S 21: Undemokrat Mappus + Parteisoldat Geißler

Immer wieder hat die Union auf Kriminalisierung und Angstmache gesetzt, um Wahlen zu gewinnen. Schneller als erwartet wurde diese Taktik auch für die kommende Landtagswahl in Baden-Württemberg bestätigt. In der „Stuttgarter Zeitung“ war eine Analyse der Strategie des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus zu lesen Dieser hat danach den Konflikt mit den Demonstranten bewusst verschärft, um damit ein Wahlkampfthema zur Profilierung bei seinen konservativen Wählern zu bekommen

Zunächst die entscheidenden Passagen aus der Stuttgarter Zeitung, die bisher einer der engagiertesten Befürworter des Projektes Stuttgart 21 war (und ist). Unter der Überschrift „Umstrittener Polizeieinsatz. Hilferufe aus dem Schlossgarten verhallen“ war am 15.10.2010 zu lesen:

Mappus erweist sich als Zyniker der Machterhaltung

„Mappus’ politisches Kalkül liegt klar zutage. Lange schien er ratlos, wie er mit dem Widerstand gegen Stuttgart 21 umgehen sollte. Die Devise der Polizei, äußerste Deeskalation, war auch seine. Doch nach dem Sommerurlaub – ziemlich zeitgleich mit dem Dienstantritt seines von Roland Koch übernommenen Medienberaters – hatte der Pforzheimer seinen Kurs gefunden: Das Bahnprojekt, verkündete er CDU-intern, sei sein lange vermisstes Profilierungsthema für den Wahlkampf. Unbeirrt von allen Protesten ein demokratisch legitimiertes Infrastrukturvorhaben durchzuziehen – das würden die konservativen Wähler goutieren.

Prompt änderte sich die Wortwahl. Mal sprach Mappus von “Berufsdemonstranten”, mal von dem “Fehdehandschuh”, den er aufnehme. Im Rückblick erscheint die neue Tonlage wie eine Einstimmung auf den Tag X, der wohl seit Anfang September feststand. Aber mit dem tatsächlichen Ablauf des Einsatzes will der Ministerpräsident nichts zu tun haben. In das “operative Geschäft der Polizei”, versichert er seither, hätten weder er noch die Staatskanzlei eingegriffen. Der Stuttgarter Polizeipräsident Siegfried Stumpf übernahm umgehend die alleinige Verantwortung.“

Mit Wasserwerfern Menschen halb blind spritzen zu lassen, um damit Wahlkämpfe besser zu bestehen, das hat weder etwas mit demokratischer Gesinnung noch mit dem christlichen Menschenbild zu tun, dass die Parteivorsitzende Angela Merkel gerade strapazierte. Mappus ist ein Undemokrat.

Parteisoldat Geißler hilft

Mappus hat sich ein bisschen vergallopiert. Seine konservativen Wähler könnten es vielleicht doch nicht umfassend goutieren, wenn 66-jährigen das Augenlicht genommen wird; und dass ihre minderjährigen Enkel ins Kreuzfeuer der Wahlkampfstrategie ihres CDU-Hardliners geraten sind, finden sie vielleicht auch nicht so nett. Jedenfalls sah sich der Ministerpräsident genötigt, Hilfe zur Moderation anzufordern. Diese fand er bei Heiner Geißler. Der ist einer der großen Strategen der Union. Er wettert gegen Gier und den Kapitalismus und er tritt attac bei und erweitert damit das Image seiner Partei, deren inhaltliche Linie jedoch kaum seiner Kritik unterworfen ist – weder ihre unsozialen Taten noch die erkennbaren Verbindungen mit der Finanzwirtschaft und auch nicht die jetzt laufende Hetze gegen Andersdenkende und Andersgläubige. Im Umfeld von attac sollte man vielleicht einmal wahrnehmen, dass diese Organisation von Geißler als eine Art Vorfeldorganisation der Union zur Imageprägung betrachtet wird.

Mit der Schlichtung ist es gelungen, die Stuttgart21-Gegner zu spalten und es wird auch gelingen, den Herrn Mappus und seine baden-württembergische CDU vor der notwendigen massiven Abstrafung und dem Absturz bei der Landtagswahl zu bewahren. Damit ist auch das wichtigste Mittel gegen den Bau von Stuttgart21 – die Sanktion bei der anstehenden Wahl – entschärft.

Die Grünen sind mitverantwortlich

Mitverantwortlich für dieses absehbare Ergebnis sind jene wie der Vorsitzende der Grünen Fraktion in Baden-Württemberg, die Schwarz-Grün nicht ausschließen wollen.Denn die Bereitschaft, eine Koalition mit der Partei des Undemokraten Mappus schließen zu wollen, ist der stärkste mögliche Akt einer Reinwaschung. Die Bereitschaft zu Schwarz-Grün stützt auch das Lieblingsprojekt des Vermittlers Geißler. Auch hier wird wieder seine große strategische Fähigkeit sichtbar. Er hat systematisch an der Erweiterung der Koalitionsoptionen für die Union gearbeitet und damit die entscheidenden Verdienste daran, dass die Union auf absehbare Zeit immer mit am Regieren sein wird. Ihre Öffentlichkeitsarbeit bei einigen Wissenschaftlern und maßgeblichen Journalisten war hervorragend. Auch sie werden dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten seine antidemokratische Strategie nicht verübeln. Mitverantwortlich ist aber auch die SPD, die mit ihrer Verstrickung in das Projekt und jetzt mit dem Zögern zum Untersuchungsausschuss ein jämmerliches Bild abgegeben hat.

Was ist in Stuttgart zu schlichten?

Dem Entwicklungsminister Niebel von der FDP muss ich in einem Punkt Recht geben: auch ich weiß nicht, was in Stuttgart zu vermitteln wäre. 100 Bäume mehr? Zwei Gleise weniger unter der Erde? Ein bisschen weniger Abriss? Vielleicht bin ich zu weit weg. Aber: Wenn es richtig ist, dass der unterirdische Bahnhof nach dem Projekt Stuttgart21 keinesfalls leistungsfähiger ist als der jetzige Kopfbahnhof und weniger leistungsfähig als ein erneuerter Kopfbahnhof; wenn es richtig ist, dass nicht die Dynamik des Schienenverkehrs, sondern die Dynamik freiwerdender und zu bebauender Flächen die entscheidenden Kriterien waren, dann kann es kein Schlichtungsergebnis geben. Die Schlichtung dient zu aller erst der Rettung des Ministerpräsidenten über den Wahltermin hinaus.

Die Befürworter von Stuttgart 21 bedienen sich weiter der äußerst fragwürdigen Argumente für das Projekt, an vorderer Front die Behauptung, wenn dieses Projekt nicht realisiert würde, weil ein nachträglicher Volksentscheid dagegen stünde, dann stelle dies ein ernsthaftes Problem für die Verwirklichung von Infrastrukturprojekten dar – so der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Andreas Vosskuhle.

Dass sich der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes so massiv in diese Entscheidung einmischt, zeigt einmal mehr, wie sehr die öffentliche Debatte bei uns und auch die öffentlichen Einrichtungen wie das Bundesverfassungsgericht auf den Hund gekommen ist. Man müsste normalerweise von einem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes weniger Parteilichkeit und mehr Umsicht verlangen. Zur Umsicht müsste gehören, dass auch ein Herr in dieser Funktion zu bedenken fähig ist, dass hier ein Projekt unter falschen Bedingungen entschieden worden ist: mit der typischen Unterschätzung der Kosten und der Überschätzung der Chancen. Auch beim Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes müsste angekommen sein, dass bei solchen Großprojekten sehr viel politische Korruption im Spiel ist und dass schon dies dazu zwingen könnte, aus Gründen der demokratischen Sauberkeit auch nachträglich nein zu sagen.

Autor: Albrecht Müller/www.nachdenkseiten.de