Kein Recht auf Glück

Das Los von Carmen Oettli wirft Fragen auf: Warum darf sie ihren Gewinn nicht behalten? Sind Hartz-IV-EmpfängerInnen nur Menschen zweiter Klasse? Und müssen Jobcenter-Angestellte alles tun, was das Gesetz erlaubt? Oder: Was kostet Menschlichkeit?

Eine kleine, lokale Lotterie hat wahrscheinlich nicht so viele Mitspieler wie staatliches Lotto. Natürlich, die ausgeschütteten Beträge erreichen auch nicht die Millionengrenze. Trotzdem: Wer schon einmal etwas gewonnen hat, der weiß: Man freut sich, unabhängig vom Wert des Gewinns. Sicherlich hat sich Carmen Oettli, Gewinnerin des Südkurier-Gewinnspiels, genauso gefreut. Sie durfte sich über etwa 800 € – eine Monatsmiete – freuen, die vom Südkurier übernommen wurde.

Leider jedoch wird ihr der Stolz des Siegers vergangen sein. ‚Wie gewonnen, so zerronnen‘, könnte man sagen. Die Frage ist: Was hat sie falsch gemacht? Traurige Antwort: Hartz IV. Carmen Oettli ist Empfängerin von Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II), bekannt als Hartz IV-Leistungen. Voraussetzung zum Bezug von Hartz IV ist Bedürftigkeit. Das SGB II zwingt Arbeitslose, zuerst eigenes Vermögen zu verbrauchen, bevor der Staat unter die Arme greift. Auch zahlt das Jobcenter nicht, wenn der Leistungsempfänger oder die Leistungsempfängerin eigenes Einkommen im Sinne des Paragraphen 11 SGB II vorweisen kann. Eigenes Einkommen ist mit wenigen Ausnahmen alles Geld, das der Hartz IV-Empfänger erhält. Das bedeutet: Auch Gewinne einer Lotterie – und sind sie noch so klein, wie der Fall hier zeigt – müssen gegenüber dem Jobcenter angegeben werden.

Bekommt man trotzdem Hartz-IV-Leistungen, so fordert der Staat diese erbarmungslos zurück. Das Buch, das jeder Leistungsempfänger zu Beginn seines Leistungsbezugs erhält, soll – in feinstem Juristendeutsch – alles Vertrauen in die Richtigkeit des Leistungsbescheids zerrütten. Doch wer liest schon so viel Kleingedrucktes? Die Behörden handeln dabei nur aufgrund geltenden Rechts – und hier liegt das Problem: Solange die Rechtslage bestehen bleibt, werden Hartz IV-Empfänger weiter sanktioniert, dürfen weiterhin kein Glück haben und haben kaum eine Chance, aus ihrer Situation herauszuwachsen. Wie soll man sich auf dieser Grundlage eine Zukunft aufbauen? Hartz IV bleibt eine unendliche Abwärtsspirale. Da hilft nur Abwählen.

Die Einzigen, die in der Zwischenzeit Abhilfe schaffen können, sind die Angestellten des Jobcenters: Wenn man in der Zeitung liest, dass ein Klient im Lotto gewinnt, dann drückt jeder, der seine Mitmenschen auch als Mensch behandelt, ein Auge zu. Unsere Gesellschaft lebt davon, wegzusehen – gerade dann, wenn anderen Leid zugefügt wird. Warum hier gerade nicht? Deutsche Gründlichkeit?

Für Frau Oettli heißt das jetzt: Alles zurückzahlen und das natürlich ohne eigenes Einkommen. Wenn man von den 395 € Regelsatz Hartz IV leben muss, eine schier unmögliche Herausforderung.

Autor: Simon Pschorr