenannter „hoheitlicher Aufgaben“. Diese beziehen sich unter anderem auf die berufsmässige Kontrolle ihrer Mitgliedsunternehmen und vor allem auf das duale Bildungssystem. Hier haben die Länder ihre Bildungszuständigkeit weitgehend auf die Kammern abgetreten, die dann – bei der Handwerkskammer – horrende Gebühren z. B. für Meisterlehrgänge und -prüfungen verlangen können, zwischen 3500 und 6500 Euro kommen da gut und gerne zusammen. Damit und mit Mitgliedsbeiträgen lässt sich dann eine teure neue Bildungsakademie in Singen prima finanzieren. Wo bleibt dabei eigentlich der Gleichheitsgrundsatz? Studieren an FH und Uni ist kostenlos! Und, mal eine ganz einfache Rechnung: Die Handwerkskammer Konstanz hat rund 12500 Zwangs- oder verniedlichend ausgedrückt Pflichtmitglieder. Bei einem durchschnittlichen Beitragssatz von 400 Euro pro Jahr (kleine Betriebe zahlen weniger, grosse mehr) kommen da 5 Millionen Euro im Jahr an Beiträgen zusammen. Und bei der IHK sind es bei einem Durchschnitts-Beitrag von 500 (kleine Betriebe zahlen manchmal null, grosse Industrieunternehmen mehrere 1000 Euro im Jahr) und 36000 Betrieben 18 Millionen Euro. Wenn das keine Selbstbedienungsläden sind!!!
Der Beitrag orientiert sich am Gewerbesteuerhebesatz des Zwangsmitgliedes. Da kommen schnell hohe Summen zustande. Und die Lobby zwischen IHK, CDU ist brutal stark. Es wäre wirklich ein Segen, wenn diese Struktur von einem klugen Richterspruch aufgebrochen werden würde. Ich selber bin seit vielen Jahren Mehrheitsgesellschafter dreier GmbH´s und weiss immer noch nicht, wofür die IHK eigentlich Beiträge kassiert….
Diese Zwangsmitgliedschaft in der IHK ist anachronistisch, arrogant und bevormundend. Als Ein-Mann-GmbH habe ich außer dem Zwangsbeitrag (ca. 204,50 Euro für 2014) nichts aber auch gar nichts von diesem Obulus. Die blöde monatliche Zeitschrift ist Quatsch und landet direkt im Papiermüll. Wenn man denn Weiterbildungsangebote der IHK wahrnehmen will, muss man diese sowieso extra bezahlen. Wenn man bei der IHK nachfragt warum man denn da Mitglied sein muß, bekommt man Aussagen wie: gesetzlich vorgeschrieben, ist doch in meinem Sinne, IHK ist die Interessenvertretung, etc.
Also meine Interessen vertrete ich selbst, da brauch ich keine IHK dazu. Und was die genau bei mir vertreten wollten, konnten sie mir auch nicht sagen.
Noch nicht einmal zum Neujahrsempfang wird man als Zwangsmitglied eingeladen. Auf meine Nachfrage bekam ich dann eine Einladung. Aber im nächsten Jahr schon nicht mehr. Da will man unter sich bleiben. Das Fußvolk soll gefälligst bezahlen. Selbst macht man dann so Aussagen wie Claudius Marx über Hoeneß. Die Bodenhaftung ist deutlich verloren gegangen. Sobald da irgendetwas gerichtlich in die Wege kommt bin ich raus aus dem Zwangsverein. Da zahle ich noch lieber Steuern als so etwas.