Von Hübschlerinnen, Suffragetten und Tagesmüttern
„Lindauer Frauengeschichte(n)“: Wussten Sie, dass die Jahrhundert-Kurtisane Lola Montez auch am Bodensee wohnte, dass die Legenden-Frau Lindavia die Namensgeberin Lindaus ist und mit Petra Meier to Bernd Seidl 2000 die erste Oberbürgermeisterin der Bodenseeregion aus Lindau kommt? Das und vieles mehr ist in dem 230-Seiten-Büchlein von Karl Schweizer aus Lindau und über Lindau nachzulesen: 500 Jahre Frauengeschichte(n) am Bodensee
Es sind nicht in erster Linie die Bürgersfrauen oder Patrizierinnen, denen Schweizer ein Denkmal setzt. Sondern Proletarierinnen und Frauen von nebenan: Die Gewerkschafterin und die Zwangsarbeiterin, die Prostituierte, die man im ausgehenden Mittelalter noch ‚Hübschlerin‘ nannte oder die Serviererin, die am Lindauer Seehafen arrogante Touristen heut wie vor 100 Jahren bedient. Und nach 37 Artikeln von 14 Autoren, in der Mehrzahl Autorinnen, wird deutlich, dass Geschichte eben nicht allein Männersache ist.
Karl Schweizer, Lehrer im Nebenberuf, hat bereits in mehreren Büchern und Beiträgen zur Lindauer Geschichte von sich reden gemacht (s. seemoz-Kultur v. 18.8.). Die „Lindauer Frauengeschichte(n)“ basieren auf einer schon 2000 zu den ersten Frauenkulturtagen in Lindau erschienenen Broschüre. Jetzt, zehn Jahre später – das Buch erschien im August 2010 – ist ein aufwändig bebilderter, sorgsam recherchierter Band daraus geworden, mit Karl „Charly“ Schweizer als Herausgeber. Und mit Geschichten zur ersten Türkin – das war Fatma 1690 – und zur letzten Hexe – das war Maria Madlener, die 1730 hingerichtet wurde – im Bodensee-Städtchen, mit einer ausführlichen Darstellung der Frauenrolle im NS-Faschismus beispielsweise, aber auch mit Reportagen über Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen, über Gewerkschafterinnen, Weiberräte und Politikerinnen in der Provinz der Gegenwart.
Das alles wird von den zumeist weiblichen Autoren sachlich, ohne Rührung und Pathos, geschildert, aber mit unverkennbarem Engagement. Fortschritte der Frauenbewegung werden nicht hoch gejubelt, und Niederlagen nicht weg gedrückt. Insofern ist das ein parteiisches Buch, ein Buch von Frauen für Frauen und deren Interessen. Und es ist ein politisches Buch, das mit Kritik an den schon immer vorherrschenden, männlichen Machtstrukturen nicht spart. Auf jeden Fall ist es ein lesenswertes Buch. Nicht nur für Frauen.
Und es ist ein gerade heute wichtiges Buch. In Zeiten, da Frauen wieder zurück gedrängt werden auf eine Rolle als Sexobjekt und Modepüppchen, da Frauen-Emanzipation abgehakt erscheint, und Frauenpower in die Mottenkiste verbannt wird, macht die „Lindauer Frauengeschichte“ auch Mut. Nicht nur den Frauen.
Autor: Hans-Peter Koch