Der Aufstieg der „Goldenen Morgenröte“

Eine der verheerendsten Folgeerscheinungen der seit 2009 anhaltenden ökonomischen, sozialen und politischen Krise in Griechenland ist der Einzug der offen faschistischen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) in das griechische Parlament. Darüber berichtet jetzt Theodoros Votsos in Konstanz und Lindau

Seit der Ermordung des linken Musikers Pavlos Fyssas durch ein Parteimitglied im September 2013 hat sich das Klima für die griechischen Neonazis vorübergehend zwar geändert: Angehörige der Parteiführung wurden verhaftet, Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet, die Immunität von Abgeordneten aufgehoben, die staatliche finanzielle Förderung gestrichen und auch die Umfragewerte gingen zwischenzeitlich erheblich zurück; doch wer angesichts dessen gedacht hatte, der „Nazi-Spuk“ in Griechenland wäre nun bald vorbei, der sieht sich spätestens angesichts des Wahlerfolgs der griechischen Neonazis bei den Europawahlen eines Besseren belehrt. Allem Anschein nach ist „fascism here to stay“.

Lässt sich die Verfestigung der neofaschistischen Präsenz in der griechischen Politik und Gesellschaft anders und differenzierter erklären als durch den bloßen Nachweis der krisenbedingten Massenmobilisierung der verarmten Bevölkerungsschichten, die in der migrantenfeindlichen Aggression und im antisystemischen Gestus der „Goldenen Morgenröte“ ein Ventil für Frust, Politikverdrossenheit und Wut, aber auch einen Stabilitätsanker der Existenzsicherung und des Sicherheitsbedürfnisses gefunden haben?

Freilich kommt man nicht umhin, den Aufstieg der „Goldenen Morgenröte“ auch in seiner Wechselwirkung mit den verschiedenen Aspekten der griechischen Krise, aber auch innerhalb des Spannungsfelds des von Brüssel und Berlin verordneten (krisenverschärfenden) neoliberalen Krisenlösungsmodells zu betrachten.

Durch eine politikgeschichtliche Rekonstruktion des faschistischen Phänomens in Griechenland will der Vortrag von Theodoros Votsos allerdings auch Elemente einer konstanten Verankerung rechtsextremer bzw. nazistischer Einstellungen und Praktiken in Politik und Staat, Kirche und Wirtschaft offenlegen. Es werden Entwicklungslinien und Kontinuitäten aufgezeigt, die den Nachweis erbringen, dass die Neonazi-Partei sowohl historisch als auch gesellschaftspolitisch weit mehr darstellt als einen erratischen Block oder eine flüchtige Randerscheinung. Außerdem will der Vortrag die „Goldene Morgenröte“ auf der Landkarte der europäischen Neuen Rechten genauer verorten. Schließlich soll auf den breiten antifaschistischen Widerstand in Griechenland eingegangen werden, der nicht allein von der organisierten und unorganisierten griechischen Linken, sondern in zunehmendem Maße auch von zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen und Migrantenselbstorganisationen getragen wird.

Autor: Jürgen Weber/www.juergenweber.eu

Veranstaltung „Neofaschismus in Griechenland“ in Konstanz und Lindau:
Neofaschismus in Griechenland – Der Aufstieg der neofaschistischen Partei „Goldene Morgenröte“ im Zuge der Krise. So lautet der Titel des Vortrages von Theodoros Votsos, am 10.9., 19:30 Uhr in der Kantine Konstanz (Neuwerk) und am 11.9., 19:30 Uhr im Club Vaudeville in Lindau; veranstaltet von esPRESSo und VVN-BdA Kreisvereinigung Konstanz