Kein Ende im Steuerwettlauf der Kantone
Lauter sexy Marken – so könnten Schweizer Kantone angesichts ihrer Politik des Steuerdumpings für sich werben. Denn der Steuerwettlauf der ’sexy Marken‘ geht unvermindert weiter. Auch wenn sich angesichts zunehmend leerer Kassen und rigider Sparpakete vermehrt Widerstand regt. Gegner der selbst für Neoliberale extrem neoliberalen Steuerpolitik hoffen auf die Abstimmung Ende November. Kommt dann die Steuer-Wende?
Der Drang der kantonalen Finanzchefs nach dem tiefsten Steuerfuß ist ungebrochen. Laut jüngster Studie des Forschungsinstituts BAK Basel Economics haben allein in Jahresfrist sieben Kantone ihre Steuern gesenkt. Generell ist die Steuerlast in der Schweiz weiter gesunken. Das freut vor allem Unternehmer. Denn sie sind die Profiteure des Steuerwettbewerbs und keineswegs die Normalverdienenden.
Heute zahlt die Wirtschaft in Appenzell-Ausserrhoden (AR) und Obwalden (OW) am wenigsten Steuern. Die durchschnittliche Belastung beträgt gemäß BAK-Index noch 10.8 bzw. 11.1 Prozent. Nur Honkong liegt, international gesehen, tiefer. Die höchste Belastung ist in Genf zu finden. Die Rhonestadt besteuert Unternehmen doppelt sie stark wie die Appenzeller (21.5 Prozent). Eine Spitzenposition hält nie lange an. In gut einem Jahr werden AR und OW von Luzern überholt, das von den Tiefsteuerkantonen Zug, Schwyz und Nidwalden umzingelt ist. Der Innerschweizer Kanton halbiert die Firmengewinnsteuern per 2012. Die Wirtschaftsförderung verkauft Luzern bereits jetzt als «sexy Marke» und hofft auf Neuzuzügler. Da bleibt nur die Frage: Wann kommt der «geilste» Kanton mit dem Nullsteuergebiet?
Die Hälfte aller Unternehmen zahlt keine Steuern
Als Folge dieser Entwicklung verabschiedet sich die Wirtschaft immer mehr aus der Finanzierung staatlicher Leistungen, obwohl gerade sie auf eine gute Infrastruktur angewiesen ist. Das zeigen Steuerdaten aus dem Kanton St.Gallen, wo eine Revision des Steuergesetzes in Kraft trat, die Unternehmen und in geringerem Umfang auch Familien entlastet. Danach tragen die insgesamt 18000 Unternehmen und Gewerbebetriebe im Ostschweizer Kanton zehn Prozent des Steuervolumens. Vor zwei Jahren waren es noch knapp 19 Prozent. Die Steuerlast wird immer mehr auf die Bevölkerung verschoben.
Zur Hauptsache zahlt der Mittelstand. Die Analyse zeigt weiter, dass viele kleine und mittlere Unternehmen gar nicht von den Steuersenkungen profitieren. Die Hälfte weist nämlich keine Gewinne aus und zahlt darauf auch keine Steuern. Die anderen 45 Prozent erhalten vom Staat Mini-Steuerrechnungen bis 50000 Franken. Wirklich profitiert haben lediglich fünf Prozent der Unternehmen.
Gefordert werden Mindest-Steuersätze
Noch halten Bürgerliche eisern am Dogma des Steuerwettbewerbs fest. So dozierte Finanzminister Hans-Rudolf Merz letzten Juni im Nationalrat: „Der Steuerwettbewerb führt zum sparsamen Umgang mit Ressourcen“. Dies ist das Hauptargument für Steuersenkungen. Damit schmetterte der
Nationalrat die Volksinitiative «Für faire Steuern – Stopp dem Missbrauch beim Steuerwettbewerb» der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SPS) ab. Am 28. November wird darüber abgestimmt. Nur Links-Grün plus drei Abweichler aus dem CVP/EVP-Lager stimmten in der großen Kammer dafür. Ein von den Grünen verlangter Gegenvorschlag wurde abgelehnt.
Die Initiative will degressive Steuern für Reiche, eine berüchtigte Erfindung aus Obwalden, verbieten und Mindestsätze für Reiche ab 300000 Franken Einkommen und zwei Millionen Franken Vermögen festlegen. Bürgerliche argumentieren, dadurch werde die Souveränität der Kantone und damit ein Grundpfeiler des Förderalismus „abgeschafft“. Genau dies rückt die gegnerische Abstimmungspropaganda jetzt ins Zentrum: „Schädigt Kantone, erhöht Steuern“, so der Slogan in den eben gestarteten Inseraten des Komitees «Steuerinitiative Nein». Das Komitee wird von Economiesuisse gemanagt, von wem wohl sonst?
Ein Kanton jagt dem anderen die Firmen ab
In der entfesselten Standortkonkurrenz kommt es immer wieder zu Missbräuchen. Das Agreement der Kantone, sich nicht gegenseitig Firmen abzujagen, verhindert sie nicht. Der Luzerner Finanzdirektor Marcel Schwerzmann (FDP-nah) verschickte im letzten Winter Briefe an 2500 Unternehmen, um sie zum Umzug nach Luzern zu bewegen. Dort müssten sie ab 2012 die niedrigsten Steuern in der Schweiz entrichten. Unter denen, die umgehend protestierten, war Peter Hegglin (CVP), Finanzdirektor des Nachbarkantons Zug, der seinen Wirtschaftsboom nichts anderem als einem langjährigen Steuerdumping verdankt. Schwerzmann erhielt darauf einen Rüffel von der kantonalen Finanzdirektorenkonferenz. Dessen Präsident Christian Wanner (FDP) war
besorgt, dass der Steuerwettbewerb durch unfaire Praktiken „in Verruf“ geraten könnte.
Die Linke übt schon lange Kritik an der Steuerdumpingpolitik, die auch den Steuertourismus von Superreichen ermöglicht. Im Nationalrat sprach SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr von einer Politik des „Abzockerschutzes“: Steuerwettbewerb sei in Wahrheit ein Steuersenkungswettlauf, von dem nur eine kleine, schwer reiche Minderheit profitiere. Für den Grünen Louis Schelbert aus Luzern zerstört es den sozialen Frieden, wenn man im Jura inzwischen dreimal so viel Steuern zahlen muss wie in Zug. Klar ist: Beim Wettbewerb geht es um ein neoliberales Dogma, das nicht in Frage gestellt werden darf. Auch wenn die angeblich positiven Auswirkungen noch nie bewiesen wurden.
Zürich zählt zu den Verlierern
Hinter den Kulissen wächst auch in bürgerlichen Kreisen das Unbehagen über die Folgen dieses kannibalistischen Konkurrenzkampfs, der die Kantone schwächt. Die Großen wie Zürich und Bern sind Verlierer in dem Spiel, weil sie die Steuern wegen der hohen Infrastrukturkosten nicht nach Belieben herunterfahren können. Neuerdings will Zürichs Finanzdirektorin Ursula Gut (FDP) die Tiefsteuerkantone über den Neuen Finanzausgleich (NFA) disziplinieren: Kantone, die vom NFA Geld beziehen und die steuerlichen Mindestsätze der Geberkantone unterbieten, sollen keine Beiträge mehr aus dem Ressourcenausgleich erhalten, so ihre Forderung. Der Ressourcenausgleich ist einer der vier «Töpfe» im NFA, aus dem schwächere Kantone Gelder beziehen können.
Guts Forderung zeigt, dass die Geduld der Großen langsam erschöpft ist. Sie wollen nicht länger zusehen, wie ihnen parasitäre Kleinkantone mit Geldern das Wasser abgraben, die sie unter dem Titel der Solidarität aus den NFA-Kassen erhalten haben. Guts Forderung sorgt dann auch für Diskussionen. Das bestätigt Peter Mischler, Sekretär der Finanzdirektorenkonferenz. Doch sie dürften ohne Folgen bleiben. Erst zwei Jahre nach seiner Einführung sind keine Korrekturen am komplexen System des NFA erwünscht. „Wenn man da herum schraubt, kommen sofort neue Ansprüche“, fürchtet Mischler.
In St.Gallen heißen Sparprogramme schönfärberisch «Verzichtsplanung»
Der Preis des Steuerdumpings für Bosse und Millionäre sind Sparprogramme, die Löcher in den Kantonskassen stopfen sollen. Sie treffen die Bevölkerung. Genau genommen geht es nicht ums «Sparen», sondern um den Staatsabbau, der als «Fitnesskur» verkauft wird. Im neoliberalen Zerrbild ist der Staat ein verfetteter Fresssack, der abspecken muss.
In St.Gallen heißen Sparprogramme schönfärberisch «Verzichtsplanung». Das suggeriert, man könne auf «Überflüssiges» gut verzichten. „In Tat und Wahrheit geht es um einen gigantischen Leistungsabbau», ist die SP-Fraktionschefin im Kantonsrat, Barbara Gysi, überzeugt. Das St.Galler
Sparpaket soll 180 Mio. Franken umfassen. Als Erstes soll das Budget für das Behindertenwesen um fünf bis zehn Prozent gekürzt werden, ließ die Staatskanzlei unlängst verlauten. Besser ist nicht zu demonstrieren, welch unsoziale Auswirkungen die Steuersenkungspolitik hat.
Da der Ostschweizer Kanton schuldenfrei dasteht, hat er wohl mehr finanziellen Spiuelraum als andere. Doch selbst im sparsamen St.Gallen, das sich gern als finanzpolitischer Musterknabe gibt, sind die ruinösen Folgen des Steuerwettlaufs zu erkennen. Um den gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleich zu erreichen, muss massiv in die Reserven gegriffen werden. Letztes Jahr waren es 220 Mio., dieses Jahr 125 Mio. Franken, die zur Defizitdeckung herangezogen wurden. Das Eigenkapital des Kantons schmolz in nur zwei Jahren von 1,4 Mrd. auf noch 950 Mio. Franken. Geht es im gleichen Stil weiter, sind die Reserven in vier Jahren aufgebraucht. Und dann?
Autor: Ralph Hug