TTIP – und noch lange kein Ende
„TTIP ist kein Freihandelsabkommen, denn Zölle gibt es da kaum noch, sondern ein Abkommen zur Handelsumlenkung“. Simon Buchwald, Student der Wirtschaftsmathematik an der Uni Konstanz, brachte es auf einer Diskussionsrunde des linken Jugendverbands solid auf den Punkt: TTIP würde unsere Wirtschaftsordnung und unsere Demokratierechte umkehren. Wenn wir nichts dagegen tun
Mit dem gerade in Konstanz erfolgreichen, europaweiten Aktionstag am 11. Oktober (s. Foto) ebbt der Widerstand gegen das geheim verhandelte „Freihandelsabkommen“ TTIP nicht ab. Das belegte eindrucksvoll die gut besuchte Informationsveranstaltung am letzten Dienstag im „Treffpunkt Petershausen“: Die TTIP-Auswirkungen aus juristischer und aus entwicklungspolitischer Sicht beleuchteten junge Wissenschaftler – kenntnisreich und furchteinflößend.
Eine deutsche Erfindung: Investitionsschutz
Simon Pschorr, Jurastudent im 7. Semester, überraschte mit der Information, dass der in TTIP verankerte Investitionsschutz eine deutsche Erfindung ist: 1959 schloss Deutschland weltweit erstmals ein solches Abkommen mit Pakistan ab. Absicht war, vermeintlich willkürliche Enteignungen deutscher Investoren in einem Entwicklungsland zu vermeiden und die Bevorzugung anderer Unternehmen anderer Staaten zu verhindern. Auch der Schadensersatz-Anspruch von Investoren gegenüber Staaten wurde schon damals zementiert.
Pervers an diesen Regelungen, die sich nun in TTIP wiederfinden, ist, dass Rechtsstreite nicht vor öffentlichen Gerichten, sondern vom ICSID (dem internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (englisch: International Centre for Settlement of Investment Disputes) beigelegt werden sollen: Einem Gremium aus drei selbst bestimmten Rechtsanwälten, die ohne Prozessrecht, ohne Revisionsmöglichkeit und unter Ausschluss der Öffentlichkeit entscheiden – ein Verfahren, das vom Grundgesetz in Deutschland ausgeschlossen ist
Seit 1990 sind gut 300 Verfahren weltweit auf diese Weise beurteilt worden – fast ausschließlich zugunsten der Investoren; derzeit laufen solche „Prozesse“ aktuell in Australien und Ägypten. Mit TTIP dürfte ihre Zahl sprunghaft steigen, und auch Deutschland könnte betroffen sein, wie der Fall Vattenfall belegt, der die Bundesrepublik wegen seines Gewinnausfalls als Folge des Atomausstiegs belangen will.
Leidtragende sind die Schwellenländer
„TTIP ist kein Freihandelsabkommen, denn Zölle gibt es da kaum noch, sondern ein Abkommen zur Handelsumlenkung. Nutznießer sind die großen Handelsblöcke USA und EU, Leidtragende die Schwellenländer“, so Simon Buchwald, Student der Wirtschaftsmathematik an der Uni Konstanz. Er berichtete von aktuellen Studien, wonach den Entwicklungsländern durch TTIP eine Absenkung des Bruttosozialprodukts von bis zu 30 Prozent drohe. Und auch die wohlfeilen Prognosen eines wundersamen Anstiegs der Arbeitsplätze hierzulande werden von solchen wissenschaftlichen Studien nicht gestützt.
Buchwald fragte, warum nicht die WTO (World Trade Organization), die sich als Welthandels- Organisation mit der Regelung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen weltweit beschäftigt, nicht ausreiche, um internationale Handelshemmnisse zu beseitigen. Die Antwort ist zweifach: Wie die Doha-Runde zeigt, die seit zehn Jahren vergeblich nach internationalen Standards sucht, scheitern solche Einigungsversuche immer wieder an der Arroganz der Industrienationen. Und: TTIP schafft gar keine Kooperation, sondern will Vormacht für die USA und die EU.
Wenn in der nächsten Woche Claudia Haydt über „Freihandelsabkommen und Militarisierung“ (wieder am Dienstag, ab 19 Uhr in der Uni, Raum k 503) referiert haben wird, wird endgültig klar, dass TTIP sämtliche Lebensbereiche überdecken wird: Arbeitnehmerrechte und Umweltschutz, Außen-, Innen- und Kommunalpolitik, den Kultursektor, das Militär und den Verbraucherschutz. Wenn, ja wenn wir uns nicht wehren…[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: hpk