Zeitungstod auf Raten
Die Chefredaktion ausgewechselt, Arbeitsplätze abgebaut, wackere „Redaktoren“ demonstrierten: Der „Landbote“ aus Winterthur, einst im Ruf, die liberalste Zeitung in der Deutsch-Schweiz zu sein, wird Stück für Stück abgewickelt. So liefert seit Juni die „Berner Zeitung“ den wichtigsten Teil des „Mantels“ – der letzte Schritt einer Rationalisierung mit dem Medienkonzern Tamedia im Hintergrund
Im August 2013 hatten die Besitzer des „Landboten“ nach langem Zögern beschlossen, den Verlag und dessen Druckerei der Tamedia zu verkaufen. Bereits 2005 hat das Zürcher Verlagshaus einen Anteil von 20 Prozent an der Ziegler Druck und Verlags AG in Winterthur übernommen. Damals hatte sich Tamedia auch ein Vorkaufsrecht für die Übernahme des Winterthurer Medienhauses gesichert, von dem dann im Vorjahr Gebrauch gemacht wurde.
Tamedia kauft – Chefredakteurin geht
Tamedia ist in der Schweizer Presselandschaft nicht irgendwer: Neben der NZZ-Gruppe und Ringier zählt die Tamedia AG mit 27 Zeitungen – darunter der „Tages-Anzeiger“, das „Sonntagsblatt“, „20 Minuten“ und die „Berner Zeitung“-, vier Zeitschriften und etlichen Sendern zu den größten Presse-Konzernen im Nachbarland. Die endgültige Übernahme des „Landboten“ für rund 50 Millonen Franken führte dann wohl auch zum Weggang von Colette Gradwohl. Die Chefredakteurin stellte ihren Job im Januar zur Verfügung – wie heißt es in solchen Fällen üblicherweise – „aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen über die Weiterentwicklung des Landboten“. Ihr Nachfolger wurde Benjamin Geiger, der aus der Tamedia-Gruppe kommt.
Gleichwohl machten in diesem Frühjahr weitere Rationalisierungs-Gerüchte die Runde. Von Zusammenlegung mit anderen Regionalzeitungen aus dem Züricher Raum war die Rede und von 25 Arbeitsplätzen, die in Winterthur abgebaut werden sollten. Die Unruhe wurde schließlich so groß, dass Redakteure in Zürich und Winterthur auf die Straße gingen, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu demonstrieren.
Großteil des Mantels kommt aus Bern
Jetzt scheint die Umstruktuierung zu greifen. Ein Teil des „Mantels“ (so nennt man die Zeitungsseiten der klassischen Redaktionen „Politik“, „Wirtschaft“, „Kultur“, „Vermischtes“ und „Sport“) wird von der „Berner Zeitung“ übernommen. „Die Ausland- und Inland-Seiten sowie die „Letzte“ mit den vermischten Meldungen werden seit Anfang Juni 2014 von der Berner Zeitung hergestellt“, erklärt Jakob Bächtold, stellvertretender Chefredaktor in der Redaktion Landbote, um gleich abzuwiegeln, „der überregionale Sport wird hingegen weiterhin bei uns in Winterthur produziert. Ebenso der „Zürich“-Teil, also die Berichterstattung über Kanton und Stadt Zürich“.
Auch der Arbeitsplatz-Abbau sei glimpflich abgewickelt worden: „Im Zuge der Umstrukturierung ist im gesamten Zeitungsverbund, inklusive dem Verlag, jedoch neun MitarbeiterInnen gekündigt worden. Der Einschnitt fiel weit weniger gravierend aus als Anfang Jahr befürchtet, als noch von 25 Entlassungen die Rede war“, weiß Bächtold. Und stellt klar: „Am Standort Winterthur hat die Umstrukturierung unter dem Strich keine Arbeitsplätze gekostet. Das Zürich- sowie das Sport-Team sind ausgebaut worden. Da Technik-Abteilungen hierher verlegt worden sind, arbeiten nun insgesamt mehr Personen am Standort Winterthur….In der Landbote-Redaktion haben wir insgesamt vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter soeben neu angestellt“.
Bleibt die Zeitung liberal?
Und eine weitere Klarstellung ist dem stellvertretenden Chefredakteur wichtig: „Grundsätzlich ändert sich nichts an der Ausrichtung unserer Zeitung. Neu stellen wir das Geschehen in Stadt und Region noch deutlicher ins Zentrum, darum sind diese Seiten nun auch in der Zeitung vorne positioniert“.
Da allerdings sind Zweifel angebracht. Die „Berner Zeitung“ (BZ) ist mit einer Auflage von 114 000 Exemplaren die drittgrößte Abonnement-Zeitung der Schweiz und fast viermal so groß wie der „Landbote“. Ihre politische Ausrichtung ist nach Einschätzung Schweizer Medienwissenschaftler zwischen „Mitte“ und „wirtschaftsliberal“ anzusiedeln. Wieso sich das in Zukunft nicht auf den Politik- und Wirtschaft-Seiten auch des „Landboten“ niederschlagen soll, ist kaum einzusehen. Was wohl auch heißt: Neben weiteren Rationalisierungen (die Kooperation mit den auch von Tamedia verlegten Tageszeitungen „Zürcher Unterländer“ und „Zürichsee-Zeitung“ soll weiter ausgebaut werden) stehen Beschäftigten und Lesern des „Landboten“ auch inhaltliche Veränderungen ins Haus.
Autor: hpk