Gemeinschaftsschule verändert die Schullandschaft
Lernen ohne Notendruck und Angst vorm Sitzenbleiben? Wovon Generationen von Schülern träumten, wird langsam Wirklichkeit: Die Konstanzer Gemeinschaftsschule wächst rasanter als geplant und stellt die Verwaltung vor erhebliche Herausforderungen. Der Gemeinderat fasste daher jetzt einige für die Konstanzer Schulentwicklung wegweisende Beschlüsse, die für gleich zwei Traditionsschulen das Aus bedeuten dürften
Der Trend ist nach Angaben der Verwaltung eindeutig: „Das Wahlverhalten bei den weiterführenden Schulen ist in Konstanz nach wie vor dadurch geprägt, dass über 60% das Gymnasium und annähernd 20% die neue Schulart Gemeinschaftsschule wählen, was zu Lasten der Schularten Werkreal- und Realschule geht und die Frage nach dem Erhalt aller Standorte aufwirft.“ Die in konservativen Kreisen kritisch beäugte Gemeinschaftsschule, die mit dem strikten Selektionsmodell des traditionellen mehrgliedrigen Schulsystems brechen und dem Nachwuchs mehr Chancengleichheit beim Start ins Leben bieten soll, wird in Konstanz also zum Erfolgsmodell, bereitet den Planern aber Kopfzerbrechen.
Abstimmung mit den Füßen
Bürgermeister Andreas Osner verwies darauf, dass die Planer eigentlich eine vierzügige Gemeinschaftsschule einrichten wollten, dann aber von der hohen Zahl der Anmeldungen überrollt wurden und jetzt, da sie aus rechtlichen Gründen keine Schüler abweisen dürfen, eine sechszügige Gemeinschaftsschule einrichten müssen, was immense organisatorische Probleme mit sich bringe. Waltraut Liebl-Kopitzki, die Leiterin des Amtes für Schule, Bildung und Wissenschaft, ergänzte, dass nach derzeitigem Stand insgesamt 1246 Quadratmeter für diese Schule fehlten, weshalb nicht daran zu denken sei, am Standort Zähringerplatz zusätzlich zur Gemeinschaftsschule auch noch eine zweizügige Theodor-Heuss-Realschule beizubehalten. Die Verwaltung plant nach eigenen Angaben vielmehr „bis auf Weiteres den Ausbau der sechszügigen Gemeinschaftsschule durch Nutzung des Raumbestands am Zähringerplatz und den Neubau auf dem Pestalozzi-Areal.“
Theodor-Heuss-Schule ade?
Der Hintergrund dieser ihrer Bemerkung war ein Zusatzantrag des Gesamtelternbeirates, der wollte, dass – nach der Ausbreitung der Gemeinschaftsschule auf das neue Gebäude an der Pestalozzistraße – am Zähringerplatz in der Theodor-Heuss-Schule dauerhaft eine zweizügige Realschule beibehalten werden solle. Derzeit ist von nur einem Zug die Rede, der später aber der Gemeinschaftsschule geopfert werden könnte, was das Ende für die Theodor-Heuss-Schule wäre.
Einen Fürsprecher fand die Realschule am jetzigen Standort in Heinrich Everke (FDP), der meinte, der derzeitige Run auf die Gemeinschaftsschule sei eine Modeerscheinung, die sich in ein paar Jahren „normalisiert“ haben dürfte, so dass man hier auf jeden Fall eine mindestens einzügige Realschule vorhalten müsse. In dieselbe Kerbe schlug der offensichtlich agitierte Kurt Demmler (CDU), sonst eher einer der Stillen im Rate, der die Gemeinschaftsschule in Bausch und Bogen als ausschließlich ideologisch motiviertes rot-grünes Teufelswerk verdammte.
Nach einem wirren Ringen um einzelne Wörter seines Beschlusses beauftragte der Gemeinderat mit 28:10 Stimmen die Verwaltung, wie es in prächtigstem Verwaltungsvorlagendeutsch heißt, „darzustellen, wie die dauerhafte Aufnahme von bis zu sechs Zügen an der Gemeinschaftsschule Gebhard räumlich gelöst werden kann und welche Auswirkungen dies auf die bestehende Schullandschaft hat.“
Nun hat die Theodor-Heuss-Schule, die sichtlich um ihr Überleben kämpft, beantragt, sich auch zur Gemeinschaftsschule fortentwickeln zu dürfen, und so ihre Eigenständigkeit zu erhalten, stand damit aber auf verlorenem Posten, da der Gemeinderat einstimmig der Meinung war, man brauche in unmittelbarer Nachbarschaft nicht zwei separate Gemeinschaftsschulen. Benötigt man später eine weitere Gemeinschaftsschule, wird diese wohl eher in Wollmatingen entstehen.
In dieser Sitzung wurde auch klar, was künftig aus den Realschülern in Konstanz werden soll: Die Geschwister-Scholl-Schule in Wollmatingen soll so ausgebaut werden, dass sie genug Raum für alle Realschüler/innen aus Konstanz bietet. Sollte die Gemeinschaftsschule weiter derartigen Zuspruch finden, dürfte die Theodor-Heuss-Schule geopfert werden.
Zoffingen ade!
Eine andere Entscheidung der Gemeinderätinnen und -räte löste bei einigen Alteingesessenen sichtlich emotionale Reaktionen aus: Da die Anmeldungen stetig zurückgegangen sind, ist das Ende der Werkrealschule/Realschule Zoffingen gekommen, denn ab dem Schuljahr 2015/2016 werden keine Schülerinnen mehr in die Eingangsklassen 5 aufgenommen, und am 31.08.2019 läuft der Mietvertrag mit dem Nonnenkloster aus, was dann nach annähernd 250 Jahren das Ende der Traditionsschule bedeutet.
Es gibt auch in der Schulpolitik zahlreiche Unwägbarkeiten: Niemand weiß genau, für welche Schultypen sich Eltern und SchülerInnen in einigen Jahren entscheiden werden, und niemand kann vorhersagen, ob es nicht in der Bildungspolitik nach den nächsten Landtagswahlen einen erneuten Richtungswechsel geben wird. Der Plan für Konstanz wird in der Vorlage so umrissen: „Die Zahl und Auslastung der vier Gymnasien mit jeweils vier Zügen entwickelt sich wie geplant seit Jahren stabil, die Werkrealschule bildet mit der Berchenschule einen starken Standort, die Realschule kann am Standort Geschwister-Scholl-Schule ein hohes Maß an Profilen und Wahlangeboten offerieren. Sollte durch weitere Entwicklungen und Nachfrage in Wollmatingen eine zweite Konstanzer Gemeinschaftsschule entstehen, kann mit der dargestellten Konzeption der Gemeinschaftsschule Gebhard reagiert werden.“
Man darf sich aber sicher sein, dass die Diskussion um Standorte und Konzepte insbesondere in Gemeinderat und Elternschaft weitergeht, denn man sollte nicht vergessen, welch großes Land Deutschland ist – es beherbergt ja neben 80 Millionen Fußballbundestrainern auch noch ca. 40 Millionen Bildungsexperten.
Kinderbetreuung für Gemeinderatsmitglieder
Manche/r Normalmensch/in mag diese Entscheidung mit einem gewissen Neid beäugen: Der Gemeinderat beschloss auf Antrag der FGL eine Regelung für die Kinderbetreuung für MandatsträgerInnen mit dem schönen Titel „Satzung zur Änderung der Satzung über die Entschädigung ehrenamtlich tätiger EinwohnerInnen“. Demnach werden Gemeinderätinnen und -räten für die Dauer ihrer Anwesenheit bei einer Sitzung des Gemeinderates sowie seiner Ausschüsse und Beiräte gegen Nachweis die Betreuungskosten bis max. 10 €/Stunde für die Betreuung von Kindern unter 14 Jahren erstattet. Dies gilt allerdings nicht, und dies brachte der Oberbürgermeister noch in letzter Sekunde ein, wenn die Betreuung durch Ehepartner oder LebensgefährtInnen erfolgt. Einzig Anselm Venedey (FWK) stimmte dagegen – er findet, dass diese Entschädigung angesichts der schwierigen Lage bei der Kinderbetreuung ein Geschmäckle von Selbstbedienung habe.
In der Tat ist dies eine nicht unproblematische Entscheidung: Einerseits ist es dringend an der Zeit, die Arbeit im Gemeinderat, die sich für engagierte Mitglieder kleinerer Fraktionen schnell zu einer 20-Stunden-Woche auswächst, besser zu honorieren und auch für abhängig Beschäftigte und Eltern attraktiver zu gestalten. Andererseits könnte so manche Werktätige, die bis in den späten Abend hinein hinter einer Verkaufstheke stehen muss, ein wenig mehr Unterstützung etwa durch die Abendöffnung von Betreuungseinrichtungen auch dringend gebrauchen.
Der OB und die Mitbestimmung
Eine scheinbare Petitesse am Rande zeigte, wes Geistes Kind CDU-Oberbürgermeister Uli Burchardt ist, wenn es um Arbeitnehmerbelange geht: Der OB klagte darüber, dass die Stadt jetzt, wo sie mehr als 1000 Mitarbeiter beschäftigt und das neue Landespersonalvertretungsgesetz (LPVG) in Kraft getreten ist, statt des bisherigen einen gleich drei Personalräte freistellen muss. Er verstehe einfach nicht, was diese Regelung bringen solle. Nach seiner Ansicht würde auch weiterhin ein einziger freigestellter Personalrat genügen, und zudem (so barmte er im Tone eines beleidigten Unternehmers, der wieder einmal den Hit vom Standortnachteil anstimmt) seien es sogar sechs Menschen, die sich diese drei Stellen teilen. Angesichts dieser Äußerungen klingt das Lob, das er (wie auch der Gemeinderat) den Beschäftigten immer wieder üppig spendet, wenn Jahres- und Tätigkeitsberichte vorgestellt werden, ziemlich hohl. Die Arbeit machen dürfen die Beschäftigten, doch ansonsten gilt für den Oberbürgermeister scheint’s: Mitbestimmung – nein danke!
Autor: O. Pugliese