Das Führungsduo räumt im Konstanzer Klinikum auf
Am Klinikum Konstanz brodelt es: Geschätzt die Hälfte der Ärzte habe gekündigt, Pflegekräfte seien in die Schweiz abgewandert, das Betriebsklima sei miserabel. Wir haben uns darum mit Beschäftigten zusammen gesetzt, um auszuloten: Wie wurde die Fusion zum Gesundheitsverbund verkraftet? Und niemand sollte sich wundern, dass keiner unserer Gesprächspartner mit Namen genannt werden will
Täuscht der Eindruck, dass der peinliche Rausschmiss von Professor Müller-Esch, der als Chefarzt die Konstanzer Krankenhaus-Struktur kritisiert hatte, zum Sündenfall wurde? Sind Konsequenzen gezogen worden?
Oberarzt: Ganz im Gegenteil. Noch heute fehlt die Demut vor dem richterlichen Entscheid, der immerhin im Namen des Volkes erging. Die leitenden Manager des Klinikums erklären den Richterspruch immer noch für gänzlich unverständlich, halten sich für Opfer statt für Täter, von Selbstkritik keine Spur. Somit versandet die Müller-Esch-Kritik, die umzusetzen viel Ärger erspart hätte.
Mit welchen Folgen?
Betriebsrat: Der Arbeitsdruck nimmt zu. Der diensthabende Notarzt ist heute gleichzeitig für den Schmerzdienst verantwortlich, er hat also zwei bis sechs Stunden mehr Arbeit für die gleiche Vergütung und wenn er viele Notarzteinsätze hat, muss der Schmerzpatient eben warten… Zuletzt wurde diskutiert, ob der Notarzt auch nachts für die Intensivstation da sein kann. So ist schon jetzt eine verantwortungsvolle Patienten-Betreuung kaum mehr möglich. Manchmal denkt man: Genau wie in einem privatisierten Krankenhaus.
Doch der Konstanzer Geschäftsführer Rainer Ott verkündete jüngst, dass er die zu erwartenden Lohnzuwächse für das gravierendste Problem der Zukunft hält.
Krankenschwester: Genau so wird die fehlende Wertschätzung für die Arbeit des Pflegepersonals tagtäglich dokumentiert. Statt für eine bessere Bezahlung und für eine ausreichende Besetzung in den Stationen zu sorgen, die den Exodus in die Schweiz oder andere Konstanzer Gesundheitsbetriebe stoppen könnte, wird an allen Ecken und Enden gespart. Die Arbeitsbelastung ist kaum noch zu toppen. Die Kolleginnen, und es handelt sich ja fast ausschließlich um Frauen, sind ausgepowert und leiden darunter, dass sie die Patienten nicht so betreuen können, wie die es verdienten, und wie sie es selber wollen, um einen befriedigenden Job zu machen.
Bei der Fusion mit den Kliniken in Singen und Radolfzell zum Gesundheitsverbund im Landkreis Konstanz scheint es zu knirschen; noch liegen die aktuellen Wirtschaftsdaten unter Plan. Könnte der künstlich aufgebauschte Druck der Wirtschaftlichkeit zu neuen Einschränkungen führen?
Betriebsrat: Tut er doch schon. Manchem Chefarzt wird von der Geschäftsführung nicht einmal mehr Auskunft gegeben, wie viele Stellen seiner Abteilung zustehen würden. Natürlich gibt es eine natürliche Fluktuation, aber dass innerhalb von drei Jahren geschätzt über die Hälfte der Ärzte die Klinik verlässt, gab es auch zu anderen schlechten Zeiten nicht. Es sind aber nicht nur die Ärzte – seit 2012 kamen allein fünf ehemalige OP- und Anästhesie-Schwestern und -Pfleger in der Klinik Seeschau in der Schweiz an.
Krankenschwester: Es gibt zwei große Probleme, die zu Missstimmungen, aber auch zur Dünnhäutigkeit bei vielen Beschäftigten führen. Einerseits ist es die Situation innerhalb des Gesundheitsverbundes und somit das Verhältnis zum HBH-Klinik-Anteil („Singen“); andererseits ist es der Umgangston und die fehlende Wertschätzung für die Arbeit und die Leistung der Mitarbeiter.
Konkrete Beispiele bitte.
Oberarzt: Vor vielen Jahren wurde auf Druck der Landesregierung der Tausch Urologie – Kinderklinik gegen den Willen der damaligen Kliniken in Konstanz und Singen erzwungen. Das Konstrukt hielt notgedrungen, bis die Chefärzte in Ruhestand gingen. Zum Bruch kam es, als sich Konstanz nach Prof. Pfitzenmeier einen neuen Urologie-Chef suchte. Wenig beachtet wurde, dass bereits zuvor Singen nicht mit dem neuen Konstanzer Kinderklinik-Chef Prof. Gessler einverstanden war und somit ein neuer Chefarzt für eine wieder eigenständige Kinderklinik in Singen gesucht wurde. Diese neue Pädiatrie/Neonatologie in Singen hatte nicht nur schnell bessere Zahlen, sondern konnte sich auch im Kampf um den Standort des perinatologischen Schwerpunktes durchsetzen. Die Konstanzer Kinderklinik verlor dadurch Patienten, „Zahlen“, Einnahmen und wahrscheinlich auch Stellen.
Das aber passierte vor der Gründung des Gesundheitsverbundes und ist womöglich in der gegenwärtigen Diskussion gar nicht mehr relevant…
Betriebsrat: Also anderes Beispiel: Urologie. Dass die Urologie in Konstanz als kleine Abteilung mit wenigen Betten und Beschäftigten grundsätzlich zur Disposition steht, war schon in der Gründungsphase des Gesundheitsverbundes klar. Es kam nicht von ungefähr, dass sich ausgerechnet Dr. Zantl als Leiter der Urologie gegen Müller-Esch auflehnte. Schon damals, als 2010 innerhalb der Chefarzt-Runde ein erster Putschversuch gegen Müller-Esch scheiterte, wurde der Ruf des Klinikums Konstanz ernsthaft beschädigt.
Oberarzt: Jetzt arbeiten bis auf einen Oberarzt die Ex-Konstanzer Urologen alle in Singen, dürfen da aber nicht sehr viel tun, weil sie nicht eingewiesen werden. Die Lehrzeit für moderne operative Methoden wie die Roboter-OPs durch da Vinci hat eben eine Lernkurve und wenn alle Singener das schon einige Zeit machen, dann kommen die Konstanzer Kollegen nicht dazu, weil niemand sie anleiten mag. Ergebnis des Urologie-Switch: In Konstanz nur noch einfache Grundversorgung, in Singen großes Spektrum.
Auch rund um die Visceral-, Kinder- und Gefäßchirurgie gibt es seit langem Gerüchte, besser: Ungereimtheiten. Können Sie uns da aufklären?
Oberarzt: Als die Verhandlungen zum Klinikverbund bereits liefen, entschloss sich Dr. Eder, der von allen geschätzte Leiter der Gefäßchirurgie, Konstanz zu verlassen und wurde Chefarzt in Donaueschingen, später im Großklinikum Villingen-Schwenningen. Danach wurde gefragt, wie denn die Gefäßchirurgie in Konstanz weiter geführt werden solle. Antwort Dr. Zantl: Die Stelle wird nicht ausgeschrieben, denn eine Gefäßchirurgie gibt es ja auch in Singen und so würde nur Konkurrenz geschaffen. Offensichtlich also ein Bereich, den man kampflos aufgeben will…
Betriebsrat: …nach der Gründung des Gesundheitsverbundes machte die Meldung die Runde, die Gefäßchirurgie würde aus der Allgemeinchirurgie herausgenommen und eine eigenständige Abteilung werden. Das konnte kein Insider verstehen, denn mit Synergieeffekten und Schwerpunktverteilung hatte diese Idee nun gar nichts zu tun. Einige Zeit später dann das Gerücht, die Konstanzer Gefäßchirurgie würde zur Dependance der Singener Klinik für Gefäßchirurgie. Ob das nun Realität wird oder nicht – es reichte für Prof. Reith als Chef der Visceral-, Kinder- und Gefäßchirurgie, nach Nagold zu wechseln. Und vermutlich wird auch diese Stelle nicht neu besetzt – Bahn frei auch hier für Singen.
Für einen Außenstehenden ist das alles reichlich verwirrend. Aber hängen bleibt: Das Führungsduo im Klinikum Konstanz, Rainer Ott und Niko Zantl, Klinikum-Geschäftsführer und Ärztlicher Direktor, geben zahlreiche Positionen preis und bereiten den Boden für eine Übernahme in Richtung Singen…
Betriebsrat: Das ist wohl so.
Krankenschwester: Leider.
Oberarzt: Dem ist nichts hinzuzufügen.
Danke für das Gespräch, danke für Ihre Offenheit. Sie können sicher sein: Für die Redaktion ist Informantenschutz keine Phrase – Ihre Anonymität bleibt in jedem Fall gewahrt.
Das Gespräch führte Hans-Peter Koch
Interessanter Artikel. Ich selbst halte die Fusion durchaus für den richtigen Weg. Wenn ich die Struktur in anderen Bundesländern ansehe (Krankenhaus im Umkreis von 30 – 40 km), wird hier schon auf hohem Niveau gejammert, wenn ein Konstanzer mal nach Singen bzw. ein Singener mal nach Konstanz soll. Man geht nicht ein, wenn man mal die eigenen Stadtgrenzen überschreiten muss und auch die Sterblichkeit in anderen Bundesländern ist nicht deswegen höher, weil es weiter ins nächste Krankenhaus ist.
Ich denke auch, dass eine Fusion zu Umstrukturierungen führen muss, d.h. dass Schwerpunkte an den einzelnen Standorten gebildet werden.
Wenn ich allerdings hier lese, wie die Beschäftigten die Fusion erleben und in Betracht ziehe, dass die Singener Beschäftigten dies ähnlich sehen, so scheint doch die Umsetzung der Fusion durch das Management extrem schlecht zu laufen. Und hier müsste man als Beschäftigte gemeinsam ansetzen und sich nicht in kommunaler Konkurrenz ergehen.
Alternativ wäre der Weg Villingen-Schwenningens. Aber es ist wohl unrealistisch anzunehmen, dass der Landkreis ein neues Klinikum baut. DAs ist erstens zu teuer und müsste zweitens eher in Radolfzell gebaut werden, um für alle Kreisbewohner aatraktiv zu sein. Und das würden weder Singen noch Konstanz hinnehmen.